Mesut Özil hat seit einiger Zeit frei. Während die Nationalspieler in den Länderspielen um die EM-Quali kämpften, konnte Özil zu Hause bleiben, spielt er doch seit Juli 2018 nicht mehr für die deutsche Nationalmannschaft. Nun äußerte sich Özil erstmals über seinen Rücktritt.
Nach 92 Länderspielen, 23 Toren und 40 Vorlagen für Deutschland war Schluss: Im Juli 2018 verkündete
"Alle haben einfach geschwiegen und es geschehen lassen"
Özil sprach nun zum ersten Mal über seinen Rücktritt. In einem Interview mit dem Sport-Portal "The Athletic" monierte er mangelnde Unterstützung seitens der Nationalmannschaft. "Ich habe rassistische Anfeindungen bekommen, sogar von Politikern und Figuren des öffentlichen Lebens", gab er dort an. "Aber niemand von der Nationalmannschaft ist damals gekommen und hat gesagt: 'Hey, hört auf! Das ist unser Spieler, ihr könnt ihn nicht beleidigen.' Alle haben einfach geschwiegen und es geschehen lassen." Aus diesen Gründen bereue er den Rücktritt auch nicht.
Mesut Özil: Vom gefeierten Star zum Tribünen-Stammgast
Fußballerisch läuft es für den einstigen Star-Kicker gefühlt seit dem "Erdogan-Gate" alles andere als rund. Zwei von elf Pflichtspielen absolvierte Mesut Özil in dieser Saison erst für den FC Arsenal. Ganze 142 Minuten stand er auf dem Rasen. Dabei steuerte er weder ein Tor noch eine Vorlage bei. Die übrigen Partien beobachtete er hauptsächlich von der Tribüne aus. Zu wenig für den Ausnahmekönner. Und auch zu wenig aus Arsenal-Sicht. Immerhin ist Özil mit einem kolportierten Wochengehalt von 400.000 Euro brutto der Topverdiener bei den Gunners.
Weil Özil mit seinem aktuellen Trainer Unai Emery nicht so gut auskommt wie mit Vorgänger
Gut möglich, dass die Londoner im Winter einen neuen Versuch unternehmen, um ihren teuren Tribünendauergast loszuwerden. Auch eine Leihe, bei der Teile des Gehalts weiterhin selbst gezahlt werden, stand zuletzt im Raum.
Bei diesem Modell könnte unter anderem der 19-fache türkische Meister Fenerbahçe Istanbul ins Spiel kommen. Wie der deutsch-türkische Journalist Fatih Demireli gegenüber unserer Redaktion mitteilte, werde Mesut Özil über kurz oder lang sicher beim türkischen Erstligisten landen. Das Gehalt aber dürfte, selbst bei einer teilweisen Übernahme durch Arsenal, für das verschuldete Fenerbahçe nur schwer zu stemmen sein.
Ein vorzeitiger Abschied ist aber zumindest für Özil keine Option, wie er gegenüber "The Athletic" betonte: "Ich habe einen Vertrag bis zum Sommer 2021 und so lange bleibe ich auch. Jeder macht mal schwierige Zeiten durch, so wie ich gerade, aber das ist kein Grund wegzurennen - und das mache ich auch nicht. Ich bleibe hier." Dennoch sei die aktuelle Situation "natürlich enttäuschend": "Nicht involviert zu sein, die Spiele von zu Hause aus zu schauen, da fühle ich mich hilflos."
Özil war mal unverzichtbar
Es gab Zeiten, da war Özil unverzichtbar für seine Mannschaften. Als er im Jahr 2010 von Werder Bremen zu Real Madrid wechselte, mag sich dort manch einer verwundert die Augen gerieben haben. Was soll ein Spieler aus Bremen bei Real?
Das Augenreiben fiel ein Jahr später noch ausgiebiger aus: Der damals 22-Jährige wischte alle Bedenken beiseite und wurde bei den Königlichen zum heimlichen Anführer. In seiner Debütsaison bei den Königlichen gelangen ihm zehn Tore und 29 Vorlagen in 54 Pflichtspielen. Nach zwei weiteren Jahren, in denen er unter anderem den Gewinn der spanischen Meisterschaft feiern konnte, zog Özil weiter nach England zum FC Arsenal.
Der "Wizard of Öz" zaubert
Der Start auf der Insel lief für ihn – hauptsächlich aufgrund von Verletzungen – zwar eher schleppend. Doch darüber tröstete sich Özil 2014 mit dem Gewinn des WM-Pokals mit der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien hinweg.
Nach einer weiteren von Verletzungen geprägten Spielzeit platzte dann auch bei Arsenal der Özil-Knoten – es folgte seine beste Saison. Mit seinen 19 Torvorlagen in der Premier League hätte er fast den damaligen Rekord von Vereinslegende Thierry Henry (20 Vorlagen) eingestellt. Sechs Tore rundeten eine überragende Saison des "Wizard of Öz", wie er in guten Zeiten von seinen Fans genannt wurde, ab.
Was ist nun also geschehen, dass dieser feine Fußballer, der stets durch starke Scorer-Werte bestochen hat, plötzlich so gar keine Rolle mehr spielt?
Nach einer weiteren – auch persönlich – sehr guten Saison 2016/2017, in der Özil nach 2014 und 2015 zum dritten Mal mit Arsenal den FA Cup gewinnen konnte, ging beim geborenen Gelsenkirchener in den folgenden Saisons die Leistungskurve nach unten. In der Saison vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 gelangen ihm zwar immerhin noch fünf Tore und 14 Vorlagen, doch dann folgte die verkorkste WM.
Es ging so ziemlich alles schief
Nicht nur schied Titelverteidiger Deutschland in der Gruppenphase sang- und klanglos aus. Fast noch mehr in Erinnerung bleibt bis heute eben diese Affäre rund um Mesut Özil, Nationalmannschaftskollege
Doch was war eigentlich passiert? Kurz vor der Bekanntgabe des WM-Kaders wurden Fotos von Erdogans Partei veröffentlicht, die die beiden Fußballer mit dem türkischen Staatschef posierend zeigten. Deutschlandweit hagelte es Kritik. Von Wahlkampfhilfe für den umstrittenen Präsidenten war die Rede. Die vorgezogenen Parlamentswahlen wenige Wochen später entschied dann die von Erdogan geführte Partei AKP für sich, Erdogan selbst wurde zum Präsidenten der Türkei wiedergewählt.
Nach Gesprächen mit den DFB-Verantwortlichen rund um den mittlerweile zurückgetretenen Präsidenten Reinhard Grindel und mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fuhren Özil und Gündogan trotz des Drucks von außen mit zur WM nach Russland. Während Gündogan den Medientag der Nationalmannschaft nutzte, um sich zu erklären, zog Özil es vor, sich bis auf Weiteres überhaupt nicht zum Thema zu äußern.
Nach dem Aus schob Bierhoff Özil die Schuld zu
Nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft aus dem WM-Turnier rückte das Erdogan-Thema wieder in den Fokus. In der ersten Aufarbeitung der Ereignisse beförderte DFB-Teammanger
Rund zwei Wochen später endlich äußerte sich Özil in einem dreiteiligen Statement über die sozialen Medien zu den Vorkommnissen und verneinte dabei politische Absichten hinter seinem Foto mit Erdogan und verwies auf die noch immer existierende Problematik des Rassismus in Deutschland.
Im dritten Teil seines Statements schließlich holte Özil zu einem Rundumschlag gegen den DFB und dessen Präsidenten Grindel, dem er Inkompetenz vorwarf, aus. Das Statement endete mit der Verkündung des Rücktritts aus der DFB-Elf.
Nach 92 Länderspielen, in denen ihm 23 Tore und 40 Vorlagen gelangen, war für den Weltmeister von 2014 am 22. Juli 2018 also Schluss mit der Nationalmannschaft.
Dass er auch weiterhin zu seinem türkischen Präsidenten steht, zeigte er im vergangenen Juni auf seiner Hochzeit mit der türkischen Schauspielerin Amine Gülşe. Dort fungierte Erdogan als Trauzeuge für Özil, wofür letzterer ebenfalls wieder Kritik einstecken musste.
Im Interview mit "The Atheltic" gab Özil auch an, dass er das Foto mit Erdogan wieder aufnehmen würde, da dieser der Präsident der Türkei sei und er so einer Person, egal wer sie sei, immer Respekt zeigen wolle. "Mit etwas Abstand weiß ich, es war die richtige Entscheidung", sagte Özil.
Seitdem läuft es nicht mehr
Seit der Posse rund um Erdogan, dem WM-Aus und dem anschließenden DFB-Rücktritt ging es für Özil sportlich nur noch bergab. In der Saison nach der WM absolvierte er nur 35 Spiele. Oftmals fehlte er im Kader, obwohl er fit war. Nur rund die Hälfte der möglichen Spielzeit, wobei Verletzungspausen berücksichtigt sind, absolvierte er. Dabei gelangen ihm magere sechs Tore und drei Vorlagen. Zum Vergleich: in seiner Topsaison 2015/2016 hatte er noch knapp 90 Prozent der möglichen Spielzeit bestritten.
Neben die sportlichen Probleme rückten in der aktuellen Saison auch noch private. Vor Start der Premier League wurde Özil Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls, bei dem nur Teamkollege Sead Kolasinac Schlimmeres verhindern konnte.
Immerhin stieg Özil im Oktober 2018, als er gegen Leicester City sein 30. Premier League Tor erzielte, zum deutschen Rekord-Torschützen der höchsten englischen Spielklasse auf. Mit mittlerweile 167 Einsätzen liegt er nach Robert Huth (323) und Dietmar Hamann (268) außerdem auf Platz drei der deutschen Rekord-Spieler in der Premier League. Ob er in dieser Liste noch weiter nach oben klettern wird, darf momentan stark bezweifelt werden.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Journalist Fatih Demireli, deutsch-türkischer Journalist sowie Herausgeber und Chefredakteur des Sportmagazins "Socrates"
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