• Toni Kroos ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Teams - und doch ist der Weltmeister umstritten.
  • Bundestrainer Joachim Löw steht vor dem Portugal-Spiel vor einer schwierigen Entscheidung.
Eine Analyse

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Toni Kroos sah erschöpft aus, der Kopf rot, die Ringe unter den Augen angeschwollen. "Wie ein 42-Jähriger morgens um 3 in der Schinkenstraße", schrieb ein Witzbold auf Twitter. Und tatsächlich waren Kroos die Strapazen des Frankreich-Spiels buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Nach der größtmöglichen Herausforderung gegen den Weltmeister und die beste Umschaltmannschaft der Welt darf man aber auch abgekämpft sein - selbst wenn man erst 31 Jahre alt ist.

Es hatte aber schon etwas symbolträchtiges, wie Kroos da stand und die Fragen am ZDF-Mikrofon beantwortete. Und wie er sie beantwortete. Denn Kroos, daran ließ er keinen Zweifel, hätte sich sehr gut auch mindestens einen Punkt für die deutsche Nationalmannschaft vorstellen können.

"Wir haben in meinen Augen ein gutes Spiel gemacht, wir hatten gute Chancen, nicht weniger als die Franzosen. Ein unglückliches Tor hat das Spiel entschieden. Wir haben vieles sehr gut kontrolliert, ich habe sehr wenige französische Konter gesehen. Was uns gefehlt hat, war ein Tor", sagte Kroos.

Das konnte man so sehen, inhaltlich falsch war die Analyse nicht. Aber so erzählte sie eben auch nur die halbe Wahrheit. Denn Torchancen hatte die deutsche Mannschaft exakt eine und während der ehemalige Weltmeister am Limit spielte, kontrollierte der amtierende Weltmeister die Partie auch ohne viel Ballbesitz und hätte - so das Gefühl - jederzeit noch einen Gang höher schalten können.

Einer der letzten 2014er-Granden

Um Kroos, der wegen einer Corona-Infektion zwei Wochen pausieren musste und etwas später ins Trainingslager der deutschen Mannschaft eingestiegen war, rankten sich vor dem Frankreich-Spiel viele Gerüchte.

Da ging es um seinen Stammplatz im Auftaktspiel, um die Perspektive für das gesamte Turnier und auch um seine Zukunft darüber hinaus. Man fühlte sich ein wenig zurückversetzt in den Herbst 2018, als die Debatten ähnlich waren.

Kroos war neben Matthias Ginter unter den Feldspielern der einzige aus der 2014er-Weltmeistermannschaft, der dem Radikalschlag nicht zum Opfer fiel oder von sich aus die Brocken hin warf. Nacheinander sortierte Bundestrainer Joachim Löw die alten Granden aus, Kroos blieb neben Torhüter Manuel Neuer und sollte beim Wiederaufbau das Rückgrat einer neuen Mannschaft bilden.

Damals haben das nicht alle verstanden, weil Löw damit ja auch immer den Eindruck eines "Umbruchs light" vermittelte, die Nibelungentreue des Bundestrainers zu einzelnen Spielern zieht sich wie ein roter Faden durch dessen Amtszeit. Zumal Kroos damals einer derjenigen war, die für die Polarisation innerhalb der Mannschaft gesorgt hatte.

Schon vor dem Turnier in Russland kritisierte er die jungen Spieler nach einem Testspiel gegen Brasilien und mahnte deren Einstellung an. Während des Turniers selbst bildeten sich dann jene Grüppchen, die Alten gegen die Neuen, und sorgten so für den Nährboden des größten Debakels der DFB-Geschichte.

Kroos: "Ich weiß, was ich dieser Mannschaft geben kann"

Es gab Experten, die auch Kroos einen Abgang aus dem DFB-Team nahelegten und die sich immer auch dann bestätigt fühlen, wenn die Mannschaft mal wieder einen Rückschlag erleidet. Wie etwa beim 0:6 gegen Spanien im letzten Herbst. Oder wenn sich Kroos etwas zu selbstbewusst und vielleicht auch leicht patzig erklärt. So wie nun nach dem Frankreich-Spiel. Das weckt Erinnerungen an den Sommer 2018, als die deutsche Mannschaft sich mit ihrer Selbstüberschätzung massiv verhob.

Keine 24 Stunden nach der Niederlage gegen Frankreich rauschten dann auch schon wieder die Beschwerden über die Ticker. Berti Vogts meldete sich zu Wort, kritisierte das Zusammenspiel von Ilkay Gündogan und Kroos. Vor der Partie gegen die Franzosen musste sich Kroos gegen Lothar Matthäus‘ Angriffe wehren. Der forderte im Mittelfeld einen Bayern-Block, Kroos wäre da eher "das größte Problem".

Dessen Konter: "Bei allem, was ich vom Lothar gehört habe, sollte ich das vielleicht eher als gutes Zeichen werten. Wenn ich mir von jedem Einzelnen die EM-Elf anschauen sollte, dann wird es wirklich anstrengend", sagte Kroos und legte nach: "Am Ende ist es so, dass ich seit elf Jahren spiele und ich übrigens nicht derjenige bin, der sich aufstellt. Ich denke, dass das einen Grund hat. Ich weiß nach wie vor, was ich dieser Mannschaft geben kann."

Vor- und Nachteile von Kroos' Spiel

Und das ist in den guten Momenten eine ganze Menge. Toni Kroos hat in seiner Karriere für zwei Klubs gespielt, den FC Bayern München und Real Madrid. Er hat mit diesen Vereinen alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Und das nicht als dritter Torhüter oder die Nummer 23 im Kader. Sondern als Stammspieler und Anführer.

Wie soll man einen Spieler kritisieren, der seit mehr als einem Jahrzehnt auf dem absoluten Topniveau Leistung bringt und in den besten Mannschaften der besten Klubs der Welt spielt? Das ist die eine Seite.

Die andere sieht so aus, dass Kroos ein Spieler für einen bestimmten Spielstil ist. Mit den Bayern, mit Real, mit der deutschen Nationalmannschaft ist und war Kroos stets der Favorit, das Spiel immer auf Dominanz und viel Ballbesitz ausgelegt. Da ist einer wie er, der Zwei-Kontakt-Spieler, die Passmaschine, die sauber verteilt und weiter vorne die gefährlichen Tiefenpässe spielt, ein Segen. Nun hat sich der Ansatz im DFB-Team aber verändert. Nicht ganz so radikal, wie Löw das ehemals noch ausgerufen hatte. Aber dieser totale Fokus auf Ballbesitz und Positionsspiel ist weg.

Die Mannschaft definiert sich nun mehr über Tempo, das offensive Umschaltspiel. Sie ergeht sich nicht mehr so oft in langen Ballstafetten, soll geradliniger spielen. Und sie muss dann auch etwas anders verteidigen, auch im zentralen Mittelfeld. Gegen Frankreich mit seinen Urgewalten N‘Golo Kante und Paul Pogba in der Schaltzentrale schien Kroos ein paar Mal mit deren Athletik und Tempo überfordert.

EM 2021: Älteste Startelf unter Joachim Löw

Löw schickte gegen die Franzosen eine Startelf mit einem Durchschnittsalter von 28,5 Jahren ins Rennen. Eine der älteren Formationen im Teilnehmerfeld. Mit dem angekündigten Umbruch war da nicht mehr viel: Nie war eine Startelf unter Löws Regie als Bundestrainer älter.

Löw muss ja auch keine Rücksicht mehr nehmen auf die Entwicklung seiner Mannschaft, in ein paar Wochen oder ein paar Tagen wird er nicht mehr Bundestrainer sein. Dann soll Hansi Flick den Neuaufbau vorantreiben, mit dem Fernziel der EM 2024 im eigenen Land.

Mit dem Abschneiden bei der aktuellen EM hängen auch die Planungen für die Zukunft zusammen. Ein frühes Scheitern würde die Rufe nach noch mehr Veränderung laut werden lassen und unweigerlich fällt dann auch der Name Toni Kroos wieder. Der will sich noch nicht zu seiner Zukunft äußern - dürfte seine Entscheidung aber auch sehr davon abhängig machen, wie er selbst die EM zu Ende spielen darf. Ob als Stamm- oder Ergänzungsspieler.

Gegen Portugal muss die deutsche Mannschaft punkten, sonst wird es eng mit der K.-o.-Runde. Sie wird offensiver spielen müssen, die Mittelfeldspieler müssen dafür auch bis an und in den gegnerischen Strafraum nachrücken.

Eine Anforderung wie gemalt für Leon Goretzka, der wieder fit ist und vehement in die Startelf drängt. Dazu könnte Löw zum 4-3-3 zurückkehren, womit Joshua Kimmich wieder eine Alternative für die Mittelfeldzentrale wird. Als Sechser hinter zwei Achtern. Bundestrainer Löw böten sich dann vier Spieler für drei Positionen, einer ist zu viel. Und tatsächlich könnte es sein, dass Toni Kroos am Samstag nur auf der Bank sitzt.

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