Paris Saint-Germain stoppt den Lauf von RB Leipzig und verhindert ein mögliches deutsches Finale. Die Franzosen zeigen sich dabei erstaunlich gereift und bringen auch ihren sonst etwas sperrigen Trainer ins Schwärmen.
Für eine Ansammlung egozentrischer Individualisten war das eine ziemlich ausgelassene Feier.
Die Spieler von Paris Saint-Germain bildeten einen engen Pulk, hüpften und lachten, einige purzelten übereinander. In den Katakomben des Estadio da Luz ging es dann weiter, die üblichen Filmchen erreichten noch in der Nacht die Außenwelt, halbnackte Körper eng umschlungen,
Diese beiden und noch so rund 30 bis 40 andere Angestellte von PSG waren für den erst zweiten Europapokal-Finaleinzug in der 50-jährigen Geschichte des Klubs verantwortlich, da darf man schon mal ausgelassen feiern - und dieses gar nicht mehr ganz so neuen Gemeinschaftsgefühl zur Schau stellen, das viele bisher übersehen wollten.
Paris widerlegt Klischee von Söldnertruppe
Das Klischee von der zusammengekauften Söldnertruppe jedenfalls widerlegt Paris in diesen Tagen eindrucksvoll. Der 3:0-Sieg im Champions-League-Halbfinale gegen RB Leipzig war nicht nur ein Erfolg der individuellen Klasse, sondern eine Mannschaftsleistung. Das mag überraschen bei einem Team, das sich in den letzten Jahren oft genug der Lächerlichkeit preisgegeben hat in wichtigen Spielen, das letzte Saison einen 2:0-Vorsprung im heimischen Stadion gegen Manchester United aus der Hand gab, das vor ein paar Jahren beim unwirklichen 1:6 im Camp Nou gegen den FC Barcelona auf den letzten Metern in sich zusammenfiel. Aber in Paris ist offenbar etwas passiert in den zurückliegenden Monaten.
PSG werde immer die Mentalität einer kleinen Mannschaft nachgesagt. "Wir sind keine kleine Mannschaft! Wir definieren uns nicht nur über die Einzelqualität, und das zeigen wir und werden derzeit dafür belohnt", sagte
Tuchel nimmt sich selbst zurück
"Unsere Mannschaft ist zusammengewachsen, das ist uns gelungen. Wir haben Klebstoff dazu geholt, Spieler wie Keylor Navas, Pablo Sarabia, Ander Herrera, auch Idrissa Gueye", führte Tuchel aus und zählte die paar Routiniers auf, die dem Kader offenbar diese lange vermisste Zutat zuführten. Erfahrung, eine gewisse Gelassenheit in großen Spielen und den Teamgeist, der Träume verwirklichen soll. "Wir haben Qualität und Hunger gezeigt, haben eine Verbissenheit entwickelt und waren auch uneitel, wenn es erforderlich war", fasste Tuchel einige sehr entscheidende Faktoren für den klaren Sieg über Leipzig zusammen.
Uneitel war aber auch der Trainer selbst. Tuchel verzichtete darauf, seiner Mannschaft für ein besonderes Spiel einen besonderen Matchplan mit auf den Weg zu geben. Natürlich war die Mannschaft wieder einmal bestens vorbereitet, aber anders als etwa sein angeblicher Bruder im Geiste Pep Guardiola zuletzt gegen Lyon, verzettelte sich Tuchel nicht in seinen Analysen und einer überambitionierten Ausrichtung für seine Mannschaft. Der bald 47-Jährige hielt die Vorgaben offenbar so simpel wie möglich, er machte sich und seine Rolle nicht zu groß für dieses große Spiel und traf damit offenbar genau die richtige Linie.
Dabei war PSG - endlich mal - deutlich mehr als die Summe seiner Einzelteile. Natürlich machten Neymar und
Neymar als Sinnbild für gierige PSG-Mannschaft
Die ganze Gier dieser Mannschaft verkörperte aber ausgerechnet das schlampige Genie Neymar. Wer in den letzten Partien der bereits ausgeschiedenen Granden Juventus oder Barcelona genau hingeschaut hat, dem dürften unter anderem auch Cristiano Ronaldo und Leo Messi und deren große Unlust im Spiel gegen den Ball aufgefallen sein. Neymar stand bisher auch nicht im Verdacht, besonders ausdauernd dem Ball hinterherzurennen. Gegen Leipzig und davor auch schon gegen Bergamo war der Brasilianer aber tatsächlich ein unerbittlicher Balljäger, rieb sich in etlichen Defensivzweikämpfen auf.
Und weil Neymar dann auch noch das Märchen vom Ego-Zocker widerlegte, war seine Mannschaft schon zur Halbzeit so gut wie im Endspiel: Kein Spieler hat seit 2013, als er erstmals in der Champions League auftauchte, mehr Tore für einen seiner Mitspieler aufgelegt als der Brasilianer. Der schicke Hackentrick vor di Marias Tor war Neymars 23. Assist im 59. Champions-League-Spiel. Es war das 2:0 kurz vor der Pause und der vorgezogene Todesstoß für Leipzig.
Nagelsmann: "Das muss man akzeptieren"
Anders als Tuchel reagierte
Für Leipzig war das Tor tatsächlich mehr als ein Nackenschlag. Die Statik des Spiels änderte sich dadurch komplett, Leipzig musste seine eher zurückhaltende Strategie ändern und überdrehte dabei merklich. Am Ende foulte Nagelsmanns Mannschaft 34 Mal und killte damit jeglichen Spielfluss oder Rhythmus im Spiel. Den Bullen fiel im eigenen Ballbesitz wenig ein, die Mannschaft zerschellte förmlich an der Pariser Wand. "Der Gegner war schlicht besser als wir, das muss man dann auch einfach mal akzeptieren. Es muss sehr viel zusammenkommen, wenn wir auf dem Niveau mithalten wollen. Das ist keine Kritik, sondern wir sind auf einem Weg", so Nagelsmann.
Leipzig zufrieden mit CL-Saison
Für Leipzig endet damit die Tour durch Europa beziehungsweise die Champions League einen, vielleicht sogar zwei Schritte vor dem Ziel. "Wir haben den einen oder andere Fehler zu viel gemacht. Paris war heute einfach besser und hat verdient gewonnen", sagt Sportchef Markus Krösche nach dem wichtigsten Spiel der jungen Klubgeschichte. "Aber wir haben gezeigt, dass wir auf hohem Niveau mithalten können und unser Spiel durchsetzen können. Auch aus so einer Niederlage kann man sehr viel mitnehmen."
In ein paar Wochen soll es ja schließlich schon wieder weitergehen, mit der Bundesliga, mit der Champions League. Neue Spielzeit, neues Glück, hofft Krösche. "Und dann greifen wir in der neuen Saison wieder an!"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.