Im Champions-League-Halbfinale trifft Thomas Tuchel mit PSG auf Julian Nagelsmann und RB Leipzig. Die beiden deutschen Trainer gelten nicht als die besten Freunde. Es steckt noch viel mehr Brisanz in diesem Duell.

Eine Analyse

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Liebesgrüße waren es nicht gerade, die Julian Nagelsmann an Thomas Tuchel richtete. An diesem Dienstag stehen sich die beiden deutschen Trainer mit ihren Klubs RB Leipzig und Paris Saint-Germain im ersten Champions-League-Halbfinale (21:00 Uhr, LIVE bei uns im Ticker) in Lissabon gegenüber.

"Das Verhältnis ist, seitdem er bei PSG ist, normal. Wir haben noch nie ein extrem inniges Verhältnis gehabt", sagte Nagelsmann nach dem 2:1 seiner Leipziger gegen Atlético Madrid bei Sky. Tuchel trainierte Nagelsmann in der Saison 2007/08 für kurze Zeit beim FC Augsburg II, danach gingen beide ihre Wege, die sich nun im Semifinale der Königsklasse kreuzen.

Julian Nagelsmann vs. Thomas Tuchel: Champions-League-Duell mit Brisanz

Es ist ein deutsches Trainer-Duell, in dem nicht nur wegen Nagelsmanns Aussagen viel Brisanz steckt. So geht es etwa auch um die richtige Idee von Fußball.

Und die Frage, ob Nagelsmann gerade dabei ist, Tuchel in der Hierarchie deutscher Trainer zu überholen. Atléticos Diego Simeone, ein besonders stolzer Mann seiner Zunft, musste das im Champions-League-Viertelfinale leidvoll erfahren.

Zur Einordnung: Simeones von gnadenloser Defensivarbeit geprägter Stil zielt darauf ab, den Fußball des Gegners zu zerstören. Tuchel gilt dagegen als Guardiolista, ein Anhänger des Fußballs von Ex-Bayern-Trainer Pep Guardiola aus der Schule des FC Barcelona.

Tuchel orientiert sich an Pep Guardiola

Diese Spielidee beinhaltet absolute Spielkontrolle, viel Ballbesitz gepaart mit Sicherheitspässen und schier endlosen zermürbenden Spielzügen, notfalls quer oder im vermeintlich unaufhörlichen Dreiecksspiel.

Der Fußball der Leipziger Nagelsmänner ist facettenreicher, vielseitiger und vor allem eines: explosiv. Atlético schnürten die Sachsen zeitweise am Sechzehner fest.

Was ein düpierter Simeone davon hielt, konnte man dem Argentinier am Gesicht ansehen.

RB Leipzig: Geballte Offensive unter Nagelsmann

RB Leipzig heißt geballte Offensive. Bei Ballgewinn bricht das RBL-Kollektiv überfallartig über den Gegner herein.

Aber: Die Sachsen beherrschen auch den dominanten Ballbesitz. Ermöglicht wird diese variable Spielidee durch einen überragenden Dayot Upamecano in der Innenverteidigung.

Der 21-jährige Franzose sichert in der Verteidigung jede Formation beinahe im Alleingang ab. Dabei perfektioniert er die Eigenschaft, zwischen den Ball und den Gegner zu kommen. Immer. Irgendwie. Ansonsten ist RB Leipzig unberechenbar.

Leipzig in der Champions League auch ohne Timo Werner erfolgreich

Tylor Adams, Christopher Nkunku, Nordi Mukiele, Angelino, Kevin Kampl, Yussuf Poulsen, Patrik Schick, Amadou Haidara – Nagelsmann kann auch ohne Timo Werner, der sich dem FC Chelsea anschloss, aus einem schier unerschöpflichen Fundus gleichwertiger Spieler setzen, die perfekt auf die Stärken des jeweils anderen abgestimmt sind.

PSG lebt dagegen wie andere europäische Top-Teams, zum Beispiel Juventus Turin (Cristiano Ronaldo), Real Madrid (Sergio Ramos) oder FC Barcelona (Lionel Messi), von der Qualität einzelner Spieler. In diesem Fall der Klasse von Kylian Mbappe, Edinson Cavani oder Neymar.

Tuchel hat großen Stress

Ein fragiles Starensemble, das nicht selten mit dem eigenen Trainer fremdelt. Keine Frage: Tuchel steht in der französischen Hauptstadt unter Dauerdruck – und Stress.

So wirkt der 46-Jährige in Paris seit langem dünnhäutig, beinahe griesgrämig. Auf einer Pressekonferenz tat er beispielsweise öffentlich seinen Ärger über den Transfer von Tanguy Nianzou Kouassi (18) zum FC Bayern kund, statt den jungen Franzosen gebührend zu verabschieden.

Und nach dem Sieg im Ligapokal gegen Olympique Lyon blaffte der bayerische Schwabe einen Reporter sauer an: "Zeigen Sie mir eine Mannschaft, die bei jedem Spiel vier oder fünf Tore schießt. Das ist nicht möglich. Für mich ist das klar: Sie finden immer etwas Negatives."

In Paris zählt schließlich nur der Henkelpott.

RB Leipzig im Champions-League-Halbfinale: Schlägt Nagelsmann Tuchel?

Nagelsmann und seine Mannen haben dagegen offensichtlich wieder zusammengefunden, nachdem die Rückrunde in der Bundesliga ziemlich durchwachsen verlief – und im dritten Platz anstelle der ersten deutschen Meisterschaft endete.

"Es geht um Entscheidungen, die jeder für sich treffen muss: Wollen wir das Gipfelkreuz erreichen, oder bleiben wir kurz davor stehen? Und genießen die Aussicht von ein bisschen weiter unten? Ist auch was Schönes!", hatte der 33-Jährige Ende Januar nach einem 0:2 bei Eintracht Frankfurt gesagt – und sein Team im Mai nach einem 2:2 gegen Hertha BSC als "Schülermannschaft" bezeichnet.

Duell um das Finale

Ob es eine Aussprache gab, ist nicht überliefert. Aber: Plötzlich greift sichtlich wieder alles ineinander.

"Leipzig hat Ähnlichkeiten mit der Ajax-Revolution und Holland von 1974. Zu diesem präzisen, schnellen Tanz mit dem Ball fügt Nagelsmann ein rasantes Tempo im Spiel ohne Ball hinzu", schrieb die spanische El Pais nach der Niederlage Madrids gegen RBL.

Und die AS meinte: "Julian Nagelsmann verpasst Simeone eine taktische Lektion." Folgt die nächste für seinen einstigen Coach Tuchel? Dieser steht ungleich mehr unter Druck – beim Showdown der beiden deutschen Trainer um das Champions-League-Finale.

Quellen:

  • Sky
  • Sportschau: Nagelsmann: „Gipfelkreuz erreichen, oder bleiben wir kurz davor stehen?“
  • Sport Bild: „Leipzig hat Ähnlichkeiten mit der Ajax-Revolution“
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