Torsten Frings spielte in seiner aktiven Zeit für den SV Werder Bremen und den FC Bayern München. Am Sonntag treffen seine Ex-Mannschaften in der Bundesliga aufeinander. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Frings über das mittlerweile ungleiche Duell, über Joshua Kimmich und Leon Goretzka sowie über mangelnde Vorfreude auf die Europameisterschaft.

Ein Interview

Herr Frings, am Sonntag treffen Bayern München und Werder Bremen aufeinander. Früher war das ein Top-Spiel der Bundesliga. Stellt sich mittlerweile nur noch die Frage, wie hoch Bayern gewinnt?

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Ich habe eigentlich die Einstellung, dass immer irgendwie etwas möglich ist und man positiv denken sollte. Aber wenn man ehrlich ist, muss man schon sagen, dass man einfach nur hofft, dass Werder ein gutes Spiel macht, sodass man zumindest vom Selbstvertrauen keinen Schaden für die nächsten Spiele nimmt. Ich glaube nicht, dass Bremen dorthin fährt und mutig spielt, um das Spiel zu gewinnen. Ich denke, sie setzen eher auf eine Abwehrschlacht und hoffen, dabei irgendwie gut wegzukommen. Dass Marvin Ducksch und Leonardo Bittencourt gesperrt sind, macht es noch schwieriger.

Sprechen wir erst einmal über Bremen: Werder hat sechs Punkte Vorsprung auf die Abstiegsplätze, ist aber die auswärtsschwächste Mannschaft der Liga und hat noch kein Auswärtsspiel gewonnen. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, schlussendlich doch im Abstiegskampf zu landen?

Ich glaube, dass Werder Bremen am Ende in der Bundesliga bleiben wird, aber dass es eng wird. Der Kader ist dünn besetzt, daher fordert Trainer Ole Werner auch Verstärkungen. Nur mit jungen Spielern ist es schwer, erfolgreich zu sein. Man braucht auch Erfahrung.

In Ihrer letzten Saison als Profi bei Werder Bremen spielte der Verein noch in der Champions League. Später kamen Sie noch einmal als Co-Trainer zurück. Was sind die Gründe dafür, dass Bremen in der Zwischenzeit den Anschluss an die Top-Mannschaften verlor?

Man hat sich zwei-, dreimal nicht für das internationale Geschäft qualifiziert, daraufhin wurde das Geld weniger. Zuletzt war Werder Bremen auch durch Corona stark gebeutelt und bekam große finanzielle Probleme. Es war für den Verein nicht einfach. Frank Baumann (Geschäftsführer Sport von Werder Bremen, Anm.d.Red.) ist nicht zu beneiden, denn er musste viel Geld einsparen und trotzdem Erfolg haben. Zum Glück hat der Verein nach dem Abstieg sofort den Wiederaufstieg geschafft. Man sieht ja, wie schwer es in der 2. Liga ist aufzusteigen, siehe HSV und Schalke.

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Für den FC Bayern München beginnt nun die entscheidende Phase in der Champions League und Meisterschaft. Wie ist Ihr Eindruck von der Mannschaft und Trainer Thomas Tuchel?

Ich glaube schon, dass Bayern eine absolute Top-Mannschaft ist. Für Tuchel war es nicht einfach, im vergangenen Jahr mitten in der Saison zu kommen. Man muss erst einmal vermitteln, was man möchte. Das dauert eben eine Zeit lang. Trotzdem haben sie noch glücklich die Meisterschaft geholt. Und wenn es beim FC Bayern einmal eng wird oder es nicht läuft, dann sind sie eben auch bereit, ordentlich Geld in die Hand zu nehmen. Dann holen sie einen Harry Kane für 100 Millionen Euro oder einen Min-jae Kim für 50 Millionen Euro. Das ist pure Weltklasse. In der letzten Saison hat ihnen einfach ein Spieler gefehlt, der vorne die Tore macht. Bayern ist eine Mannschaft, die sich immer Chancen erspielt. Aber wenn du keinen hast, der die Dinger über die Linie drückt, dann fehlt etwas. Das haben sie mit Harry Kane nachgeholt. Es ist fast schon unfassbar, wie schnell er sich eingelebt hat und wie schnell er auch den Fußball in der Bundesliga angenommen hat.

Joshua Kimmich wurde in den vergangenen Monaten von vielen Experten kritisiert. Nun gibt es Gerüchte um einen möglichen Abgang. Sie waren früher ebenfalls ein Spielertyp, der auf verschiedenen Positionen spielen konnte, vor allem aber im defensiven Mittelfeld. Wie bewerten Sie Kimmich?

Wenn du ein Führungsspieler sein willst und dich auch so darstellst, bekommst du als allererster Spieler die Kritik ab, wenn es nicht läuft. Dieser Verantwortung muss er sich stellen, wenn er ein Führungsspieler sein möchte. Das macht er auch. Für mich ist er ein Führungsspieler, für mich ist er auch ein Sechser. Er ist kein typischer Sechser, der so wie ich früher ein Abräumer ist und in allererster Linie darauf bedacht ist, dass man defensiv sicher steht. Er ist ein anderer Spielertyp und möchte auch seine Offensivaktionen haben. Ein Rechtsverteidiger ist er für mich nicht, weil er auf dieser Position nicht spielen möchte. Ein Spieler kann nur gute Leistungen bringen, wenn er die Position zu 100 Prozent annimmt. Das macht er nicht. Daher würde ich sagen: Entweder man lässt ihn auf seiner Wunschposition spielen oder gar nicht.

Frings nimmt Goretzka in Schutz

Leon Goretzka durchlebt eine sehr schwankende Saison. Glauben Sie, dass er bis zur Europameisterschaft noch einmal seine Top-Form findet?

Bis dahin haben wir ja glücklicherweise noch ein paar Monate Zeit, sodass er an seiner Form arbeiten kann. Für mich ist Goretzka ein Spieler, der der definitiv bei Bayern spielen muss. Wenn er fit ist, kann er das Spiel sehr gut ankurbeln, kann sehr torgefährlich sein und harmoniert mit Joshua Kimmich eigentlich sehr gut.

Leroy Sané und Jamal Musiala spielen eine sehr gute Saison. Sind das unsere großen Hoffnungsträger im Hinblick auf die Europameisterschaft?

Das sind Ausnahmespieler. Solche Künstler lassen sich nur selten in ein Konstrukt reinpressen. Man muss ihnen die Freiheit geben, sich zu entfalten. Dann können sie den Unterschied ausmachen. Damit sich solche Spieler entfalten können, brauchst du aber auch andere Spieler, die sich um die Defensive kümmern und den Künstlern den Rücken freihalten.

"Ich selber muss ganz ehrlich sagen, dass ich noch gar keine Vorfreude auf die Europameisterschaft habe."

Torsten Frings

Wie blicken Sie generell der Europameisterschaft aus deutscher Sicht entgegen? Die Stimmung ist nach den zuletzt schlechten Ergebnissen schlecht. Sehen Sie Parallelen zur Weltmeisterschaft 2006, die Sie als aktiver Spieler miterlebt haben? Auch damals war die Stimmung im Vorfeld nach der 1:4 Testspiel-Niederlage gegen Italien im Keller.

Ich glaube generell, dass sich so ein Sommermärchen nicht noch einmal wiederholen lässt. Das war damals einzigartig. Zudem war es eine Weltmeisterschaft. Das ist noch einmal etwas anderes als eine Europameisterschaft. Dennoch liegt es an der Mannschaft, dass sie mit einer guten Vorbereitung und einem guten Eröffnungsspiel das Feuer entfachen, sodass die Leute mitfiebern. Ich selber muss ganz ehrlich sagen, dass ich noch gar keine Vorfreude auf die Europameisterschaft habe. Die Leistungen waren nicht so, dass man sich darauf freuen könnte.

Frings vermisst beim DFB-Team einen Stürmer wie Klose

Welche deutsche Nationalmannschaft war auf dem Papier stärker? Die von 2006 oder die aktuelle von 2024?

Das sollen andere beurteilen, aber ich glaube, wir hätten uns vor der Mannschaft von heute nicht verstecken müssen. Wenn ich alleine an unsere Abwehr mit Philipp Lahm denke, davor Bastian Schweinsteiger, Michael Ballack, vorne hatten wir Miroslav Klose. Ein Stürmer mit der Qualität von Klose fehlt uns jetzt total.

Noch eine Abschlussfrage zur Bundesliga: Wer dürfte sich im Meisterschaftskampf zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen am Ende durchsetzen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Es wird auf jeden Fall eine enge Kiste. Leverkusen hat es in der eigenen Hand. Ich habe sie hier im Weserstadion gegen Werder Bremen gesehen. Das war herausragend. Bremen war chancenlos, wie ich es selten gesehen habe. Wenn sie diese Form beibehalten können, haben sie gute Chancen. Die Frage ist, ob sie den Ausfall von Victor Boniface gut kompensieren können und ohne weitere Verletzungen durch die Saison kommen.

Zur Person

  • Torsten Frings (Jahrgang 1976) spielte in seiner aktiven Zeit für Alemannia Aachen, den SV Werder Bremen, Borussia Dortmund, Bayern München und den FC Toronto. Er absolvierte 79 Länderspiele für die deutsche Nationalmannschaft und nahm an den Weltmeisterschaften 2002 und 2006 sowie an den Europameisterschaften 2004 und 2008 teil. Nach seiner aktiven Zeit war er Co-Trainer bei Werder Bremen sowie Cheftrainer beim SV Darmstadt 98 und dem SV Meppen.
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