• Die Saarländer haben gewählt: Im ersten Stimmungstest für die Ampel-Koalition geht die SPD als klare Siegerin hervor. Mit mehr als 43 Prozent der Stimmen wird Anke Rehlinger neue Ministerpräsidentin.
  • CDU-Kandidat Tobias Hans unterliegt hingegen deutlich.
  • Welche Bedeutung das für den Bund hat, erklärt Politikwissenschaftler Benjamin Höhne.

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Es ist ein bitterer Abend für die CDU: Während sie vor fünf Jahren noch auf 40,7 Prozent kam, muss sie bei der diesjährigen Landtagswahl im Saarland deutlich unterlegen (28,5 Prozent) der SPD das Feld überlassen. Mit einem vorläufigen Ergebnis von 43,5 Prozent hat Spitzenkandidatin Anke Rehlinger (SPD) einen klaren Sieg eingefahren. In den Prognosen wenige Tage vor der Wahl hatte sich der Machtwechsel im Saarland bereits abgezeichnet.

Laut dem vorläufigen Ergebnis gelang neben SPD und CDU nur noch der AfD mit 5,7 Prozent (2017: 6,2) der Einzug in den Landtag. Den Grünen fehlten dafür mit 4,99502 Prozent nach eigenen Angaben nur 23 Stimmen. Die FDP verpasste den Einzug ins Landesparlament mit 4,8 Prozent (2017: 3,3) ebenfalls. Einen Absturz erlebte die Linke, die mit 2,6 Prozent nur noch etwa ein Fünftel der Wählerschaft von 2017 (12,8) mobilisieren konnte.

Experte: Ergebnis von Saar-SPD ist zu großen Teilen Rehlingers Verdienst

"Es gab durch die Bundesebene Rückenwind für die SPD im Saarland", ist sich Politikwissenschaftler Benjamin Höhne sicher. Im vergangenen Jahr hatte die SPD die Bundestagswahl mit einem Ergebnis von 25,7 Prozent (+5,2 Punkte) gewonnen. Die CDU kassierte hingegen mit 18,9 Prozent (-7,9) einen herben Rückschlag.

Doch das jetzige Ergebnis im Saarland sei zu großen Teilen Rehlingers eigener Verdienst, sagt Höhne: "Sie genießt sehr hohe Popularitätswerte im Land und gilt als bodenständig und pragmatisch - anders, als ihr CDU-Gegenkandidat Tobias Hans, der sich zuletzt sprunghaft zeigte."

Die kleineren Parteien hätten vor allem unter internen Querelen gelitten: So drückte der Parteiaustritt von Oskar Lafontaine das Ergebnis der Linkspartei, die AfD musste ohne Spitzenkandidat antreten, weil Mitglieder die Landesliste kurz vor der Wahl verlassen hatten.

"Ein Gesetz, auf das sich die SPD aufgrund ihrer Kanzlerschaft bei den kommenden Landtagwahlen verlassen könnte, gibt es aber sicherlich nicht", erinnert Höhne. Ein SPD-Siegeszug in Schleswig-Holstein oder in Nordrhein-Westfalen, wo jeweils im Mai gewählt wird, gilt also nicht als ausgemacht.

Landtagswahl Saarland 2022: Altes Wahl-Muster greift nicht mehr

"Nach wie vor sind die wichtigen Größen für Wahlergebnisse das Spitzenpersonal, die Programmatik und Wählerbindung", betont Höhne. In Nordrhein-Westfalen seien die Kandidaten der SPD (Thomas Kutschaty) und CDU (Hendrik Wüst) beide nicht besonders profiliert und über das Land hinaus bisher kaum bekannt.

Früher war hingegen ein Muster zu beobachten, das in Amerika als "Mid-Term-Effekt" beschrieben wird: "Eine Partei, die bei der Bundestagswahl stark war, konnte zu Beginn der Wahlperiode auch auf Landesebene gute Ergebnisse erzielen. Zur Mitte der Legislatur konnte die Regierungspartei im Bund wieder absacken, zum Ende wieder anziehen", blickt Höhne zurück. Das gelte heute aber weniger.

Ein möglicher "Merz-Effekt", auf den manche in der CDU angesichts der neu besetzten Spitze noch gehofft hatten, blieb im Saarland aus. "Die CDU kommt als Koalitionspartner nicht mehr infrage. Wenn die Grünen beziehungsweise die FDP im Landtag sind, stehen der SPD Alternativen zur Verfügung", ist sich Höhne sicher. Dass das Wahlergebnis Merz über Maßen beschädigt, glaubt der Politikwissenschaftler allerdings nicht.

"Merz ist erst seit Januar Parteichef. Eine Partei neu auszurichten erfordert Zeit, die muss man ihm geben", sagt er. Dass es im Saarland schwierig wird, habe man im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin auch so eingeschätzt. "Die Verantwortung liegt vielmehr bei Tobias Hans. Ihm ist im Wahlkampf das Ruder aus den Händen geglitten", analysiert Höhne.

Neben einer unsteten Corona-Politik, hatte sich Hans Patzer im Wahlkampf geleistet: Beispielsweise fiel er negativ mit einem Twitter-Video auf, in dem er sich in populistischem Ton vor einer Tankstelle äußerte. Für ihn fällt die Klatsche daher besonders hart aus: "Es ist schon erstaunlich, dass die SPD ohne Ministerpräsidentenbonus auf so ein gutes Ergebnis kommt - obwohl der Trend für Volksparteien eigentlich in die andere Richtung weist", sagt Höhne.

Höhne: Wer sich mit attraktivem Personal aufstellt, hat Chancen

Im Gesamttrend würden die kleinen Parteien stärker, nun beobachte man im Saarland einen Zulauf für die SPD. "Für die Volksparteien heißt das: Wenn sie sich programmatisch profiliert mit attraktivem Personal an der Spitze aufstellen, dann besteht die Chance an Ergebnisse alter Zeiten anzuknüpfen", meint Höhne.

Von einer Renaissance der Volksparteien will er aber nicht sprechen. "Ihr Abschwung hat soziostrukturelle Gründe", erinnert der Experte. Die einzelnen Sozialmilieus, an die SPD und CDU stets angeknüpft hätten, seien aufgelöst oder würden deutlich schwächer. "Die dauerhafte gesellschaftliche Basis bricht weg. Es kann dennoch gute Ergebnisse für die Volksparteien geben, aber diese sind kein Automatismus mehr", sagt Höhne.

Mit dem Sieg von Rehlinger besetzt die SPD mit acht Amtsinhabern wieder jeden zweiten Ministerpräsidentenposten. Zuvor war das Verhältnis zwischen SPD und CDU mit sieben zu sieben ausgeglichen. Die Durchsetzungsfähigkeit der Politik der Ampel-Koalition hat sich durch die Saarwahl im Bundesrat aus Sicht von Höhne deshalb verbessert.

Auswirkungen im Bundesrat sind gering

Im Bundesrat halten sich die Auswirkungen aber in Grenzen: Insgesamt sind die Landesregierungen stark zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien durchmischt, bislang werden nur Rheinland-Pfalz und Hamburg ausschließlich von Ampel-Parteien regiert. Sie kommen zusammen auf 7 von 69 Stimmen im Bundesrat.

"Das Gewicht des Saarlandes als eines der kleineren Bundesländer sollte man nicht überschätzen", sagt Höhne. Es könnte nun drei weitere Stimmen für die Ampel beisteuern - noch immer 25 Stimmen von einer Mehrheit im Bundesrat entfernt. Dafür wären nämlich 35 Stimmen notwendig.

Über den Experten: Dr. Benjamin Höhne ist stellvertretender Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung (IParl) in Berlin. Er ist studierter Diplom-Politologe und lehrt aktuell am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Im Sommersemester 2022 forscht er in Washington D.C. zu Populismus und Gender. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Parteien.
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