• Hendrik Wüst ist Ministerpräsident in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland - und will es bleiben.
  • Warum er vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag optimistisch ist, warum er glaubt, dass Politiker Ecken und Kanten brauchen und wo er seinen Beitrag zum Erfolg der CDU sieht, verrät er im Interview mit unserer Redaktion.
Ein Interview

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Herr Wüst, haben Sie sich bei Ihrem Parteifreund Tobias Hans im Saarland abgeschaut, wie man es nicht macht? Auch er kam in einer Legislaturperiode ins Amt des Ministerpräsidenten, die erste Wahl ging krachend verloren...

Hendrik Wüst: Die Situation ist in vielerlei Hinsicht nicht vergleichbar.

Warum nicht?

Weil die Konstellationen völlig unterschiedlich sind – und damit auch die Rahmenbedingungen für die Wahl.

Sie bauen also auf Ihren Amtsbonus, auch wenn Sie erst seit einem halben Jahr Ministerpräsident sind?

Als ich das Amt des Ministerpräsidenten übernommen habe, lag meine Partei teilweise deutlich zweistellig zurück. Inzwischen liegen wir in vielen Umfragen vorne oder mindestens gleichauf. Insofern stimmt der Trend.

Ihr SPD-Konkurrent Thomas Kutschaty setzt im Wahlkampf auf die Unterstützung von Kanzler Olaf Scholz, Sie hatten kürzlich einen Wahlkampfauftritt in Olpe zusammen mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder. Reicht Ihre alleinige Strahlkraft nicht aus?

Ich freue mich über breite Unterstützung aus meiner Partei, aber wichtiger sind die Themen in Nordrhein-Westfalen. Es geht um sichere Arbeitsplätze, im Schulterschluss mit den Gewerkschaften und der Wirtschaft, wie es in Nordrhein-Westfalen gute Tradition ist. Es geht um die grassierende Inflation und explodierende Energiepreise und um Entlastung, damit die Menschen sich das normale Leben noch leisten können. Es geht um beste Bildung, damit unsere Kinder die besten Startchancen ins Leben haben. Diese Themen sind entscheidend für die Landtagswahl.

Ihr Parteichef Merz war vor Ort in der Ukraine – vor Kanzler Scholz. Finden Sie das gut und erhoffen Sie sich dadurch auch Werbung für Sie und die CDU im Wahlkampf?

Ich finde das gut und ich habe hohen Respekt davor. Man sieht auch an den Reaktionen in der Ukraine, dass man für dieses starke Zeichen der Solidarität sehr dankbar ist. Aber das hat auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen keinen Einfluss.

NRW ist ein energiehungriges Bundesland – wie stehen Sie zu einem Importstopp von russischem Gas, Öl und Kohle?

Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Abhängigkeit von russischer Energie. Gerade in Nordrhein-Westfalen hängen zigtausend Arbeitsplätze an einer sicheren und preiswerten Energieversorgung. Deshalb sind drei Schritte notwendig: Erstens, wir müssen neue Lieferbeziehungen für Gas so schnell wie möglich aufbauen. Da geht unser Blick immer nach Westen, zu den niederländischen und belgischen Häfen, weil sie einfach geographisch näher sind. Zweitens, wir müssen beim Ausbau der erneuerbaren Energien, insgesamt schneller werden. Der dritte Schritt ist für Nordrhein-Westfalen besonders relevant, aber politisch auch besonders schwierig.

Nämlich?

Bereits in meiner Regierungserklärung nach meiner Wahl zum Ministerpräsidenten habe ich deutlich gemacht, dass ich bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen möchte, wenn es irgendwie möglich ist. Klimaschutz und Industrie zu versöhnen, um gute Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu gewährleisten, ist die größte Aufgabe unserer Generation. In der aktuellen, außergewöhnlich schwierigen Situation sollten wir als Rückversicherung gegen eine Abhängigkeit von Russland unsere Kraftwerke aber nicht alle unwiederbringlich bis 2030 abschalten, sondern in die Reserve geben. Das sind in diesem und im nächsten Jahr allein sechs Braunkohlekraftwerksblöcke in Nordrhein-Westfalen. Das ist keine leichte Entscheidung, aber das gehört dazu, wenn man die Verantwortung für 18 Millionen Menschen und einen großen Industriestandort trägt.

Wofür steht eigentlich der Politiker Hendrik Wüst?

Wenn die Menschen mir wieder das Vertrauen schenken, eine Regierung zu führen, dann gibt es viele wichtige Themen. Eines ist, für Sicherheit zu sorgen. Das bedeutet sichere Arbeitsplätze, aber auch innere Sicherheit. Das zweite Thema ist: Entlastung der normalen Leute. Eine warme Wohnung oder der Weg zur Arbeit darf kein Luxus werden. Und das dritte Thema, das mir wichtig ist und auch schon in meiner Regierungserklärung eine zentrale Rolle gespielt hat, betrifft unsere Kinder: Wir wollen den Kindergartenbesuch komplett beitragsfrei machen, 10.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer einstellen und die Schulen digital fit machen – das sind die Themen, für die ich stehe.

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Wenn man Ihre Homepage ansurft, wird man mit dem Zitat konfrontiert: "Herausforderungen muss man annehmen. Hindernisse überwinden. Für seine Überzeugungen auch mal den unbequemen Weg gehen." Wo sind Sie denn mal den unbequemen Weg gegangen?

Also wenn Sie sich meinen Lebenslauf angucken, dann sehen Sie eine ganze Menge auch unbequemer Wege. Ich lasse mich aber von Rückschlägen nicht bremsen. Ich bin jetzt seit einem halben Jahr Ministerpräsident im größten deutschen Bundesland. Erst ging es um die Corona-Pandemie, jetzt auch um den Krieg in der Ukraine und seine Folgen bei uns – mit Bequemlichkeit war da nicht viel. Ich scheue Herausforderungen nicht.

Kann man es sich als Spitzenpolitiker heutzutage noch leisten, Ecken und Kanten zu haben?

Man muss authentisch sein und auch mal zulassen, dass sich Menschen an einem reiben. Gute Politik wird von Menschen gemacht, die auch als Menschen erlebbar sind, mit all ihren Stärken und Schwächen.

Wo sind Ihre Ecken und Kanten?

Das sollen lieber andere bewerten.

Haben Sie sich bei Ihrem Vorgänger Armin Laschet etwas abgeschaut?

Es gehört zu seinen großen Stärken, zusammenzuführen und Zusammenhalt zu stiften. Das ist eine gute Eigenschaft für einen Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen, die ich gerne weiterlebe.

Und was wollen Sie anders machen als Laschet?

Wir sind unterschiedliche Typen und stammen auch aus einer unterschiedlichen Generation. Aber schon als Christdemokraten eint uns sehr viel.

Sollten Sie die Wahl nicht gewinnen, würde das der gesamten CDU einen herben Schlag verpassen. Spüren Sie deswegen besonderen Druck?

Dass wir die Wahl gewinnen, ist vor allem wichtig für das Land. Deswegen arbeite ich als Amtsinhaber und Spitzenkandidat wie viele andere auch daran, dass genau das gelingt. Unser Ziel ist stärkste Kraft zu werden.

Bei einem Regierungswechsel würden Sie in die Geschichte eingehen als der NRW-MP mit der kürzesten Amtszeit...

Damit beschäftige ich mich nicht.

Die CDU schnitt zuletzt vor allem bei jungen und weiblichen Wählerschaften schlecht ab. Wie wollen Sie das ändern?

Mit einem guten politischen Angebot. Das betrifft das inhaltliche Programm, wie ich es bereits beschrieben habe. Aber auch unser starkes Team mit jungen und vor allem weiblichen Personen. Auf den aussichtsreichen ersten 20 Listenplätzen der Partei haben wir erstmals Parität. Die CDU Nordrhein-Westfalen ist so weiblich wie nie zuvor.

Ist das Ihr Verdienst?

Eine solche Landesliste ist immer auch geprägt durch Prioritäten, die der Spitzenkandidat und Vorsitzende setzt.

Haben Sie Befürchtungen, die SPD könnte Ihnen die FDP als Koalitionspartner wegschnappen?

Wir haben in den letzten Jahren vertrauensvoll und freundschaftlich mit der FDP Nordrhein-Westfalen vorangebracht: 400.000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, 10.000 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt und unser Land sicherer gemacht. Das ist ein gutes Fundament, auch für eine zukünftige Zusammenarbeit. Die Attraktivität der Ampel hat sowohl bei den Menschen in Deutschland als auch bei manchem Beteiligten deutlich abgenommen.

Zur Person: Privat liebt er das Radfahren. Für seine politische Karriere hat Hendrik Wüst allerdings den Turbo eingelegt. Mit nur 46 Jahren wurde der heimatverbundene Münsterländer Ministerpräsident in NRW. Er folgte während der laufenden Wahlperiode erst im Oktober 2021 dem nach Berlin gewechselten Armin Laschet - auch als Parteichef der NRW-CDU. Laschet hatte Wüst 2017 als Verkehrsminister in sein schwarz-gelbes Kabinett berufen. Zu Beginn seiner Karriere polarisierte Wüst als raubeiniger Generalsekretär. 2010 trat er infolge einer Affäre von dem Amt zurück. Als Regierungschef gibt er sich als solider, versöhnlicher Mann der Mitte.
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