- Niedersachsen hat gewählt – nicht ohne dabei aufmerksam von Berlin beobachtet zu werden. Denn die Landtagswahl war stark von bundespolitischen Themen dominiert und gilt als weiterer Stimmungstest für die Ampel.
- Nach ersten Hochrechnungen siegt die SPD deutlich, die FDP hat den Einzug ins Parlament verfehlt.
- Was bedeutet das für die Harmonie im regierenden Dreierbündnis? Politikwissenschaftler Benjamin Höhne erläutert die bundespolitische Bedeutung der Wahl.
Die SPD von Amtsinhaber
Die Grünen kommen in den ersten Hochrechnungen auf 14,5 Prozent der Wählerstimmen, die AfD kann ihren Stimmanteil mit 11,2 Prozent fast verdoppeln. Die FDP verpasst knapp den Einzug ins Landesparlament.
Kein Rückenwind aus Berlin
Der Wahlsieg der SPD läuft dem Bundestrend entgegen: Deutschlandweit hatte die SPD in der Sonntagsfrage seit Jahresbeginn immer weiter an Zustimmung verloren und landete zuletzt bei 17 Prozent. "Es gab einen Amtsinhaber-Bonus für die SPD", ist sich Politikwissenschaftler Benjamin Höhne sicher. Weil werde durch die Wahl zu einem bundespolitischen Schwergewicht.
Der 63-Jährige regiert Niedersachsen seit fast zehn Jahren. "Er hat jetzt auch von einem Krisen-Bonus profitiert: In Krisenzeiten versammeln sich die Menschen eher hinter der regierenden Partei", meint der Experte. Es stelle sich aber dennoch die Frage: Warum hat man trotz dieser günstigen Rahmenbedingungen nicht noch bessere Werte herausholen können?
"Weil wird weiterregieren können, aber er hat Punkte abgegeben", erinnert Höhne. Aus seiner Sicht hätte eine stärkere Führungsrolle von Kanzler Scholz aus Berlin sich positiv auswirken können und ihm mehr Rückenwind gegeben. Ein Glück, dass Weil die Kritik an der Ampel im Bund weitgehend umschiffen konnte. Und das, obwohl im niedersächsischen Wahlkampf Themen wie die Energiekrise und Inflation dominierten.
FDP bringt Instabilität in das Bündnis
"Zentrale Entscheidungen, die die Ampel in den letzten Wochen getroffen hat, standen aber nicht im Lichte der Niedersachsen-Wahl, etwa die beschlossenen Hilfsmaßnahmen und die Waffenlieferungen an die Ukraine", meint Höhne. Vermutlich hätte die Ampel-Regierung die Entscheidung einer AKW-Verlängerung bewusst auf die lange Bank geschoben. "Dort liegt Dissens innerhalb der Ampel vor", erinnert er.
Dass das Ergebnis in Niedersachsen einen unmittelbaren Effekt auf die Arbeit der Ampel-Regierung in Berlin haben wird, glaubt der Experte nicht. "Allerdings wird die Position der FDP durch die Wahl in Niedersachsen weiter geschwächt", ist sich Höhne sicher. Sie sei von Beginn an der unsichere Kantonist gewesen. "Sollte sich die demoskopische Zustimmung in den nächsten Wochen nicht erholen, wird sie zum Wackelkandidat und bringt Instabilität in die Koalition", analysiert der Experte.
FDP zahlt Preis für Regierungsbeteiligung
Dabei sei ein schlechtes Abschneiden der FDP nicht neu. "In Niedersachsen hat sich der Trend aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen fortgesetzt", meint Höhne. Die Strategie, die die FDP habe; nämlich in einer Koalition mit den beiden linkeren Parteien als bürgerliche Partei zu punkten, gehe nicht auf. "Sie hat es rein machtarithmetisch allerdings auch schwerer, wahrgenommen zu werden", meint Höhne.
Aus Sicht von Parteichef und Finanzminister Lindner zahlt die FDP damit den Preis für ihre Ampel-Beteiligung. "Denn viele unserer Unterstützerinnen und Unterstützer fremdeln mit dieser Koalition", sagte er am Wahlabend. Man sei in der Ampel-Koalition aus staatspolitischer Verantwortung und "nicht, weil SPD und Grüne uns von den inhaltlichen Überzeugungen so nahe stünden", so Lindner.
Manche würden die FDP als liberale Kraft nicht erkennen und glaubten, sie sei jetzt auch eine linke Partei und keine mehr der Mitte. In der Bundes-Ampel wirkt besonders Lindner in der Konstellation mit SPD und Grünen immer wieder ziemlich unglücklich. Das hat auf Niedersachen abgefärbt.
AfD wird zum Wahlgewinner
Auch die CDU konnte von ihrer Rolle im Bund und ihrer bisherigen Regierungsbeteiligung in Niedersachsen nicht profitieren: Spitzenkandidat Bernd Althusmann, der bereits 2017 Weil unterlag, kündigte noch am frühen Abend seinen Rücktritt als CDU-Landeschef an. Die Strategie, die Wahl zum Stimmungstest für die Bundes-Ampel zu machen ging nicht auf. Aufwind für die Opposition kommt aus Niedersachsen durch das erneute Scheitern also nicht.
Wahlgewinner ist hingegen die AfD, die deutlich zulegen kann. Vor fünf Jahren lag sie noch bei 6,2 Prozent, kommt nun aber auf ein zweistelliges Ergebnis. "Ein Ergebnis, das in einem westdeutschen Flächenland wie Niedersachsen ein Alarmsignal ist", meint Höhne.
Sie hat die Ängste der Menschen ausgenutzt. "Die AfD hat bestehende Sorgen in der Bevölkerung weiter angeheizt – bei Themen wie Energiesicherheit, einer möglichen Eskalation im Ukraine-Krieg und den steigenden Preisen", so der Experte.
Wirkliche Lösungen hatte die AfD dabei allerdings nicht. "Rechtspopulistische Parteien sind keine Akteure im Parteiensystem, die auf eine sach- und lösungsorientierte Politik abzielen. Sie sind Wählerstimmen-Maximierer", erinnert Höhne.
Zweier-Koalition ist möglich
Der daraus abzuleitende Appell an die Bundespolitik laute, den Zusammenhalt der Gesellschaft stärker in den Blick zu nehmen und die Unsicherheiten der Bevölkerung ernstzunehmen. "Das wird im Osten der Republik noch eine größere Herausforderung werden", ist sich Höhne sicher.
Die AfD habe aus allen Lagern Wählerstimmen ziehen können, außer von den Grünen. "AfD und Grüne bleiben klare Antagonisten", folgert der Experte. Mit einem soliden zweistelligen Ergebnis (14,5) und einem Stimmenzuwachs von über 5 Prozentpunkten können sich die Grünen Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung machen. Eine rot-grüne Regierung ist derzeit am wahrscheinlichsten.
Die Grünen sind Wunsch-Koalitionspartner von Ministerpräsident Weil, er hat mit ihnen schon von 2013 bis 2017 regiert. Im Vergleich zu damals ist die Verhandlungsposition der Grünen nun aber deutlich besser. Dass es für ein Zweier-Bündnis reicht, ist für Höhne ein Anzeichen dafür, dass sich die Fragmentierung des Parteiensystems reduziert. "Beide Parteien mit Volksparteienanspruch, SPD und CDU, sind relativ stark und es gibt Koalitionskonstellationen jenseits der Großen Koalition", sagt er. Dies sei gut für die deutsche Parteiendemokratie.
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