In Thüringen, Sachsen und Brandenburg werden im Herbst Landtage gewählt. Die AfD könnte dort stärkste Kraft werden. Damit rücken für die Partei neue Machtoptionen in greifbare Nähe.
Björn Höcke als Ministerpräsident - bislang ist dieses Szenario unwahrscheinlich. Doch in der Thüringer AfD träumen einige schon von der absoluten Mehrheit nach der Landtagswahl 2024.
Während Hunderttausende Menschen in Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, plant die AfD in Thüringen ein Schattenkabinett aufzustellen - mit AfD-Leuten für mögliche Ministerposten.
In Thüringen, sowie Sachsen und Brandenburg liegt die Partei in Umfragen auf Platz eins - mit Werten teils über 30 Prozent. Nach einer Infratest dimap-Umfrage kommt die AfD in Sachsen auch nach Veröffentlichung der Recherchen auf 35 Prozent - und wäre damit stärkste Kraft. Dagegen müssen SPD und Grüne um den Wiedereinzug in den Landtag bangen.
In Thüringen könnten Grüne und FDP rausfliegen - sollten beide an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würde die absolute Mehrheit für die AfD im Landtag näher rücken.
Auf den ersten Blick sei die AfD trotzdem "sehr weit" von der absoluten Mehrheit entfernt und damit von der Möglichkeit, allein zu regieren, sagt der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. Und eine Koalition mit der AfD schließen bislang zumindest alle im Landesparlament vertretenen Parteien aus.
In allen drei Ländern könnte die AfD wohl auch nur mit einer absoluten Mehrheit in Regierungsverantwortung kommen, weil alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit ablehnen.
Für mehr politische Macht braucht die AfD keinen Ministerpräsidenten
Experte Brodocz gibt aber auch zu bedenken: "Wir müssen berücksichtigen, dass es am Ende auf die Hälfte der Sitze im Landtag ankommt."
In einem Thüringer Parlament mit nur noch vier Parteien statt sechs könnte die AfD möglicherweise schon mit gut 40 Prozent die Hälfte der Sitze erhalten. "Das ist nicht ganz ausgeschlossen", so der Experte. Es komme also auch darauf an, ob eine Wagenknecht-Partei antritt und in den Landtag kommt.
Auch Ex-Bundesverfassungsschutzpräsident
Eine AfD in Regierungsverantwortung könnte Gerichte neu besetzen oder Einfluss auf den Verfassungsschutz nehmen, der in Brandenburg und Thüringen eine Abteilung des Innenministeriums ist. "Wir werden den Verfassungsschutz zurückpfeifen", sagte kürzlich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Brandenburger Landtag, Dennis Hohloch.
In sieben Monaten Wahlkampf kann sich aber noch vieles ändern. In Thüringen und Sachsen wird am 1. September gewählt, in Brandenburg drei Wochen später. Umfragewerte sind noch keine Wahlergebnisse und mit Unsicherheiten behaftet.
Doch auch ohne Regierungsbeteiligung könnten sich für die AfD bei guten Wahlergebnissen neue Möglichkeiten eröffnen. Das machen einige mögliche Szenarien am Beispiel Thüringen deutlich.
Szenario 1: Thüringer AfD als stärkste Kraft
Wird die AfD in Thüringen stärkste Kraft, kann sie nach den Gepflogenheiten des Parlaments einen Kandidaten als Präsidenten des Landtags vorschlagen. Fällt er bei der Wahl durch, wäre das Parlament zumindest vorerst nicht arbeitsfähig - eine womöglich einmalige Situation in Deutschland.
Würde der AfD-Kandidat dagegen gewählt, wäre dieser Leiter des Verfahrens der Ministerpräsidentenwahl. In Thüringen gibt es hier eine hitzig diskutierte rechtliche Frage: Ist ein Ministerpräsidentenkandidat im dritten Wahlgang auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt, wenn er allein antritt?
"Der Landtagspräsident oder die -präsidentin würde in diesem Moment darüber entscheiden, ob die Wahl erfolgreich war oder nicht", erklärt Brodocz. Später könnte sich der Verfassungsgerichtshof damit beschäftigen. "Aber erst einmal just in diesem Moment, wäre das zu entscheiden."
Nach außen repräsentiere der Präsident den Thüringer Landtag "und damit alle Abgeordneten, die vom Volk gewählt sind, er könnte für sich in Anspruch nehmen, das Volk als Ganzes zu repräsentieren".
Ein Landtagspräsident sei auch sehr autonom in seinen Entscheidungen - etwa beim Einladen von Staatsgästen. "Da könnten Leute im Thüringer Landtag auftauchen, mit denen man vielleicht vorher nicht gerechnet hat", sagt Brodocz.
Szenario 2: Mit einem Drittel der Sitze zur Sperrminorität
In den drei ostdeutschen Bundesländern könnte die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im jeweiligen Landtag erhalten. Für alle Abstimmungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, wären die Parteien dann auf das Wohlwollen der AfD angewiesen. Die AfD in Thüringen weiß das genau:
Schafft die AfD das, hätte sie in Thüringen eine machtvolle Stellung im Parlament, wie aus einer Übersicht der Landtagsverwaltung hervorgeht. Der Landtag könnte sich dann ohne AfD-Zustimmung nicht mehr auflösen, um eine Neuwahl herbeizuführen.
Die AfD könnte die Besetzung und damit die Arbeitsfähigkeit von Gremien blockieren, Richter und Staatsanwälte ernennen. Auch die Wahl eines Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Brodocz hält mit Blick auf aktuelle Umfragen die Wahrscheinlichkeit, dass die AfD in Thüringen eine Sperrminorität erhält, für hoch. Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller hatte im November angekündigt, diese Blockademöglichkeit auch nutzen zu wollen - etwa um Antifaschismus als Staatsziel in der Verfassung zu verhindern, was die Linke anstrebt. Man wolle keine "DDR-Verfassung", sagte Möller.
Auch die Besetzung eines Gremiums zur Kontrolle des Verfassungsschutzes - die parlamentarische Kontrollkommission - könnte die AfD in Thüringen mit einer Sperrminorität verhindern. Ein Einfluss der AfD gilt hier als besonders heikel, weil die Partei in Thüringen selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Szenario 3: Die AfD als Zünglein an der Waage
Aktiv mit der AfD zusammenarbeiten will in Thüringen keine der anderen in den Landtag gewählten Parteien. Inzwischen akzeptieren aber CDU und FDP die AfD als Mehrheitsbeschafferin für eigene Anträge oder Gesetzentwürfe. Beide Parteien betonen, dass es keinerlei Absprachen gibt.
Weil die Situation in Thüringen so kompliziert ist, halten es viele Beobachter für wahrscheinlich, dass erneut eine Minderheitsregierung gebildet werden muss. Würde diese von der CDU angeführt, ist nach diesem Modell eine unausgesprochene Tolerierung durch die AfD denkbar.
Möller etwa sieht gemeinsame Gesetzesänderungen mit CDU und FDP schon jetzt als "Gestaltungsmacht" für die AfD. Als Beispiel nennt er die Senkung der Grunderwerbssteuer, eine CDU-Initiative, für die die AfD die nötigen Stimmen lieferte.
Auf die Frage, ob es für die AfD eine gute Option sei, Mehrheiten zu beschaffen - etwa für eine Minderheitsregierung von CDU, SPD und FDP, sagt Möller: "Na klar!" Zugleich aber hält er eine solche Koalition mit Blick auf die Umfragen für "abwegig". "Dann träume ich doch lieber von einer absoluten Mehrheit als von sowas!", sagt er und lacht. (dpa/thp)
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