Bei den Europawahlen haben Parteien wie die AfD oder der französische Rassemblement National sehr gute Ergebnisse erzielen können. Das kann sich auch langfristig auf die Arbeit des Europäischen Parlaments und der europäischen Institutionen auswirken.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der erwartete Rechtsruck ist eingetreten. Bei den Europawahlen am 9. Juni sind neben bürgerlichen Mitte-Rechts-Parteien die Rechtsaußen-Parteien die klaren Sieger.

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In Deutschland büßte die AfD zwar einige Prozentpunkte ein, verglichen mit dem zeitweisen Umfragehoch von 20 Prozent. Am Ende haben die Enthüllungen rund um Remigrationspläne und die China-Verbindungen der Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron der Partei wohl doch geschadet.

Aber mit 16 Prozent liegt die AfD trotzdem knapp fünf Prozentpunkte über dem Ergebnis bei der Europawahl 2019 und feierte sich am Sonntagabend als Sieger. Besonders im Osten Deutschlands konnte die AfD punkten, dort wurde sie stärkste Kraft.

Frankreich, Österreich, Italien: Rechtsaußen auf dem Vormarsch

In Frankreich gewann der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen klar die Wahl. Mit 31,4 Prozent der Stimmen lag die Partei mit weitem Abstand vor der Partei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dessen Partei konnte magere 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Als Konsequenz kündigte Macron noch am Sonntagabend Neuwahlen an.

In Österreich siegten ebenfalls die Rechtspopulisten der FPÖ. Mit 25,7 Prozent der Stimmen lagen sie knapp vor der bürgerlichen ÖVP. In Italien gewannen die post-faschistischen Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wie erwartet die Wahl. Mit 28,8 Prozent der Stimmen konnten sie voraussichtlich zehn zusätzliche Sitze im EU-Parlament dazugewinnen.

Auch in Belgien siegte die rechtspopulistische Partei Vlaams Belang mit 13,9 Prozent der Stimmen. Die Partei setzt sich unter anderem für die Unabhängigkeit Flanderns von Belgien ein. In Ungarn holte Victor Orbans Partei Fidesz mit 44,6 Prozent trotz starker Konkurrenz durch die neu gegründete Partei Tisza von Orbans Herausforderer Peter Magyar den Wahlsieg und konnte die bisherigen Sitze im EU-Parlament verteidigen.

In den Niederlanden wurde die Partij voor de Vrijheid des Rechtspopulisten Geert Wilders zwar lediglich zweitstärkste Kraft, konnte aber mit 17,7 Prozent der Stimmen sechs Sitze im EU-Parlament dazugewinnen. In der laufenden Legislaturperiode hatte die Partei dort keine Abgeordneten. In Spanien wurde die rechtsextreme Partei Vox mit 9,6 Prozent der Stimmen dritter und sicherte sich zwei zusätzliche Sitze im EU-Parlament.

Unklare Koalitionen im EU-Parlament

Bisher ist noch nicht klar, wie genau sich die Rechtsaußen-Parteien im EU-Parlament zusammenfinden werden. In der Vergangenheit gab es zahlreiche Fraktionswechsel und Ausschlüsse. So wurde erst jüngst die AfD aus der Fraktion Identität und Demokratie (ID) ausgeschlossen. So sieht die aktuelle Sitzverteilung bei den Fraktionen aus:

  • Die rechtspopulistische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) erhält insgesamt 73 Sitze. Bisher hatte sie 69.
  • Die rechtsextreme Identität und Demokratie (ID) kommt auf 58 Sitze. Bisher hatte sie 49.
  • Die AfD zählt zu den Fraktionslosen. Sie erhält 15 Sitze. Insgesamt sind 100 Sitze Parteien zugesprochen, die (noch) keiner Fraktion angehören.

Trotz des starken Ergebnisses für die Rechtspopulisten und Rechtsextremisten sind diese daher weit von einer Mehrheit entfernt: Selbst wenn die EKR, die ID und die AfD sich zusammenschließen würden, kämen sie auf lediglich 146 Sitze. Auch mit anderen fraktionslosen rechten Parteien würden sie nicht über 200 Abgeordnete kommen. Die Mehrheit im Parlament liegt aber bei 361 Mandaten.

Ursula von der Leyen ist möglicherweise auf Rechtsaußen angewiesen

Einen wirklichen Einfluss hat der Rechtsruck zunächst vor allem dadurch, dass das Parlament die Wahl der Kommissionspräsidentin durchführt. Zwar gehört Ursula von der Leyen als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP) zu den Wahlsiegern, allerdings wird sie nur durch Zustimmung anderer Fraktionen ihr Amt an der Spitze der Kommission behalten können.

Hierfür müsste die EVP möglicherweise auf die Stimmen der Fraktionen EKR und ID zurückgreifen. Damit diese der Wahl zustimmen, würde von der Leyen Zugeständnisse machen müssen. In der Vergangenheit hatte sie eine Koalition mit EKR und ID nicht ausgeschlossen und erklärt, wer für die EU, für die Unterstützung der Ukraine und für den Rechtsstaat sei, komme als Partner infrage. Auch Giorgia Melonis Fratelli d’Italia käme daher für eine Zusammenarbeit infrage.

Zwar wäre eine Wahl auch möglich, wenn sich von der Leyen mit Stimmen der Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen wählen ließe. Allerdings fordern diese auch Zugeständnisse in Sachen Bürokratieabbau (Liberale), Klimaschutz (Grünen) oder Stärkung des Sozialstaats (Sozialdemokraten), die von der Leyen nicht unbedingt mitgehen möchte.

Blockade des EU-Parlaments und progressiver Themen

Außerdem sind rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien wie die AfD in der Vergangenheit durch ihre Blockade-Haltung im EU-Parlament aufgefallen. Anstatt konstruktiv mitzuarbeiten, Aufgaben und Berichte zu übernehmen, boykottierten viele Abgeordnete der Rechtsaußen-Parteien schlichtweg die Arbeit des Parlaments und stellen destruktive Anträge, die darauf abzielten, die EU als Institution infrage zu stellen.

Mit dem aktuellen Ergebnis ist zu erwarten, dass insbesondere im Bereich Klimaschutz, Europäische Integration und Migration progressive Projekte und Ideen wie der europäische Green Deal hinterfragt und boykottiert werden. Darauf werden auch die anderen Parteien und europäischen Institutionen reagieren müssen.

"Die politische Ausrichtung könnte sich in Richtung einer härteren Haltung gegenüber Migration und Asyl sowie einer weniger fortschrittliche Umweltpolitik verschieben", sagte Saskia Hollander vom niederländischen Thinktank Clingendael gegenüber dem "Tagesspiegel". "Und es könnten eine Verlangsamung des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft geben und stattdessen auf Industrien gesetzt werden, die von fossilen Brennstoffen leben."

Verwendete Quellen:

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