• Fast alle Parteien sind sich einig, dass der CO2-Preis in Zukunft steigen soll.
  • Damit steht der Politik ein sozialer Konflikt ins Haus.
  • Er könnte den anstehenden Bundestagswahlkampf beleben.

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Dass der Bundestagswahlkampf 2021 ein Klimawahlkampf werden dürfte, dafür sprach bislang eher wenig. Weniger deshalb, weil die erste Hälfte des Jahres historisch kalt war. Sondern eher, weil die Folgen der Corona-Pandemie noch lange nicht überwunden sind, und nach allen Gesetzen der Politik eigentlich andere Themen im Mittelpunkt des Wahlkampfes stehen dürften.

Doch seit dem 29. April ist diese Einschätzung überholt. Mit einem spektakulären Urteil hat das Bundesverfassungsgericht der Klimapolitik praktisch Verfassungsrang beigemessen, und sie mit neuer Dringlichkeit ausgestattet. Die Richter argumentierten, dass die aktuelle Klimapolitik die notwendigen CO2-Reduktionen in die Zukunft verschiebe, um so die Gegenwart mit politisch unbequemen und drastischen Maßnahmen zu verschonen. Auch wenn das aktuelle Klimaschutzgesetz entsprechend den Pariser Beschlüssen vorsehe, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral werde, mangele es an klar definierten Einsparzielen ab dem kommenden Jahrzehnt. Das Problem: Wenn die Politik jetzt nicht handele, müssten zukünftige Generationen so drastisch gegensteuern, dass sie ihrem wichtigsten Grundrecht beraubt seien: Der Freiheit.

In der Politik sorgte die Ansage des obersten deutschen Gerichtes für rege Betriebsamkeit. Bereits am Mittwoch, also weniger als zwei Wochen nach dem Urteil, legte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ein novelliertes Klimaschutzgesetz vor, das umfassende Nachbesserungen und schärfere Klimaziele enthält. Der CO2-Ausstoß soll nun bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 Prozent verglichen zum Jahr 1990 sinken, was einer Verschärfung um zehn Prozentpunkte entspricht. Und statt dem Jahr 2050 will Deutschland schon 2045 klimaneutral werden. Auch auf die Wirtschaft kommen größere Anstrengungen zu. So sieht das Gesetz etwa für die Energiewirtschaft zusätzliche Emissionseinschnitte von 67 Millionen Tonnen Treibhausgasen im Jahr 2030 vor. In Industrie und Verkehr werden Ende des Jahrzehnts jeweils Einschnitte von minus 22 Millionen Tonnen und minus zehn Millionen Tonnen fällig.

CO2-Bepreisung soll marktwirtschaftlich gelingen

Zwar flankiert die Bundesregierung ihre Klimapolitik mit großzügigen Förderprogrammen und mancher ordnungspolitischen Maßnahme. Doch die neuen Meilensteine auf dem Weg zur Klimaneutralität sollen wie zuvor nach Möglichkeit mit marktwirtschaftlichen Mitteln erreicht werden – über den Mechanismus einer CO2-Bepreisung. Schon seit Beginn dieses Jahres sind Unternehmen dazu verpflichtet, für jede Tonne CO2, die sie in den Verkehr bringen, ein Zertifikat zu kaufen. Je teurer, desto größer der Anreiz, Emissionen zu sparen. Insbesondere der Immobilien- und der Verkehrssektor sind davon betroffen.

Zwar sollen sich die Preise langfristig frei am Markt bilden, doch während einer Einführungsphase bis 2025 gilt noch für jede Tonne CO2 ein Festpreis. Aktuell liegt er bei 25 Euro, im kommenden Jahr soll er auf 30 Euro steigen, 2023 auf 35 Euro. Es gibt viele, die daran zweifeln, dass sich mit diesen Preisen die ambitionierten Klimaziele erreichen lassen, etwa die Denkfabrik Agora Energiewende. Sie rechnet mit einem Preis von 100 Euro pro Tonne CO2, der notwendig sei, um das verbleibende CO2-Budget von rund sechs Milliarden Tonnen nicht zu reißen. Andernfalls bliebe nach 2030 nicht mehr viel übrig. Damit würde aber genau der Zustand eintreten, den das Karlsruher Urteil eigentlich verhindern will.

Bei den Parteien gibt es deshalb einen breiten Konsens, dass Preiserhöhungen schon in naher Zukunft notwendig sein werden. Die Grünen fordern etwa 60 Euro ab 2023, die CSU 45 Euro ab dem kommenden Jahr und die CDU spricht zumindest von einem "höheren CO2-Preis", ohne sich bislang auf eine konkrete Zahl festzulegen. Ähnlich ist es bei der FDP. Lediglich bei der SPD hält man sich bedeckt. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bezeichnete steigende CO2-Preise zuletzt als "soziale Kälte".

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Das Tanken wurde bereits teurer

Das ist durchaus naheliegend. Immerhin steht der künftigen Bundesregierung mit dem Drehen an der CO2-Preisschraube ein sozialer Konflikt ins Haus, der politischen Sprengstoff birgt. Zwar ist unklar, wie genau die Unternehmen höhere Preise auf die Verbraucher umlegen werden. Dass sie es tun, ist aber ausgemachte Sache. Betroffen sind davon vor allem einkommensschwache Haushalte, die einen größeren Teil ihres Einkommens für die Deckung ihres Energiebedarfs aufwenden als Haushalte mit hohem Einkommen. Forscher des IMK Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung haben für eine Studie im Auftrag der Hans Böckler Stiftung ausgerechnet, dass bereits ein moderater Preis von 35 Euro ärmere Haushalte deutlich stärker treffen würde als Reiche. Stiege der Preis irgendwann auf 125 Euro, würden Geringverdiener bis zu drei Prozent ihres Haushaltsnettoeinkommens einbüßen. Bei den oberen 20 Prozent wären es hingegen nur wenige zehntel Prozent.

Dass die Teuerung alles andere als trivial ist, zeigt sich zum Beispiel an den Zapfsäulen. Nachdem der Verkehrssektor zu Beginn des Jahres in den nationalen Emissionshandel eingebunden ist, lag das Plus beim Liter Benzin bei rund sieben Cent. Stiege der CO2-Preis im nächsten Jahr auf 45 Euro, wie es die CSU vorschlägt, würde Benzin noch einmal 5,5 Cent und Diesel 6,2 Cent teurer werden. Die SPD lehnt eine solche Erhöhung mit Blick auf einkommensschwache und vor allem zornige Autofahrer ab.

Nicht weniger brisant geht es beim Thema Wohnen zu. Seit der Gebäudesektor in den nationalen Emissionshandel einbezogen ist, hat sich Heizöl um 7,9 Cent pro Liter verteuert, Erdgas um 0,6 Cent pro Kilowattstunde. Zahlen mussten bislang ausschließlich die Mieter, was für eine Familie mit einem Kind rund 86,60 Euro im Jahr entspricht. Erst kürzlich sah sich die Bundesregierung deshalb dazu genötigt, auch die Vermieter – trotz Protests aus der Vermieter-Lobby - an den Kosten zu beteiligen.

Wie können soziale Härten abgefedert werden?

Eine Frage, auf die die Parteien nun während des kommenden Wahlkampfs eine Antwort werden geben müssen, ist daher, wie eine effiziente CO2-Bepreisung aussieht, die soziale Härten nicht außer Acht lässt. Eine Möglichkeit, die insbesondere von Verbraucherschützern vorgeschlagen wird, wäre es, die Einnahmen durch die CO2-Bepreisung an die Bürger durchzureichen. Entweder durch eine Senkung der Strompreise oder durch staatliche Klimaschecks. Verbraucher, denen es gelingt, ihre CO2-Emissionen zu senken, könnten dann unter dem Strich sogar mit einem Plus herausgehen. Wie die Ausgestaltung am Ende gelingt – in einem sind sich fast alle Experten einig: Im Bundeshaushalt sollten die Einnahmen nicht versacken.

Besonders spannend wird es übrigens, wenn sich die CO2-Preise irgendwann tatsächlich am Markt bilden. Im europäischen Emissionshandel, der keine Festpreise mehr vorschreibt, findet aktuell eine echt Preisrallye statt: An der Börse wird ein Zertifikat für eine Tonne des klimaschädlichen Gases neuerdings für mehr als 50 Euro gehandelt - doppelt so viel wie vor einem Jahr, Tendenz steigend.

Verwendete Quellen:

  • Verbraucherzentrale Bundesverband: Möglichkeiten für eine verbraucherfreundliche CO2-Bepreisung bei Strom und Wärme
  • Agora Energiewende: Klimaschutz auf Kurs bringen - Wie eine CO2 -Bepreisung sozial ausgewogen wirkt
  • Hans-Böckler-Stiftung: Wirtschaftliche Instrumente für eine Klima- und Sozialverträgliche CO2-Bepreisung
  • Bündnis90/Die Grünen: Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021
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