Der Unionswahlkampf war bislang miserabel bis katastrophal. Doch plötzlich holt Armin Laschet auf. Die CDU kommt der SPD näher und die Stimmung dreht. Auch, weil unerwartet engagiert Angela Merkel plötzlich in den Ring steigt.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.

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Im Wahlkampffinale gibt es drei Überraschungen. Erstens holt die CDU in den Umfragen auf und macht das Rennen wieder spannend. Die Union war zwischenzeitlich auf 19 Prozent abgesackt, die SPD bis auf 26 Prozent gestiegen, nun hat sich der Abstand zwischen den beiden Volksparteien wieder halbiert. Die letzten Umfragen vor der Wahl zeigen, dass viele Wechselwähler immer noch unentschieden sind. Aufgrund der offenen Koalitionslage gab es nie so viele taktische Wähler wie diesmal, das könnte der Union helfen.

Zweitens greift Angela Merkel ungewöhnlich aktiv in den Wahlkampf ein. Anders als anfangs von ihr angekündigt, hält sich die Bundeskanzlerin nicht heraus, sondern unterstützt Armin Laschet mit einer bemerkenswerten Schlussoffensive.

Merkel tritt in der letzten Woche mit Laschet in Stralsund auf, dann mit Laschet und Söder in München und schließlich sogar noch in seinem Heimatort Aachen. Die Kanzlerin warnt bei den Auftritten lautstark vor einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken nach der Wahl.

Angela Merkel: "Wer schafft denn die Arbeitsplätze?"

Merkel kritisiert die Pläne, die Reichen-, Vermögens-, Unternehmens-, Erbschafts- und Einkommenssteuer zu erhöhen. Dies bedrohe letztlich Arbeitsplätze. "Wer schafft denn die Arbeitsplätze? Doch nicht der Staat." Verblüffend kämpferisch wird die Kanzlerin bei den Wählern darum, "dass Sie alles dazu beitragen, Deutschlands Wohlstand auch für die nächsten Jahre zu sichern" und die Sicherheit des Landes zu festigen. Laschet sei "derjenige, der das kann". Laschet ist damit im Finale das Kunststück gelungen, endlich die CSU an seine Seite zu bringen (seit dem Parteitag vor zwei Wochen dreht sich in Bayern die Stimmung) und auch das Merkel-Lager für sich zu mobilisieren. Das könnte unter den Kernwählern der CDU für die bislang fehlende Mobilisierung sorgen.

Drittens signalisieren die Grünen, dass sie bei einem Patt der Volksparteien keineswegs fest an der Seite der SPD stehen. Grünen-Chef Robert Habeck sagte dem Nachrichtensender "Welt" demonstrativ, die SPD sei häufig "Problembär" gewesen, "bei all den politischen Diskussionen für die Zukunft und gerade beim Klimaschutz". Gleichzeitig wisse man auch, wie man mit der Union klarkomme. Offensichtlich will sich Habeck die Tür zu einer Jamaika-Koalition offenhalten.

Aus strategischer Sicht ergibt diese Koalition für die Grünen deshalb Sinn, weil sie dann nicht als der ewige Juniorpartner der SPD angesehen würden. Das wiederum würde Habeck für 2025 eine eigene Kanzlerkandidatur ermöglichen. Habeck tritt in der letzten Woche in Münster, Essen, Bonn, Köln und Göttingen auf. Annalena Baerbock geht nach Freiburg, Karlsruhe, Würzburg und Potsdam. Gemeinsam beschließen sie ihren Wahlkampf in Düsseldorf - direkt bei Armin Laschet vor dessen Regierungstür.

CDU ruft das "Projekt 24" aus

Am Donnerstag vor der Bundestagswahl laden ARD und ZDF zur Mammut-Diskussionsrunde. Moderiert von den Leitenden der Hauptstadtstudios, Tina Hassel (ARD) und Theo Koll (ZDF), sollen Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten aller im Bundestag vertretenen Parteien aufeinandertreffen. Die Vertreter von Union, SPD, Die Grünen, AfD, FDP und Linkspartei streiten dann miteinander – wie in einer Vorab-Elefantenrunde.

Die CDU hat für die letzten 100 Stunden intern das "Projekt 24" ausgerufen. Denn Laschet brauche für die Eroberung des Kanzleramts keine breite Woge der Zustimmung, weder 40 noch 30 Prozent der Wählerstimmen. Die sind sowieso unrealistisch. Der CDU reicht es, am Ende knapp vor oder gleichauf mit der SPD zu landen und einen halbwegs legitimen Auftrag für die Koalitionsbildung zu erringen. Womöglich reichen Laschet dafür sogar 24 Prozent, was in der CDU deswegen für bittersüße Stimmung sorgt, weil Helmut Kohl im Jahr 1976 selbst 48,6 Prozent der Stimmen nicht reichten, um Kanzler zu werden.

Diesmal könnte hingegen exakt die Hälfte schon genügen. In der CDU-Zentrale hält man 24 Prozent für "absolut realistisch". Es reiche daher "vollkommen aus", wenn man den engsten Kreis der Kernwählerschaft in den letzten 100 Stunden mobilisiere. Dies werde in einem Schlussspurt "immer möglich", zumal seit zwei Wochen der Hoffnungsfunken im eigenen Lager wieder da sei.

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Die Union hofft auf das Septemberwunder

In der CDU-Zentrale hofft man zudem auf einen Duell-Effekt zwischen SPD und Union. Da die Frage, wer von beiden vorne liegen wird, am Ende alles entscheiden könnte, würden bürgerliche Wechselwähler sich im letzten Moment von der FDP weg und hin zur CDU bewegen. Im linken Lager sei dies zwischen Grünen und SPD bereits passiert. Aus der Berliner CDU-Zentrale wird kolportiert, dass zum Ende des Wahlkampfs eine Stärke Laschets sichtbar werde, die schon viele seiner politischen Gegner verblüfft hat - seine bemerkenswerte Resilienz.

Laschet hatte in seinem politischen Leben häufig aussichtslose, schon verlorene geglaubte Krisen durchlitten. Immer wieder musste er gegen umfragenbeliebtere Gegner antreten. Ob Hannelore Kraft oder Norbert Röttgen, Friedrich Merz oder Markus Söder - einen Konkurrenten nach dem anderen besiegte der vermeintlich lasche Weichspüler am Ende genau mit einem harten Überraschungs-Punch.

Keine Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne? Lauterbach warnt

Karl Lauterbach rechnet im Fall von Verdienstausfällen für Ungeimpfte in Quarantäne mit breiter Quarantäneverweigerung und sinkender Testbereitschaft. Er plädiert dafür, dass bundesweit das Arbeitsentgelt auch in der Quarantänezeit weitergezahlt werde. (Teaserbild: imago images/Political-Moments)

In der Union erinnern sich alle noch an Laschets Weihnachtswunder, als er vor 9 Monaten in Umfragen peinlich abgeschlagen hinter Friedrich Merz im Kampf um den CDU-Vorsitz lag - am Ende aber kurz vor dem Parteitag die Stimmung drehte. Oder auch ans Osterwunder, als Markus Söder alle Trümpfe im Kampf um die Kanzlerkandidatur in der Hand zu halten schien. Wieder war Laschet der Umfragen-Loser, und wieder gewann er in letzter Minute.

Diesmal hoffen die CDU-Strategen aufs Septemberwunder. Es sei Laschets defensive Spezialität geworden - die Gegner erst im entscheidenden Moment mit Angriffen zu überwältigen. Laschet hat Durchhaltevermögen, er verfügt über gewitzte Widerständigkeit und die Gabe, sich erst in der letzten Sekunde bei der politischen Reise nach Jerusalem auf einen Stuhl zu werfen. So wie auch bei der NRW-Wahl 2017. Ein Vertrauter meint: "Im Grunde braucht Laschet die Underdog-Situation, um richtig gut zu werden."

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