• Stacheldraht, Militär an der Grenze und ein Machthaber, der Migranten missbraucht, um die EU zu erpressen: Mehrere Tausend Menschen sitzen im Niemandsland zwischen Belarus und Polen fest.
  • Die polnische Polizei hat einen Bus von deutschen Flüchtlingsaktivisten gestoppt, die auf dem Weg zur Grenze nach Belarus waren.

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An der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus spitzt sich die Situation mit Tausenden gestrandeten Migranten weiter zu. Die polnische Polizei hat einen Bus von deutschen Flüchtlingsaktivisten gestoppt, die auf dem Weg zur Grenze nach Belarus waren. Der Bus der Initiativen "Seebrücke Deutschland" und "LeaveNoOneBehind" durfte am Dienstagabend wenige Kilometer vor dem Grenzübergang Kuznica nicht weiter Richtung Osten fahren. Die Aktivisten hatten zuvor Hilfsgüter wie Winterschuhe und Decken an eine polnische Organisation übergeben.

Ursprünglich hatten sie geplant, auf dem Rückweg Migranten nach Deutschland mitzunehmen. Das Bundesinnenministerium warnte jedoch, dass "eine unautorisierte Beförderung und eine etwaige unerlaubte Einreise" strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Ein Sprecher der Gruppe, Ruben Neugebauer, sagte: "Wir wollen hier ein Zeichen der Solidarität setzen. Es ist der Tag des Mauerfalls, und es wichtig, dass wir uns für Menschenrechte statt für Mauern entscheiden." Europa dürfe sich nicht von einem "Diktator" erpressen lassen.

Am Dienstagmorgen hatte Polen den Grenzübergang Kuznica, in dessen Nähe sich die Migranten im Wald aufhalten, geschlossen. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen - sie liegen rund 230 Kilometer beziehungsweise 70 Kilometer entfernt. Bei Bobrowniki bildeten sich zwischenzeitlich lange Staus.

Tausende Menschen liefen in Richtung polnischer Grenze

Am Montag waren polnischen Angaben zufolge Tausende Menschen - viele aus Krisengebieten wie Afghanistan und Irak - von belarussischer Seite aus in Richtung polnischer Grenze gelaufen. Größere Gruppen versuchten, die Zaunanlage zu durchbrechen. Laut polnischen Behörden hielten sich 3.000 bis 4.000 Migranten im Grenzgebiet auf. Bei Minusgraden verbrachten viele die Nacht in Zelten im Wald.

Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem autoritären belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Ein Großteil der Migranten und Flüchtlinge will nach Deutschland. In der ersten Novemberwoche hat die Bundespolizei 992 unerlaubte Einreisen mit einem Bezug zu Belarus festgestellt. Im Oktober registrierten die Polizeibeamten 5285 solcher Einreisen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte Ende Mai angekündigt, die Menschen auf ihrem Weg nach Europa nicht länger aufzuhalten - als Reaktion auf westliche Sanktionen gegen Belarus.

Polen spricht von Angriff des belarussischen Regimes

Polens Präsident Andrzej Duda sagte, die Migranten an der Grenze würden von belarussischer Seite blockiert, so dass sie das Gebiet nicht verlassen könnten. Das belarussische Regime greife die Grenze Polens und der EU auf bisher "beispiellose Weise" an, indem es Migranten de facto ins Land einlade und an die polnisch-belarussische Grenze dränge.

Die Situation an der Grenze sei derzeit unter Kontrolle, versicherte Duda. Es seien ausreichend Grenzschützer, Soldaten und Polizisten vor Ort. Eine Unterstützung seitens der Nato sei zunächst nicht notwendig, sagte Duda, der angab diesbezüglich in stetigem Kontakt mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu sein.

"Es ist eine ganz fiese politische Methode, die man auf jeden Fall unterbinden muss. Wir nennen das hybride Bedrohung, wo Menschen benutzt werden, um die EU und besonders Deutschland zu destabilisieren - das darf sich nicht durchsetzen auf der Welt!", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), wie sein Sprecher bei Twitter schrieb.

Krise trifft Bundesregierung zu Unzeit

Der geschäftsführende Minister hatte Polen bereits im Oktober Unterstützung angeboten und verstärkte gemeinsame Streifen an der deutsch-polnischen Grenze angeregt. Stationäre Kontrollen an diesem Grenzabschnitt hält Seehofer bislang nicht für sinnvoll.

Die Krise an der östlichen EU-Außengrenze trifft Deutschland in einer Zwischenzeit, da die aktuelle Bundesregierung nur noch geschäftsführend im Amt ist. Die möglichen neuen Regierungsparteien - SPD, Grüne und FDP - stecken mitten in den Koalitionsverhandlungen. Pro Asyl forderte von den Ampel-Parteien einen Neuanfang in der Flüchtlingspolitik. Die deutsche Politik müsse sich "ohne Einschränkungen für eine humanitäre Lösung und die Geltung der Menschenrechte in Europa stark machen".

In einem Antrag von CDU/CSU, über den an diesem Donnerstag im Bundestag beraten wird, heißt es, die Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene für Landeverbote und andere Sanktionen gegen solche Fluggesellschaften einsetzen, "die Migranten aufgrund der von Belarus missbräuchlich eingeräumten Visafreiheit befördern". Außerdem sei der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Belarus als "russischer Klientelstaat" Entscheidungen wie die vom Staat orchestrierte Schleusung von Migranten in die EU nicht alleine treffe.

EU arbeitet an weiteren Sanktionen

Die EU arbeitet bereits an weiteren Sanktionen. Sie sollen Fluggesellschaften und andere Firmen treffen, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt sind. Zudem will die EU auch den Druck auf die Herkunftsstaaten der Migranten sowie auf Transitländer erhöhen. Sie sollen dazu gebracht werden, eine Aus- beziehungsweise Weiterreise von Menschen nach Belarus zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

Ein Abkommen über Visaerleichterungen mit Belarus wird nach einer Entscheidung der EU-Staaten vom Dienstag in Teilen ausgesetzt. Der Schritt gilt den Angaben zufolge für "Amtsträger des belarussischen Regimes". Für sie wird es künftig aufwendiger und teurer, ein Visum für die Einreise in die EU zu bekommen.

Lukaschenko sprach mit Putin über Migranten

Lukaschenkos Pressedienst teilte am Dienstag nach einem Telefonat des Machthabers mit Russlands Präsident Wladimir Putin mit, dass die beiden über das "harte Vorgehen der polnischen Seite" gegen friedliche Menschen gesprochen hätten. "Besondere Besorgnis lösen die Tatsachen einer Verlegung von Streitkräften Polens an die Grenze aus", ließ Lukaschenko mitteilen.

In einem von Staatsmedien ausgestrahlten Interview behauptete er später, international organisierte Schleusernetzwerke seien für die Tausenden Migranten an der Grenze verantwortlich. Die Flüchtlinge nutzten diese Strukturen und bezahlten viel Geld, um ein besseres Leben im Westen zu finden

Wieder Grenzkontrollen an deutsch-polnischer Grenze?

Sollten andere Maßnahmen zur Eindämmung der Migrationsbewegungen aus Belarus nach Deutschland keine Wirkung zeigen oder nicht ausreichen, solle die Bundesregierung Vorkehrungen treffen, damit als letztes Mittel auch zeitlich befristete Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze eingeführt werden könnten, forderte die Unionsfraktion weiter.

Die Frage, ob Zurückweisungen von Asylbewerbern an einer EU-Binnengrenze praktikabel und rechtlich möglich sind, war in Deutschland zuletzt 2018 kontrovers diskutiert worden. Eine klare Antwort blieb die Bundesregierung bis heute schuldig.

Es müsse für die Migranten an der belarussischen Grenze eine humanitäre Lösung gefunden werden in der EU - "diesen Menschen muss geholfen werden", sagte hingegen der designierte SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Dienstag der "Bild"-Zeitung. Die Staaten der Europäischen Union müssten zugleich gemeinsam "dafür sorgen, dass keine neuen Flüchtlinge mehr nachkommen."

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der "Welt". "Erstens: Nein zu menschenunwürdigen Pushbacks. Und zweitens: Ja zu Solidarität." Zugleich müsse die Europäische Union ihre Sanktionen gegen Belarus verschärfen. "Für all die, die jetzt Zuflucht suchen, muss ein geregeltes Asylverfahren gewährleistet werden. Es braucht ein unbürokratisches Aufnahmeprogramm, in Deutschland und europaweit", sagte die Vorsitzende der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow.

Lob für die polnische Regierung kam von der AfD. Parteichef Tino Chrupalla sagte: "Wir danken der Regierung und den Sicherheitskräften der Republik Polen, die mit ihrem standhaften und aufopferungsvollen Einsatz nicht nur die Außengrenze der EU, sondern auch die Sicherheit Deutschlands und seiner Bürger verteidigen."  © dpa

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