• Wegen der Bedrohung durch Russland will die Bundesregierung ein Sondervermögen anlegen. In diesem Jahr sollen 100 Milliarden Euro in die Ausstattung der Bundeswehr fließen.
  • Dafür muss Bundesfinanzminister Christian Lindner zusätzliche Schulden aufnehmen.
  • Die Union ist skeptisch, die Linke kritisiert die Pläne scharf. Auch innerhalb der Ampel-Koalition formiert sich Widerstand. Vor allem die Grünen stehen unter Druck.
Eine Analyse

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Je größer eine Geldsumme ist, desto schwerer kann man sie sich häufig vorstellen. Das gilt auch für das Sondervermögen, das die Bundesregierung in diesem Jahr für zusätzliche Investitionen in die Bundeswehr aufsetzen will. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat es am Sonntag im Bundestag verkündet, 100 Milliarden Euro soll es schwer sein. Klar ist: Das ist eine große Summe: die finanzielle Seite der "Zeitenwende" nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

Die Ankündigung hat jedoch auch Fragen aufgeworfen: Wo kommt das Geld her? Was genau ist ein Sondervermögen? Am Montag kam innerhalb der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP noch eine weitere Frage auf: Ist das wirklich der richtige Schritt?

Spezieller Fonds, zusätzliche Schulden

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat am Montagmorgen im ARD-Morgenmagazin angekündigt, dass Deutschland "im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa" bekommen soll. Dazu soll das Sondervermögen dienen: Es wird sich Lindner zufolge um einen Fonds handeln, aus dem allein die "Stärkung der Bundeswehr" finanziert wird. Diesen Verwendungszweck will die Ampel-Koalition im Grundgesetz festschreiben, damit veränderte parlamentarische Mehrheiten daran in Zukunft nicht rütteln können.

Der Bund will dafür neue Schulden aufnehmen. Lindner sagte am Montagmorgen, dass es 2022 bei der schon von seinem Vorgänger Olaf Scholz geplanten Neuverschuldung von 99,7 Milliarden Euro bleiben soll. Ein Sprecher seines Ministeriums stellte am Montagmittag in der Bundespressekonferenz aber klar: Das Sondervermögen und der Bundeshaushalt sind zwei verschiedene Dinge. Nach dieser Lesart muss der Bund die 100 Milliarden Euro Schulden also noch zusätzlich aufnehmen.

Das Doppelte des aktuellen Verteidigungsetats

Um die Summe einordnen zu können, hilft ein Vergleich. Der gesamte Haushalt des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beträgt in diesem Jahr 87,5 Milliarden Euro – also weniger als das geplante Sondervermögen.

Andererseits betrug der Etat des Bundesverteidigungsministeriums im vergangenen Jahr laut Haushaltsplan auch schon 46,9 Milliarden Euro. Das waren 8,6 Prozent des Gesamthaushalts. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte am Montag, dass dieser "normale" Wehretat nicht Teil des Sondervermögens sein soll. Das würde also bedeuten, dass sich die Verteidigungsausgaben insgesamt in diesem Jahr ungefähr verdreifachen.

"Das Wort Sonder ist in dem Fall entscheidend", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag. Es gehe darum, die Landesverteidigung angesichts der Geschehnisse in der Ukraine neu aufzustellen. Hebestreit betonte aber auch, dass die Bundesregierung ihre Projekte in anderen Politikbereichen in diesem Jahr unverändert fortführen will.

Kritik von der Linken: eine Milliarde für den Pflegebonus, 100 Milliarden für die Bundeswehr

Ein Konflikt bahnt sich aber spätestens für das Jahr danach ab: 2023 will Christian Lindner die Schuldenbremse wieder einhalten. Gleichzeitig will die Bundesregierung künftig mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Beides zusammen wird wohl nur möglich sein, wenn andere Ministerien zurückstecken. Dabei hatte die Ampel eigentlich massive Zukunftsinvestitionen geplant - in Klimaschutz, Sozialleistungen oder die Verkehrsinfrastruktur.

Am Sonntag sollen auch manche Mitglieder der Regierungsfraktionen von der 100-Milliarden-Euro-Ankündigung überrascht gewesen sein. Die Opposition reagierte mit Skepsis oder Widerspruch. CDU-Chef Friedrich Merz kündigte an, man werde sich die Finanzierung genau anschauen müssen.

Die Linke lehnt die Aufstockung der Verteidigungsausgaben dagegen entschieden ab. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Nicole Gohlke zog auf Twitter einen Vergleich: Um einen Pflegebonus in Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro habe man anderthalb Jahre kämpfen müssen. Und nun werde "über Nacht" das Hundertfache für die Rüstung ermöglicht. "Ich komm nicht drüber weg", schrieb Gohlke.

Skepsis auch innerhalb der Koalition

Auf die Stimmen der Linken wird die Ampel-Regierung nicht angewiesen sein. Auf die der Grünen dagegen schon. Eine Partei, die ihre Wurzeln auch in der Friedensbewegung hat, soll die wohl größte Erhöhung der Rüstungsausgaben in der Nachkriegsgeschichte mit auf den Weg bringen? Natürlich sei das eine Herausforderung für ihre Partei, sagte die Vorsitzende Ricarda Lang auf einer Pressekonferenz. Am Sonntag hatte die Partei bereits auf einem Online-Seminar mit 800 Mitgliedern über das Thema diskutiert.

Von der Jugendbewegung kam am Montag klare Ablehnung: Man brauche jetzt sichere Fluchtwege und schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas, schrieb die Grüne Jugend auf Twitter. "Was es nicht braucht: 100 Milliarden für Aufrüstung der Bundeswehr & überstürzte Grundgesetzänderung."

Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger teilte am Montag auf Anfrage unserer Redaktion mit, man müsse die Pläne nun intensiv beraten. "Unsere Sicherheit muss uns mehr wert sein, dazu gehört natürlich auch eine gut ausgestattete Bundeswehr", so Brugger. "Echte Sicherheit bedeutet aber mehr als nur ein höherer Verteidigungsetat und deshalb braucht es auch deutlich mehr Mittel für Energiesouveränität, aktive Diplomatie, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Cybersicherheit."

Die SPD-Jugendorganisation Jusos äußerte sich am Montag auf Twitter ähnlich: "Gesteht es euch endlich ein: Die Schuldenbremse muss beerdigt werden! Für Investitionen in Bildung, den ökologischen Umbau der Wirtschaft und ja - wo nötig - in die Ausrüstung der Bundeswehr."

Juso-Chefin Jessica Rosenthal sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass sie dem Sondervermögen nicht zustimmen will: "Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen. Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst."

Ricarda Lang: "Jede Partei muss Gewissheiten überdenken"

Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte am Montag: "Jede Partei steht vor der Aufgabe, alte Gewissheiten zu überdenken". Für ihre Partei heißt das, dass die Grünen die massiven Rüstungsausgaben mittragen müssen. Lang sagte aber im gleichen Atemzug: "Ich denke, das betrifft auch die Schuldenbremse." Eine Botschaft an die FDP.

Denn ein Rütteln an der Schuldenbremse lehnen die Liberalen und ihr Finanzminister Lindner entschieden ab. Schon vor einigen Wochen war aus der Regierungskoalition zu hören gewesen, dass die unterschiedlichen Vorstellungen in der Finanzpolitik die Ampel-Koalition unter großen Druck setzen.

Dieser Druck hat sich durch den Krieg in der Ukraine und das geplante Sondervermögen noch einmal deutlich erhöht. Es herrscht mindestens großer Beratungsbedarf: Eigentlich hatte Christian Lindner am 9. März den Bundeshaushalt 2022 vorlegen wollen. Diesen Termin hat die Bundesregierung heute eine Woche nach hinten verschoben.

Verwendete Quellen:

  • Regierungs-PK in der Bundespressekonferenz
  • Bundeshaushalt.de: Ausgaben 2021 in Tausend Euro
  • Büro von Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen
  • Digitale Pressekonferenz von Bündnis 90/Die Grünen
  • Land NRW.de: Eckdaten des Haushaltsplanentwurfs 2022
  • DasErste.de: Lindner will "eine der schlagkräftigsten Armeen in Europa"
  • Twitter-Accounts von: Nicole Gohlke, Grüne Jugend, Jusos
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