Erst USA und Frankreich, nun auch Deutschland: Am Freitag (31.) kam von der Bundesregierung die offizielle Erlaubnis, dass die Ukraine deutsche Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland einsetzen darf.
Militärexperte Gustav Gressel erklärt, ob dadurch eine Gefahr für Deutschland droht, warum das Vorgehen der Briten schlauer war und was die Freigabe der Ukraine konkret nützen könnte.
Lange war es eine rote Linie für
Gustav Gressel: Deutschland ist in dieser Frage kein zentraler Staat. Für den Raketenwerfer vom Typ Mars II stellt die USA die Munition zur Verfügung, daher kommt es in erster Linie auf die Amerikaner an. Die Panzerhaubitze 2000, die von Deutschland geliefert wurde, ist zurzeit an der Südfront stationiert. Wenn Deutschland beim Nein geblieben wäre, hätte die Ukraine einfach andere Artilleriesysteme in den Norden verlegt.
Gibt es ein Waffensystem, bei dem Deutschlands Rolle größer ist?
Ja, das einzige Waffensystem, bei dem Deutschland wirklich eine Rolle spielt, ist das Patriot-System. Sollte die Ukraine dieses zur Verteidigung von Charkiw gegen Gleitbombenangriffe der Russen einsetzen, würden deutsche Patriot über die Grenze schießen. Ob das jetzt erlaubt ist, hat die Regierung nicht erwähnt – ich denke aber schon.
Hat sich Scholz denn insgesamt der Nato gebeugt?
Es kommt in erster Linie auf die USA an, sie ist auch der größte Lieferant von Fernwaffen. In zweiter Linie auf Frankreich und Großbritannien, beide haben schon früher ihre Bereitschaft erklärt, den Ukrainern Schläge über die Grenze zu erlauben. Dass sich Scholz demonstrativ gegen die USA stellt, in einer Frage, die Deutschland kaum tangiert, war nicht zu erwarten.
Was bedeutet die Entscheidung für die Ukraine?
Das amerikanische Okay hat viele Gänsefüßchen. Wie es wirklich praktiziert wird, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Bedauernswert ist aber, dass der Raum Rostov am Don nicht freigegeben ist – denn dort gibt es viele lohnende Ziele.
Welche Gefahr droht Deutschland?
Keine. Russland kann sich derzeit keine militärische Eskalation mit der Nato leisten. Dass man droht, "asymmetrisch" zu reagieren, ist nichts Neues. Russland fährt schon seit Kriegsbeginn seine Sabotagetätigkeiten in Deutschland und anderen Nato-Staaten hoch. Scholz zögerte aus innenpolitischen Gründen. Wäre er ohne die USA vorangegangen, hätte das den Friedensflügel in der SPD verschreckt. Aber mit russischer Vergeltung haben die innenpolitischen Überlegungen nichts zu tun.
Lesen Sie auch
Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig?
Wir müssen jetzt mal sehen, wie es in der Praxis weitergeht: Welche Ziele wirklich freigegeben werden und welche nicht. Ich denke, dass die Russen versuchen werden, ihre Versorgungsinfrastruktur schnellstmöglich von der Grenze wegzuverlegen. Daher hoffe ich auf eine schnelle Freigabe, damit die Ukraine noch das eine oder andere Munitionsdepot erwischt.
Ist es denn klug gewesen, die Entscheidung jetzt wieder so offen zu kommunizieren? Der Westen nennt schließlich ständig seine roten Linien.
Nein, das ist nicht klug. Die Briten haben schon von Anfang an gesagt, sie haben keine Beschränkungen, haben den Ukrainern aber faktisch nur Ziele in den besetzten Gebieten freigegeben. So haben sie immer Ambiguität bewahrt, ohne vorzupreschen – das war die schlauere Vorgehensweise.
Über den Gesprächspartner
- Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.