Deutschland hat 2023 so viele Waffen exportiert wie nie zuvor. Die Ampel-Parteien wollten eigentlich mit einem Gesetz die Ausfuhr an nicht-demokratische Staaten erschweren. Doch ob es noch kommt, ist ungewiss.

Eine Analyse
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Die deutsche Wirtschaft mag gerade kränkeln. Doch die Rüstungsbranche spürt davon wenig. Im Gegenteil. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung Exporte von Rüstungsgütern im Wert von 12,2 Milliarden Euro genehmigt. Im Vergleich zu anderen Ausfuhrgütern wie Autos oder Chemieprodukten ist das wenig. Doch für die Rüstungsindustrie ist es ein Rekordwert. Noch nie schickte Deutschland Waffen oder Panzer in einem so großen Umfang in die Welt.

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Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt das mit der internationalen Lage: Seit bald zwei Jahren unterstützen Deutschland und viele andere Staaten die Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland. Die Ukraine war mit einem Volumen von 4,4 Milliarden Euro auch 2023 das Land, in das mit Abstand die meisten Rüstungsexporte gingen, vor Norwegen und Ungarn.

© AFP/CLAUDIA SMIGAJ

"Rüstungsexportkontrollgesetz" steht im Koalitionsvertrag

Der Ukraine-Krieg hat viele Pläne der Bundesregierung über den Haufen geworfen, das gilt auch für den Umgang mit Rüstungsexporten. SPD und Grüne hatten vor der Bundestagswahl 2021 eigentlich eine restriktivere Politik versprochen, sprich: weniger Rüstungsexporte. Im Koalitionsvertrag einigten sich die drei Ampel-Parteien dann auf das Ziel, ein "Rüstungsexportkontrollgesetz" zu verabschieden.

Das Bundeswirtschaftsministerium musste die Arbeit an einem Gesetzesvorschlag immer wieder von Neuem beginnen. Trotzdem hält das Ministerium daran fest: Man sei gerade Ende des Jahres "sehr gut vorangekommen", sagte ein Sprecher im Dezember in der Bundespressekonferenz.

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SPD-Politiker Wolfgang Hellmich: "Keine Exporte wie alle anderen"

Derzeit finde ein "transparenter und breit konsultierter Prozess zur Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens" statt, teilt der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hellmich auf Anfrage unserer Redaktion mit. Für den verteidigungspolitischen Sprecher seiner Fraktion ist klar: "Rüstungsexporte sind kein Mittel der Wirtschaftspolitik und keine Exporte wie alle anderen."

"Wir brauchen ein Gesetz, das das Thema besser regelt."

Sara Nanni, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen

Bisher gibt es schon das sogenannte "Kriegswaffenkontrollgesetz". Demnach kann die Bundesregierung alleine entscheiden, ob sie einen konkreten Rüstungsexport genehmigt oder nicht. "Wir brauchen ein Gesetz, das das Thema besser regelt – es darf nicht nur einen neuen Namen tragen", sagt Sara Nanni, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Bundesregierung habe bisher sehr viel Interpretationsspielraum bei der Genehmigung. "Es braucht dafür eine ganz klare Sprache und einen nachvollziehbaren Rahmen."

Nanni geht es allerdings nur zum Teil um eine strengere Handhabung von Exporten. Ein weiteres Ziel des Gesetzes sei auch eine Entbürokratisierung: "Bei Exporten an demokratische Staaten, die sowieso genehmigt werden, bemängeln Unternehmen zu Recht zu lange Schleifen", sagt sie.

Diese Erleichterungen würden einen Großteil der Exporte betreffen. Denn 2023 gingen rund 90 Prozent der Lieferungen an Staaten, die entweder Mitglied von EU oder Nato sind oder zu engen Partnern der Bundesrepublik gehören, etwa die Ukraine, Australien und Südkorea.

Mehr Transparenz durch ein neues Gesetz ist auch ein Ziel des dritten Koalitionspartners FDP. "Der Bundessicherheitsrat tagt bisher geheim, ohne Kriterien und entscheidet nach Bauchgefühl. Transparenzkriterien würden auch der Rüstungsindustrie mehr Klarheit verschaffen", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, Alexander Müller, im Gespräch mit unserer Redaktion. Trotzdem ist er unsicher, ob das "Rüstungsexportkontrollgesetz" zustande kommt: "Ich schließe es nicht aus. Ich befürchte aber, dass wir eine Einigung in dieser Legislaturperiode nicht mehr hinbekommen."

Waffen auch für autoritäre Staaten?

Strittig ist vor allem der Umgang mit den restlichen Exporten, die eben nicht in demokratische Partnerländer gehen. "Teile der Grünen bestehen auf einer zu restriktiven Linie, die in der Koalition nicht mehrheitsfähig ist", sagt Müller.

Bei den Grünen gibt es in der Tat unterschiedliche Einstellungen zu diesem Thema. Das zeigt das Beispiel Eurofighter: Die Bundesregierung hat einer Lieferung der Kampfjets an Saudi-Arabien am Mittwoch zugestimmt. Dieser Export ist unter anderem wegen der dortigen Menschenrechtslage umstritten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatten sich trotzdem dafür ausgesprochen. Denn die Saudis gelten als wichtige Akteure in der Region und haben zuletzt Raketen der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Israel abgefangen.

In Baerbocks Partei sieht das aber nicht jeder so. "Wir Grüne wünschen uns eine restriktivere Handhabung bei Lieferungen an nicht-demokratische Staaten", sagt Sara Nanni. "Ich verstehe nicht, warum man Gewaltmittel an Regime liefern sollte, die selbst aggressiv auftreten. Es ist ein Wunschdenken, dass sich Akteure zum Beispiel im Nahen Osten unmittelbar nach unserem Wunsch verhalten, weil wir ihnen Waffen liefern."

Union gegen "Regelungswut"

Aus Sicht anderer Politiker können Lieferungen an Staaten wie Saudi-Arabien dagegen im deutschen Interesse sein. "Der Iran und seine Verbündeten destabilisieren die ganze Region. Saudi-Arabien sorgt dagegen für freie Wege durch das Rote Meer", sagt FDP-Politiker Müller. Die Eurofighter-Lieferung an Saudi-Arabien findet er daher richtig. "Es wäre falsch, solche Exporte generell per Gesetz zu verbieten." Sozialdemokrat Wolfgang Hellmich findet die Haltung der Bundesregierung angesichts der Sicherheitslage ebenfalls "verständlich".

"Wenn die Politik geostrategisch handeln will, gehören Waffenlieferungen dazu."

Johannes Wadephul, CDU

Die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion im Bundestag sieht das ähnlich - und lehnt strengere Vorgaben daher ab. "Absolut überflüssig" wäre ein Exportkontrollgesetz, sagt Fraktionsvize Johannes Wadephul im Gespräch mit unserer Redaktion. "Jede Waffenlieferung ins Ausland ist eine Abwägungsentscheidung, die die Bundesregierung treffen muss." Sie beruhe immer auf Absprachen zwischen Staaten. "Wenn die Politik geostrategisch handeln will, gehören Waffenlieferungen dazu. Eine Regelungswut ist in diesem Bereich falsch."

In einer anderen Einschätzung sind sich die Politikerinnen und Politiker dagegen einig: Der Rekordwert der Rüstungsexporte 2023 wird wohl kein Ausreißer bleiben. Seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und der Eskalation im Nahen Osten rüsten viele Staaten auf. Was westliche Armeen aus ihren Beständen etwa an die Ukraine abgeben, werden sie in den nächsten Jahren auffüllen. Solange Kriege in solchem Ausmaß toben, werden Staaten auch Waffen exportieren.

Verwendete Quellen

  • Gespräche mit Alexander Müller (FDP), Sara Nanni (Grüne) und Johann Wadephul (CDU)
  • Schriftliche Stellungnahme von Wolfgang Hellmich (SPD)
  • Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz
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