• Boris Pistorius soll neuer Bundesverteidigungsminister werden.
  • Der SPD-Politiker hat sich als kantiger und selbstbewusster Innenminister in Niedersachsen einen Namen gemacht.
  • Diese Eigenschaften dürfte er im neuen Amt brauchen. An Herausforderungen mangelt es im Verteidigungsministerium nicht.

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Osnabrück scheint ein guter Nährboden für sozialdemokratische Karrieren zu sein. Bundeskanzler Olaf Scholz wurde in der niedersächsischen Großstadt geboren. Genau wie die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, die in den vergangenen Tagen als mögliche Nachfolgerin der zurückgetretenen Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht gehandelt wurde. Und auch Boris Pistorius hat seine Laufbahn als Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück begonnen. Er bekommt nun den Posten, über dessen Besetzung tagelang spekuliert wurde.

Boris Pistorius soll schon am Donnerstag als neuer Bundesverteidigungsminister vereidigt werden. Er tritt also jenes schwierige Amt an, an dem seine Vorgängerin gescheitert war. Es ist eine interessante Personalie, die zuvor nur wenige Beobachterinnen und Beobachter auf dem Schirm hatten. Dabei war der 62-Jährige schon länger für einen Posten auf Bundesebene im Gespräch.

Scholz über Pistorius: Hat ein "großes Herz"

Pistorius ist gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann, studierte Jura und leitete später das Büro des niedersächsischen Innenministers Gerhard Glogowski. 2006 bis 2013 war er Oberbürgermeister von Osnabrück, danach wechselte er als Innenminister in die niedersächsische Landesregierung. Bis 2022 war der Witwer und Vater von zwei Töchtern mit Doris Schröder-Köpf liiert, der Ex-Frau des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Mit seinem neuen Minister entscheidet sich Scholz für einen neuen Ton in der Verteidigungspolitik: Pistorius tritt selbstbewusst bis zackig auf - ein Kontrast zu seiner Vorgängerin Lambrecht, die mit den militärischen Abläufen und Ritualen stets ein bisschen zu fremdeln schien. Erstmals seit zehn Jahren wird wieder ein Mann das Verteidigungsministerium führen, noch dazu einer, der gedient hat: Seinen Wehrdienst leistete er in der Steuben-Kaserne in Achim ab.

Der SPD-Politiker startet mit vielen Vorschusslorbeeren ins Amt. "Boris Pistorius ist einer unserer Besten", schrieb die EU-Parlamentarierin Katarina Barley auf Twitter. "Ich freue mich für die Truppe und für ihn." Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) freut sich ebenfalls: auf eine gute Zusammenarbeit mit seinem neuen Kollegen. "Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann, und den die Soldatinnen und Soldaten sehr mögen werden", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz über Pistorius. Er bescheinigte ihm zudem Kompetenz, Durchsetzungsfähigkeit und ein "großes Herz".

Zustimmung kommt auch vom Verband der Reservisten der Bundeswehr: Dessen Präsident Patrick Sensburg teilte zur Personalie Pistorius mit: "Er ist durchsetzungsfähig und hat sich bisher schon intensiv mit den Sicherheitsfragen unseres Landes beschäftigt. Ich bin mir sicher, dass er sich schnell in die verteidigungspolitischen Details einarbeiten wird."

Pistorius gilt auf Landesebene als politisches Schwergewicht. Manchen in Hannover kam er fast gelangweilt von der Landespolitik vor. 2019 kandidierte er zusammen mit der sächsischen Landesministerin Petra Köpping für den SPD-Bundesvorsitz - allerdings ohne Erfolg. "Pistorius pflegt sein Image als Anpacker, der seine Aufgaben erledigt, dabei über den Tellerrand blickt, auch nach Europa und auf die Bundespolitik", hieß es im vergangenen Jahr im NDR über den Landesinnenminister. Er nimmt für sich in Anspruch, die Polizei gestärkt und zu einer "Bürgerpolizei" weiterentwickelt zu haben. Seine Bemühungen, Extremismus in der Polizei zu bekämpfen, gelten dem NDR zufolge als bundesweit einmalig.

Die wichtigsten Baustellen für den neuen Minister

All diese Eigenschaften wird Pistorius in seinem neuen Amt gut gebrauchen können. Er muss nicht nur den Schaden reparieren, den Christine Lambrecht mit ihrer verkorksten Amtszeit hinterlassen hat. Er erbt von ihr auch die Probleme, die sich in Jahren und Jahrzehnten unter verschiedenen Chefinnen und Chefs im Verteidigungsressort angesammelt haben. Noch dazu gilt das Amt im Berliner Bendlerblock als Schleudersitz und Schlangengrube, mit dem sich in der Vergangenheit kaum glänzen ließ.

Die wichtigsten Baustellen sind:

  • Die Umsetzung des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens, das die Bundesregierung in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aufgelegt hat. So gewaltig die Summe ist: Schon jetzt gibt es Klagen, dass sie nicht reichen wird. Allein die nötige Munition soll 20 bis 30 Milliarden Euro kosten.
  • Die Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine wird weitergehen. Hier muss Pistorius als SPD-Mitglied besonderes Geschick beweisen: Grüne, FDP und CDU/CSU fordern eine stärkere Unterstützung der Ukraine mit Waffen, die SPD ist in dieser Frage aber deutlich zögerlicher. Auch große Teile der Bevölkerung verfolgen die Waffenlieferungen mit Unbehagen. Hier muss der Minister seine Politik besonders gut kommunizieren und erklären.
  • Aktuell brisant ist vor allem die Frage, ob Deutschland die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine genehmigt. Bundeskanzler Scholz hat sich bisher nicht zu einer Entscheidung durchgerungen und will sich auch nicht drängen lassen. Abwarten und Abwägen passen aber eher schlecht zum Image seines neuen Verteidigungsministers.
  • Die Ausstattung der Bundeswehr ist bürokratisch und umständlich. Eine Reform des Beschaffungswesens hat Christine Lambrecht mit einem ersten Gesetz bereits angestoßen. "Aber ich glaube, da ist noch mehr zu tun", sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, im Dezember in den "Tagesthemen". "Wir haben da keine Zeit für Fehleranalysen, Geschwindigkeit ist das Gebot der Stunde."
  • Nicht alle Fehler wurden in der Vergangenheit im Ministerium selbst gemacht. Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass bei einer Übung alle 18 Puma-Panzer der Bundeswehr ausgefallen waren. Die Verantwortung sehen viele Beobachter auch bei den Rüstungsunternehmen. "Dass in der Vergangenheit Milliardensummen aus dem Verteidigungshaushalt versickerten, hatte auch mit einem Übermaß an Nachsicht und Sympathie des Ministeriums und der Bundeswehr für die Konzerne zu tun", kommentierte vor kurzem die "taz".
  • Zur Zukunft der Bundeswehr muss die Politik in den kommenden Jahren auch ganz grundlegende Antworten geben: Versteht sich Deutschland als internationale Führungsmacht, wie es SPD-Chef Lars Klingbeil formuliert hat? Wie und wo engagiert sich Deutschland bei Auslandseinsätzen? In Mali muss bis 2024 zum Beispiel das Ende des aktuell größten Einsatzes gemanagt werden.

Hinzu kommen für Pistorius die Aufgaben, die jeder Wechsel in ein Berliner Ministeramt mit sich bringt. Er muss sich schnell in das neue Gebiet einarbeiten und zudem im besonders harten Meinungskampf in der Bundeshauptstadt bestehen.

Die Opposition schont den neuen Minister jedenfalls schon vor Amtsantritt nicht. "Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU), der Deutschen Presse-Agentur zur Entscheidung für Pistorius. "Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle". Bei der Personalie handle es sich um eine "Besetzung aus der B-Mannschaft".

Er habe "Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe", sagte Pistorius am Dienstagmittag in Hannover. Nach seiner geplanten Vereidigung am Donnerstag steht für ihn gleich der erste wichtige Termin an: Bei einem Treffen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein beraten westliche Staaten am Freitag über weitere Panzerlieferungen an die Ukraine. Für einen gemächlichen Start ins Amt lässt der Krieg keine Zeit.

Verwendete Quellen:

  • boris-pistorius.de
  • dpa
  • NDR.de: Wir ziehen Bilanz: Innenminister Boris Pistorius
  • Reservistenverband.de: Prof. Dr. Sensburg zum neuen Verteidigungsminister
  • tagesschau.de: Andrè Wüstner, Vorsitzender Deutsche BundeswehrVerband, zu den Baustellen der Bundeswehr
  • taz.de: Mehr Distanz zur Lobby, bitte!
  • Twitter-Profil von Katarina Barley (Stand: 17. Januar 2023)
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