Bei "Anne Will" ging es am Sonntagabend (17. September) um die Unterstützung der Ukraine. Während Vertreter der SPD und Union sich für mehr Waffen für Kiew aussprachen, brachte Sahra Wagenknecht mit ihren Forderungen nach diplomatischen Verhandlungen Dampf ins Studio. Besonders mit einem Historiker geriet die Linkspolitikerin immer wieder aneinander – bis er sie mit einem Hitler-Vergleich konfrontierte.

Eine Kritik
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Eine neue Studie zeigt: Der Ukraine-Rückhalt im Westen schrumpft – vor allem in Deutschland. Während sich im vergangenen Jahr noch 59 Prozent einen EU-Beitritt der Ukraine wünschten, sind es heute nur noch 49 Prozent. Bei der Nato-Mitgliedschaft ist Deutschland das einzige Land, in dem keine Mehrheit für einen Ukraine-Beitritt ist. In Portugal, Litauen, Polen und Großbritannien sprechen sich 70 Prozent und mehr dafür aus.

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Die Zustimmungswerte hängen auch von der Parteizugehörigkeit ab: Anhänger der Unionsparteien, der SPD und der Grünen neigen deutlich stärker zur Zustimmung als AfD-Anhänger. Das betrifft auch die finanzielle Unterstützung zum Wiederaufbau.

Das ist das Thema bei "Anne Will"

In dieser Stimmung fragte Anne Will: "Mühsame Offensive, ferner Frieden – braucht die Ukraine noch mehr Unterstützung?". Dabei stand auch das Engagement der USA im Fokus – werden sie Kiew weiterhin verlässlich unterstützen und welche Rolle spielt die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr dabei? Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bat in Deutschland wiederholt um die Lieferung von Marschflugkörpern. Sollte Deutschland sie liefern?

Das sind die Gäste

  • Michael Roth (SPD): Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses sagte: "Ohne den US-Präsidenten, der uns mehrfach den Arsch gerettet hätte, wäre vermutlich die Ukraine schon längst am Boden." Der Kanzler orientiere sich wesentlich an den Entscheidungen des Weißen Hauses. "Bislang ist auch Joe Biden nicht bereit, Marschflugkörper zu liefern", erinnerte er. Sollte es Bewegung in Washington geben, gehe er davon aus, dass sich Deutschland den wichtigsten Verbündeten in Europa – Frankreich und Großbritannien – anschließen werde.
  • Roderich Kiesewetter (CDU): "Unser Zögern führt dazu, dass viele Menschen sterben", kritisierte der Bundestagsabgeordnete und Oberst a. D. Bestimmte Waffen würden zu spät kommen. "Es ist unser Sicherheitsinteresse, dass die Ukraine nicht zerfällt", erinnerte er. Die Ukraine dürfe nicht zur Blaupause für Iran und Irak oder China und Taiwan werden. "Je länger dieser Krieg dauert, desto gefährlicher wird es, dass andere die Abnutzung, die wir bei uns in der Gesellschaft, in unseren Wahlkreisen, erleben, ausnutzen und sagen: 'Die europäischen Gesellschaften sind müde'", warnte Kiesewetter.
  • Sahra Wagenknecht (Linke): "Mit dieser Lieferung werden wir noch mal einen Schritt mehr Kriegspartei, ohne dass es eine relevante Hoffnung gäbe, dass man damit den Krieg beendet", sagte die Bundestagsabgeordnete über eine mögliche Lieferung von Marschflugkörpern. Denn die Reichweite sei laut Militärexperten rückprogrammierbar, die Waffen seien mit Nuklearsprengköpfen bestückbar und würden mit Geodaten der Bundeswehr gesteuert. Bislang sei jede Waffenlieferung als "Gamechanger" verkauft worden.
Gäste von Anne Will
Die Runde am Sonntagabend: (v.l.) Rieke Havertz, Karl Schlögel, Michael Roth, Anne Will, Roderich Kiesewetter, Sahra Wagenknecht. © NDR/Wolfgang Borrs
  • Karl Schlögel: Der Historiker und Osteuropa-Experte meinte: "Die Ukraine kämpft um ihre Existenz. Sie hat in den letzten Tagen gezeigt, dass sie erfolgreich kämpfen kann mit Waffen, die die Briten, die die Franzosen geliefert haben." Deswegen gäbe es keinen Grund zu zögern – man solle der Ukraine die Waffen liefern, die es ihr erlauben, den Feind aus dem Land zu treiben. Auf einer Reise in Charkiw sei er gefragt worden: "Warum gebt ihr uns nicht die Waffen, damit wir uns verteidigen können?", berichtete Schlögel.
  • Rieke Havertz: Die internationale Korrespondentin von "Zeit Online" sagte: "Olaf Scholz ist nicht alleine mit seinem Zögern, weil Joe Biden auch zögert." Aus entsprechenden Kreisen höre man, dass Biden sich angesichts der Lieferung von Marschflugkörpern in den kommenden Tagen umentscheiden werde. Biden stehe vor einem Wahlkampf und werde die Ukraine unter Druck setzen, dass etwas passieren muss. "Dafür wäre es eigentlich ihm dienlich, dass diese Entscheidung schneller kommt, weil die Ukraine mit diesem Waffensystem mehr befähigt wird, um beispielsweise russische Infrastruktur anzugreifen", analysierte Havertz.

Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"

Die folgende Szene war der Moment der Sendung, weil er – stellvertretend für viele andere – die verharmlosende Rhetorik von Wagenknecht offenlegte. "Das, was der Ukraine am meisten ausgehen wird, sind nicht Waffen, sondern einsatzfähige und einsatzbereite Soldaten", leitete die Linkspolitikerin ein. Egal, wie viele Waffen man liefere, am Ende werde der Krieg darüber entschieden, wer mehr Soldaten habe, meinte sie. "Die Russen müssen eigentlich nur abwarten", analysierte sie. Die Ukrainer hätten hohe Opferzahlen und Schwierigkeiten zu rekrutieren, während die Russen eine viel größere Bevölkerung hätten.

"Ist das nicht ein furchtbarer Satz: 'Die Russen müssen nur abwarten?'", hakte Moderatorin Will mit offener Kinnlade ein. "Wir können nicht immer gleich moralisieren, wenn ich eine Situation beschreibe", beschwerte sich Wagenknecht. Daraufhin konterte Roth: "Sie sagen: 'Er wartet ab'. Er bringt Menschen um! Putin wartet nicht ab, er ermordet jeden Tag Menschen! Putin tut das, sagen Sie es doch mal!"

Das ist das Rede-Duell des Abends

Auch beim Rede-Duell war Wagenknecht beteiligt. "Die These, dass je länger der Krieg dauert, desto eher sich dann die Position zugunsten der Ukraine verändert – das ist doch völlig an den Haaren herbeigezogen", meinte sie. Die Zeit arbeite nicht für die Ukraine, sondern eher für Russland. Es sei nicht realistisch, dass die Ukraine den Krieg militärisch gewinne.

Historiker Schlögel hielt dagegen: "Die Ukraine braucht Waffen, um Putin und die russische Armee zu schlagen, um den Frieden herbeizuführen." Er giftete Wagenknecht an: "Sie hatten jetzt zehn Jahre Zeit, sich mit den ukrainischen Verhältnissen vertraut zu machen. Waren Sie einmal da? Haben Sie sich einmal umgehört, was da passiert, was in den Städten los ist?"

Er warf ihr weiter vor: "Sie reden hier von Frieden, von Verhandlungen, von Diplomatie und ich weiß nicht was alles – es wird ein Krieg geführt mit einem Gemetzel, veranstaltet von russischer Seite." Die Ukrainer bekämen jeden Tag vorgeführt, was mit ihnen passieren würde, wenn sie in die Knie gingen. "Führen Sie doch Verhandlungen!", drängte er sie. Mit einem Hitler-Vergleich schien er Wagenknecht dann tatsächlich etwas aus dem Konzept zu bringen.

Sie, die aus einer antifaschistischen Tradition komme, sollte eigentlich wissen, dass man den Feind mit Waffen niederschlage, so Schlögel. "Hitler ist mit den Waffen besiegt worden. Und so ist es auch mit Putin. Man muss ihm mit Waffen entgegentreten, etwas anderes versteht er überhaupt nicht", war er sich sicher.

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So hat sich Anne Will geschlagen

Einen Großteil widmete Will zu Beginn der Sendung dem Zögern des Kanzlers. "Nimmt der ukrainische Außenminister ihn nicht mehr ernst, wenn er sagt: 'Deutschland liefert am Ende sowieso?'" oder "Hat Scholz gute Gründe zu zögern oder ist es reine Zeitverschwendung?", fragte sie beispielsweise.

Ungewohnt meinungsstark positionierte sich Will gegenüber Wagenknecht. "Putin müsste den Krieg beenden, Frau Wagenknecht, das wäre die einfachste Lösung", hielt sie ihr vor, an anderer Stelle erinnerte sie die Linkspolitikerin: "Sie haben sich schon einmal fundamental in Putin getäuscht."

Ab dem Zeitpunkt, an dem Wagenknecht in die Diskussion einstieg, verschenkte die Sendung an mehreren Stellen viel Zeit. Denn spätestens, als Wagenknecht in Muster verfiel, Putins Angriffskrieg zu rechtfertigen, konnte sie beim Rest der Runde keinerlei Verständnis mehr ernten. Und auch die Frage, wie sie sich Verhandlungen konkret vorstellt, blieb wie so oft unbeantwortet.

Verwendete Quellen:

  • ARD: Sendung "Anne Will" vom 17.09.2023
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