Wenn Satire und Politik aufeinandertreffen wird es vor allem dann spannend, wenn der Witz unterschiedlich verstanden und aufgenommen wird. Genau das hat das Schmähgedicht des Moderators und Satirikers Jan Böhmermann in der vergangenen Woche zur Staatsaffäre gemacht.
Der türkische Präsident Erdogan ist beleidigt, fühlt sich durch ein Gedicht von
Was ist das Thema?
Dass die Schmähkritik Jan Böhmermanns zur Staatsaffäre werden konnte, hat sich
Die Reaktionen auf ihre Stellungnahme könnten unterschiedlicher nicht sein: Während man sich in Deutschland größtenteils entrüstet über die Aussage Merkels zeigt und Solidarität mit Jan Böhmermann kundtut, sind die Türken weiterhin sauer. Und dass das bei der Türkei schnell geht, zeigt
Wer sind die Gäste?
Erdogan bewege sich nicht auf Europa zu, sondern eher davon weg. Für die CSU ist deshalb weiterhin klar: Es kann keine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union geben. Er ist der Meinung, dass Deutschland aufgrund der Böhmermann-Affäre nicht erpressbar geworden ist.
Jean Asselborn (Außenminister Luxemburg): Das EU-Abkommen mit der Türkei ist seiner Meinung nach alternativlos, aber mit seiner aggressiven Art entferne sich der türkische Präsident von Europa. Denn: "Demokratie ohne Pressefreiheit geht nicht." Böhmermann hat eine Satire bewusst überzogen. Dabei sei die Botschaft des Satirikers laut Asselborn eigentlich gewesen, dass man aus so etwas eben keine Staatsaffäre machen darf – was jetzt aber passiert ist.
Erdogan müsste es "eigentlich ertragen können, dass so ein Gedicht vorgetragen wird", so Asselborn. Der europäisch-türkische Flüchtlings-Deal wird deshalb in seinen Augen aber nicht scheitern, weil die Türkei die EU braucht und umgekehrt.
Özlem Topçu (Politik-Redakteurin bei der "Zeit" und Co-Autorin u. a "Wir neuen Deutschen: Wer wir sind, was wir wollen"): Sie mag den Beitrag Böhmermanns nicht, kann darüber nicht lachen und findet ihn nicht lustig. Aber: Im Zweifel ist sie – als Journalistin nicht nur berufsbedingt – für die Freiheit. Eigentlich sollte es ihrer Meinung nach in der Politik aber momentan eher darum gehen, eine der größten Katastrophen - die Flüchtlingskrise - gemeinsam zu bewältigen und nicht um diese Satire. Den eingestaubten deutschen Strafrechtsparagrafen 103, der besagt, dass ausländische Staatsoberhäupter nicht beleidigt werden dürfen, will sie so schnell wie möglich abgeschafft sehen.
Bülent Bilgi (Generalsekretär Union Europäisch-Türkischer Demokraten): Der Erdogan-Anhänger macht gleich zu Beginn der Runde deutlich: Sollte die Bundesregierung das Strafverlangen abweisen, wird das deutsch-türkische Verhältnis beschädigt. Auch er hat Strafanzeige gestellt, da der Beitrag Böhmermanns für ihn nichts mit Satire zu tun hat. Er hält den Inhalt der Schmähkritik für nicht hinnehmbar und hat sich persönlich als Türke dadurch zutiefst gekränkt gefühlt. In seinen Augen wurde das türkische Volk angegriffen und beleidigt. Durch eine Strafverfolgung Böhmermanns sollte klar gemacht werden: "Satire muss Grenzen haben".
Dass Merkel sich entschuldigt hat, sieht Kalkofe als Fehler. Er ist der Meinung, dass jetzt von der Bundesregierung ein klares Zeichen gesetzt werden müsse, das darauf hinweist, dass es momentan viel brisantere Themen gibt, als sich durch ein Gedicht beleidigt zu sehen. Denn: Ein Staatsoberhaupt hat seiner Meinung nach viel Wichtigeres zu tun, als sich über einen falsch verstandenen Witz aufzuregen. Wahre Größe würde Erdogan seiner Meinung nach zeigen, wenn er sich um die wirklichen Probleme – nämlich um die Flüchtlingskrise kümmere und über der Böhmermann-Satire stehe: "Lassen Sie uns nicht aus einem Furz einen Tsunami machen."
Was war der Moment der Sendung?
Als Bülent Bilgi die Meinung äußert, dass mit dem Schmähgedicht der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes verletzt wurde und dadurch die Würde des türkischen Volkes und des Präsidenten Erdogan, staunt die Runde nicht schlecht. Andreas Scheuer von der CSU findet in diesem Moment deutliche und direkte Worte: "Sind Sie sich sicher, dass der Artikel 1 des Grundgesetzes auch vollständig für die Türkei gilt?" Das Publikum klatscht so laut, dass Bilgi mehrfach ansetzen muss, um dagegen durchzukommen. "Ich möchte nochmal betonen: Der Artikel 1 des Grundgesetzes gilt nicht für die Türkei, aber für die türkischstämmigen Migranten in Deutschland." Daraufhin entgegnet Scheuer: "Dann lässt Präsident Erdogan morgen bestimmt gleich die 60 bis 70 in der Türkei eingesperrten Journalisten frei, oder?"
Was war das Rededuell des Abends?
Oliver Kalkofe geht die Diskussion rund um den Artikel 1 des Grundgesetzes zu weit. Er fängt an zu lachen, schüttelt sich kurz und erklärt dann wieder ernst: "Es geht hier nicht um die Würde. Das ist ein falscher Ehrbegriff, der dem Ganzen zugrunde liegt. Dass sich Menschen überhaupt, weil sie sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen, zu Krieg und Mord bereit sind, ist ohnehin absurd."
Bilgi erklärt daraufhin: "Das mögen Sie so sehen. Vielleicht machen Sie sich ja nichts aus Ehre." Kalkofe entgegnet: "Ich mache mir sehr viel aus Ehre. Aber wenn mich jemand auf der Straße als "Ziegenficker" bezeichnet, würde ich ihm sagen, dass er mich wohl verwechselt." In Kalkofes Augen würde Erdogan "Souveränität und Größe" zeigen, wenn er es "mal gut sein lasse". Bilgi blieb bei seiner Meinung, dass Erdogan alles Recht habe, sich angegriffen zu fühlen.
Was ist das Ergebnis?
Die Journalistin Özlem Topcu bringt für alle auf den Punkt, weshalb sich Präsident Erdogan durch das Schmähgedicht gekränkt fühlt: Dafür sind die alten Werte Ehre, Stärke und Männlichkeit in der türkischen Gesellschaft die Grundlage. Diese seien noch immer tief in der türkischen Kultur verwurzelt. Wer sich also nicht gegen derartige Angriffe wehre, der würde in der Türkei als schwach angesehen werden. Im gesamten Verlauf der Talk-Runde wird nicht zuletzt durch diese Aussage deutlich, dass die Türkei und Europa vor allem in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit auf vollkommen unterschiedlichen Pfaden wandern. Bis auf den Erdogan-Lobbyisten Bülent Bilgi ist sich die Runde außerdem einig, dass die Böhmermann-Affäre ein solches Ausmaß nie hätte erreichen dürfen.
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