Maybrit Illner diskutierte am Donnerstagabend mit ihren Gästen, wie die Bundesregierung nach der Vergiftung von Alexej Nawalny mit Russland umgehen soll. Es wurde eine Diskussion ohne großen Streit, ohne große Auftritte, aber auch ohne große Erkenntnisse. Dafür aber eine mit klaren Worten.

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Durch den Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny sind die schwierigen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin noch schwieriger geworden. Eine mögliche Sanktion ist der Stopp des Pipeline-Projekts Nord Stream 2. Das ist US-Präsident Trump und anderen Europäern ohnehin ein Dorn im Auge. Deshalb fragt Maybrit Illner am Donnerstagabend: "Merkels Russland-Dilemma – ratlos zwischen Putin und Trump?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner

  • Gregor Gysi (Die Linke), außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion
  • Timothy Snyder, US-amerikanischer Historiker (per Video zugeschaltet)
  • Schanna Borissowna Nemzowa, Tochter des ermordeten Politikers Boris Nemzow (per Video zugeschaltet)
  • Alexander Rahr, Putin-Biograf
  • Marina Weisband (B'90/Die Grünen), Rednerin
  • Heiko Maas (SPD), Außenminister

Darüber diskutierte die Runde

Deutsche Russland-Politik

Hier versuchte Außenminister Maas von Beginn an, geordnete Verhältnisse zu schaffen und stellte klar, dass man es hier nicht mit einem Konflikt nur zwischen Deutschland und Russland zu tun habe: "Wir sind keine Partei in diesem Konflikt, wir sind der Überbringer der schlechten Nachricht."

Russland sei aber ein wichtiger Partner bei vielen anderen Themen wie in Syrien, im Iran oder im Libanon. Deshalb müsse man auch weiterhin mit Russland im Gespräch bleiben, aber trotzdem solche Fälle wie den von Nawalny ansprechen. Es sei aber "ein Thema für die ganze internationale Gemeinschaft".

In Bezug auf Merkels deutliche Worte fragte Illner Marina Weisband: "Glaube Sie, dass das Putin jetzt beeindruckt? Hat er Angst?" Weisband antwortete: "Ich glaube, dass man Putin keine Angst machen kann, solange man mit der linken Hand Sanktionen verhängt und mit der rechten Hand eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit aufbaut." Gleichzeitig forderte sie, dass man die Kooperation mit der russischen Zivilbevölkerung verstärken müsse.

Alexander Rahr sah die deutsch-russischen Beziehungen schon in einer Normalisierung, jetzt gebe es aber einen Bruch und nun müssten beide Seiten nachdenken, was wichtiger sei: "Moral oder Vernunft?"

Den Giftanschlag

Während Heiko Maas klarmachte, dass Deutschland weder Partei noch Schiedsrichter in der Causa Nawalny sei und auf die Indizien verweist, die man habe, versuchte Gregor Gysi, sich zu erklären, welchen Nutzen Putin von dem Anschlag und der Art seiner Durchführung habe: "Ich frage mich immer: Wer hat etwas davon?"

Weisband konnte Gysi hier weiterhelfen: "Es ist ein Merkmal, das sich durch russische Morde und Einschüchterungsversuche zieht, dass man nicht besonders verschleiert, dass man dahinter steckt, um natürlich Oppositionelle abzuschrecken. (…) Natürlich ist es ein lautes: 'Ja, wir waren es und was wollt ihr jetzt tun?'" Weisband ergänzte in Bezug auf die politischen Konsequenzen: "Wie viele Beweise brauchen wir, um zu sehen: Jemand ist der Demokratie, der westlichen Gesellschaft nicht wohlgesonnen, vertritt eigene Interessen. Warum sollten wir uns abhängig machen von so einer Person?"

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Deutschland zwischen Trump und Putin

Wenn über Reaktionen auf den Anschlag gesprochen wird, fällt sofort das Stichwort: Stopp von Nord Stream 2. Den fordert Donald Trump ohnehin schon länger, ebenso wie einige andere europäische Länder. Timothy Schnyder war hier der Meinung, dass Merkel gar nicht in einer Zwickmühle steckt: "Deutschland steht nicht zwischen den Russen und den Amerikanern. Nord Stream 2 war von Anfang an ein Skandal."

Maas sieht in der Welt ohnehin mehr als nur Russland und die USA als die bedeutenden Akteure: "Wir leben ja nicht in einer bi-polaren Welt. Wir werden uns mit unseren Interessen nur durchsetzen, wenn wir das auf europäischer Ebene tun. Jedes EU-Land für sich ist zu klein."

Weisband sah eine Lösung für die Zukunft in der Abkehr von fossilen Brennstoffen: "Unser Bedarf nach Gas wird in Zukunft eher sinken, wir brauchen keine neue Pipeline. Wir könnten selbstbewusst darauf setzen, dass wir ein demokratisches Land sind, das auf erneuerbare Energien setzt."

Der stärkste Auftritt des Abends

Auch wenn es nicht der Abend der großen Momente war, bleibt wohl am ehesten der Auftritt von Schanna Borissowna Nemzowa in Erinnerung. Die Tochter des 2015 in Moskau ermordeten Putin-Gegners Boris Nemzow fand in vielen Punkten die klarsten Worte. Über den Aufklärungswillen der russischen Seite sagte Nemzowa zum Beispiel ernüchternd: "Es wird auch keine formale Ermittlung in der Causa Nawalny geben. Das ist meine Überzeugung."

Am deutlichsten wurde sie aber in Bezug auf die Hintergründe im Fall Nawalny: "Das waren die russischen Dienste. Es war ein Mordanschlag. Man wollte ihn umbringen. Aber Gott sei Dank saß nicht Wladimir Putin im Cockpit dieses Flugzeugs, sondern wunderbare Piloten, die das Flugzeug gelandet haben. Darum hat er überlebt."

Auf die Frage Illners, ob es für ein solches Verbrechen eine Billigung aus dem Kreml bedurfte, sagte Nemzowa: "Wenn man bedenkt, dass Nawalny der bekannteste und einflussreichste Oppositionspolitiker ist und der wichtigste Opponent von Wladimir Putin, würde ich sagen, ohne Billigung, ohne Wissen um einen solchen Anschlag wäre es nicht möglich gewesen."

Der schwächste Auftritt des Abends

Gemessen am Neuigkeitengehalt lieferte Gregor Gysi einen schwächeren Auftritt. Gysi sagte eigentlich nur das, was er immer bei Diskussionen über Russland sagt, nämlich dass sich Russland unter Gorbatschow und auch unter Putin einst dem Westen zuwenden wollte, aber vor den Kopf gestoßen wurde.

Gleichzeitig verurteilte Gysi Spekulationen über die Ermordung, weil es sonst auch andere Spekulationen geben würde – um zur Veranschaulichung selbst Spekulationen in die Welt zu setzen. Spekulieren konnte man hingegen, warum es Gysi in der Runde so schwerfiel, die anderen Teilnehmer aussprechen zu lassen. Das ist in Talkshows zwar nichts Ungewöhnliches, war hier aber besonders auffällig, weil man als Zuschauer weder den Redner noch den Dazwischenredner verstehen konnte.

So schlug sich Maybrit Illner

Auf der einen Seite war Illner gewohnt schlagfertig. Als Gysi witzelte, er hoffe, dass Belarus' Diktator Lukaschenkow nicht zusehe, entgegnete Illner in Bezug auf die Einschränkung der Medien in Belarus: "Kann er wahrscheinlich nicht, er wird nur einen Sender haben."

Trotz dieser Schlagfertigkeit zeigte sich Illner bei so mancher Frage etwas unpräzise, was vor allem Maas sofort offenlegte. Als Illner wissen wollte, ob man bisher "eine Politik der Naivität gegenüber Putin" gemacht habe, wies Maas Illner mit der Gegenfrage zurecht: "Was soll denn eine Politik der Naivität sein?" und verwies auf die Vielzahl an Sanktionen, die bereits gegen Russland ausgesprochen worden sind.

Das Fazit

Es war kein Abend der großen Erkenntnisse. Am Ende war sich die Runde in vielen Punkten einig, vor allem darin, dass man keine Spekulationen wolle.

Der große Unterschied zwischen den beiden Polen Gysi und Maas war hier jedoch: Was Gysi Spekulationen nennt, nennt Außenminister Maas Indizien. "Wenn die Polizei ermittelt, guckt sie sich auch die Vorstrafen an", versuchte Illner beide Positionen zu vereinen.

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