Was kann Deutschland tun, um das Leiden in der Ukraine zu beenden? Bei "Hart aber fair" rät ausgerechnet ein Ex-Militär zum Dialog mit Putin, während eine Grüne einen Energie-Importstopp fordert. Ein Report aus dem Grenzgebiet zu Polen lässt die Gäste mit den Tränen ringen.
Endlich ernsthafte Friedensverhandlungen oder weitere Eskalation? Sanktionen wie bisher oder ein Importstopp für Gas und Öl? Eine Runde bei "Hart aber fair" diskutiert unter dem Titel "Die ukrainische Tragödie: Wohin führt dieser Krieg noch?" die möglichen Entwicklungen im Krieg in Osteuropa. Ein Ex-Militär warnt vor den Folgen einer Flugverbotszone und eine Reporterin bringt den Grünen-Chef mit rührenden Fluchtgeschichten aus der Fassung.
Das sind die Gäste bei "Hart aber fair"
- Die Publizistin Marina Weisband, in Kiew geboren, hält angesichts des zähen Vormarsches einen militärischen Sieg der Ukraine noch für möglich: "Dass Putin die Ukraine nicht innerhalb von 72 Stunden überrumpelt hat, gibt Hoffnung (…)." Und selbst wenn Kiew fallen sollte, würden die Ukrainer "dezentral" weiterkämpfen.
- Angst vor einem Atomschlag der Russen hat Politikwissenschaftler Christian Hacke nicht: "Putin wird dämonisiert (…). Dabei ist er ein reiner Machtpolitiker und handelt aus seiner Sicht rational." Putin brauche einen gesichtswahrenden Ausweg aus dem Krieg – die Signale von Nato und EU an die Ukraine seien deshalb "kontraproduktiv".
- Erich Vad, Ex-Militärberater von Angela Merkel, stört sich an der "eskalatorischen Sprache" der Politik: "Wir finden keine militärische Lösung (…). Wir müssen an irgendeinem Punkt mit Putin reden." Das sei schwer möglich, wenn man ihn als "hysterisch oder durchgeknallt" bezeichne.
- Grünen-Chef
Omid Nouripour (Grüne) bezeichnet die Situation als "Ritt auf des Messers Schneide", zwischen Hilfe für die Ukraine und drohender Eskalation: "Eine direkte Konfrontation zwischen Nato und Russland ist die Rutschbahn Richtung 3. Weltkrieg." - Könnte der Krieg Putins Ende im Kreml einläuten? Gesine Dornblüth, Ex-Korrespondentin des Deutschlandfunks in Moskau, sieht "nicht viel Anlass zu Optimismus". Dazu müsse die Bevölkerung millionenfach auf die Straße gehen – stattdessen verließen Oppositionelle massenhaft das Land. "Wenn einer Putin entmachten kann, dann sein Umfeld, die Oligarchen, dazu braucht es mehr Sanktionen wie einen Energie-Importstopp.
- "Weltspiegel"-Reporterin Isabel Schayani berichtet live von der ukrainisch-polnischen Grenze – mit eindrücklichen Worten: "Ich suche Erleichterung in den Gesichtern, aber ich sehe nur Erstarrung und Ungewissheit."
Der Moment des Abends
Wir sehen, was passiert, aber wir begreifen es nicht – so dürfte es vielen Menschen hierzulande gehen, und so geht es auch Isabel Schayani, die mit ungläubigem Blick und unsicherer Stimme nach Deutschland berichtet, was sie im Grenzort Przemsyl beobachtet: "Ich sehe die Menschen, die hier hereinströmen. Ich sehe, dass jeder zweite ein Schulkind ist. Aber ich begreife das nicht."
142.000 Menschen sind allein gestern angekommen, insgesamt rechnet die EU mit fünf Millionen Menschen, die aus dem Kriegsgebiet fliehen. Eine Dimension, die "unvorstellbar" ist für Schayani. Stattdessen schildert sie kleine Begebenheiten, Vignetten, die das größere Bild erahnen lassen: Die Stille am Bahnhof, trotz der vielen Kinder. Den Trotz der Menschen, die nicht Flüchtlinge genannt werden wollen. Die Solidarität der Polen.
Es sind kleine Geschichten, die Eindruck machen auf die Runde. Den Tränen nahe schildert Marina Weisband die vielen Hilfsangebote, die sie in diesen Tagen bekommt und koordiniert. "Ich hoffe, dass wir jetzt besser verstehen … jetzt, wo die Menschen weiß und christlich sind, dass wir nie wieder Flüchtenden empathielos begegnen."
Flüchten musste auch Omid Nouripour, als Jugendlicher, vor dem iranisch-irakischen Krieg, auch er saß oft im Keller, während in der Nachbarschaft Bomben einschlugen, erzählt er, um Fassung ringend. "Das ist nicht nur für mich eine Retraumatisierung, das zu sehen (…)." Und er tut das, was wohl auch einige Zuschauer machen müssen: laut durchpusten.
Das Rededuell des Abends bei "Hart aber fair"
Was tun gegen die Ohnmacht? Zu dieser Frage bilden sich im Studio interessante Konstellationen: Der CDU-nahe Politikwissenschaftler Christian Hacke, der 2018 in einem Essay die nukleare Bewaffnung Deutschlands anregte, gesellt sich zum Brigadegeneral a.D. Erich Vad ins Team "Dialog mit Putin", während Ex-Moskau-Korrespondentin Gesine Dornblüth fragt, ob es nicht "möglicherweise geboten ist, dass die Nato aktiver wird", etwa durch eine Flugverbotszone.
"Das hieße, deutsche Eurofighter (…) schießen russische Jets ab. Das bedeutet Krieg. Was sie sagen, ist echt gefährlich", entgegnet Vad. Aber den Krieg haben wir eh schon, legt Dornblüth nach. Die Journalistin stört vor allem, dass Hacke und Vad ("Wir tun so, als wenn wir mitreden dürften. Dabei wird das in Moskau, Washington und Peking entschieden.") weder den Europäern noch den Ukrainern eine Rolle im Dialog mit Putin zugestehen wollen. "Dabei geht es ihm ja gar nicht nur um die Ukraine, sondern um die EU." Beistand bekommt sie von Omid Nouripour, der die EU in diesem Konflikt nicht als "Habenichtse" (Vad) empfindet, sondern im Gegenteil als wirtschaftliche Weltmacht, die mit den Sanktionen erstmals die geopolitischen Muskeln spielen lässt: "Das ist die Stunde der Europäer."
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
Wie immer wird die Redaktion von "Hart aber fair" am Tag nach der Sendung einen Faktencheck veröffentlichen, ein netter Service - aber die besten Informationen sind natürlich die, die es live auf Sendung schaffen. Dazu gehört auch, auf eventuelle Interessenskonflikte hinzuweisen.
Ohne Erich Vad unlautere Absichten zu unterstellen - seine Aussagen geben keinerlei Anlass –, aber als Rüstungslobbyist könnte der Ex-Brigadegeneral etwa zur 100-Milliarden-Aufrüstung der Bundeswehr eine nicht ganz objektive Meinung vertreten. Wenn
Das ist das Ergebnis
Bei "Anne Will" am Sonntagabend sprach Außenministerin Annalena Baerbock von der schwierigen Wahl zwischen "Pest und Cholera", ein Dilemma, das Marina Weisband mit einer Geschichte illustriert: Freunde aus der Ukraine würden sie "auf Knien" um die Flugverbotszone bitten. "Die sagen: 'Schließt den Himmel, unsere Kinder werden bombardiert.' Aber ich fürchte, das ist der Weg in den 3. Weltkrieg."
Was während der Sendung immer klarer wird: Die Ukraine bestimmt nicht über ihr eigenes Schicksal, sie ist ein Spielstein im geopolitischen Spiel der Großmächte, so sehr Omid Nouripour auch auf die souveräne Entscheidung der Ukraine beharrt, der EU oder der Nato beizutreten.
Irgendwann werden andere Länder über die Ukraine verhandeln, über ihr künftiges Staatsgebiet, ihre Regierung, über die Frage der Neutralität, die nun immer wieder als Lösung für Putins Sicherheitsbedürfnis diskutiert wird. Denn auch wenn Russland immer vorgeworfen werde, in Einfluss-Sphären zu denken – die Ausdehnung der Nato und der EU war von Moskau aus gesehen nichts anderes, meint Politikwissenschaftler Hacke: "Machen wir uns doch nicht schöner, als wir sind!"
Ein verbreitetes Argument, gegen das Marina Weisband einen interessanten Einwand vorbringt. Die Erzählung von der Nato-Einkreisung sei nur ein Vorwand Putins, die wahre Geschichte stecke in seinen programmatischen Essays voller großrussischer Fantasien: "Nichts davon geht weg, wenn wir sagen: Die Ukraine darf nicht in die Nato."
Stimmt Weisbands Analyse, sind das schlechte Nachrichten für Moldawien, Georgien, Kasachstan und andere post-sowjetische Länder. Aber noch ist der Krieg um die Ukraine nicht gewonnen für Putin – und es gebe noch etwas, das Deutschland tun könne, meint Weisband: "Wir bezahlen einen Teil der Bomben, die fallen." Also doch ein Importstopp für Gas und Kohle? Und kalte Wohnungen und leere Fabriken in Deutschland? Unter einer Bedingung wäre es das wert, meint Weisband: "Wenn das Land dann für Putin unregierbar wird, und er endlich das Telefon abhebt ..."
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