Für den SPD-Politiker Kevin Kühnert leistet Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine enorm viel. Er nahm Bundeskanzler Olaf Scholz mit markigen Worten in Schutz. Eine Expertin verriet derweil einen Weg, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen.

Eine Kritik
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Das war das Thema bei "Maybrit Illner"

Seit Monaten hängen die 60 Milliarden Dollar an US-Hilfen für die Ukraine im amerikanischen Kongress fest. Das Land gerät währenddessen immer weiter unter Druck durch die russischen Invasoren. Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte jüngst vor einer militärischen Niederlage, weil Waffen und Munition auszugehen drohen.

Wie lange kann die Ukraine noch standhalten? Und was kann Europa tun, sollten die US-Gelder weiter blockiert werden? Das Thema bei "Maybrit Illner" am Donnerstagabend. "Ukraine droht Niederlage – lässt der Westen Kiew im Stich?"

Das waren die Gäste

  • Kevin Kühnert: Der SPD-Generalsekretär verteidigte die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine, die von Kritikern als "zu wenig, zu spät" charakterisiert wird. Es würde "überhaupt keinen Anlass" geben, an der deutschen Solidarität gegenüber Kiew zu zweifeln. Als Beleg nannte Kühnert eine Umfrage in der Ukraine, wonach Deutschland nach den USA als zweitwichtigster Unterstützerstaat beziehungsweise Unterstützerorganisation genannt wird – weit vor der EU, Großbritannien oder Frankreich. Kühnert nahm auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Schutz, der zuletzt aufgrund seiner Weigerung, den Taurus-Marschflugkörper zu liefern, unter Beschuss geraten war. "Deshalb ist er kein Verräter der Ukraine und das relativiert auch nicht die Hilfen der letzten zwei Jahre", betonte Kühnert.
  • Dietmar Bartsch: Der Bundestagsabgeordnete der Partei "Die Linke" sprach sich für mehr diplomatische Initiativen aus, um den Krieg zu beenden. Es dürften nicht noch mehr zu den "schon 500.000 Toten" (und Verletzten - d.Red.) dazu kommen, so Bartsch, der betonte: "Diplomatie darf kein Schimpfwort sein." Das Linken-Urgestein forderte eine europäische Sicherheitskonstruktion, die auf Frieden ausgerichtet sein müsse. "Europa ist in der Ukraine nicht wirklich ein Player", bedauerte Bartsch.
  • Claudia Major: Die Sicherheits- und Verteidigungsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik warnte vor dem Rückzug der USA als Unterstützer der Ukraine. Europa brauche "wahrscheinlich Jahrzehnte", um die militärische, finanzielle und politische Lücke zu stopfen. Die Folge sei nicht nur ein Loch in der Ukraine, sondern auch ein Loch in der europäischen Verteidigung. Für die Expertin gibt es nur einen Weg, um den Krieg zu beenden: politischen, wirtschaftlichen und militärischen Druck auf Russland erhöhen – mit dem Ziel, in diesem Krieg das "russische Kosten-Nutzen-Kalkül zu verändern". Russland müsse mehr davon haben, an den Verhandlungstisch zu gehen, als weiter zu kämpfen. Derzeit deutet wenig darauf hin, dass dieses Szenario eintritt.
  • Katrin Eigendorf: Für die ZDF-Sonderkorrespondentin befindet sich der Krieg für die Ukraine an einem "ganz ganz deutlichen Tiefpunkt". Aber sie glaubt dennoch nicht, dass Russland das Land bald "in ein paar schnellen Zügen erobert" und den Krieg gewinnt. In solchen Warnungen sieht sie eher die verständliche Rhetorik des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, um mehr Waffen und Munition für sein Land zu bekommen. Kritik übte Eigendorf am Agieren der Bundesregierung. Sie beobachtet "eine große Lücke" zwischen der Zeitenwende, also der Einsicht, die Bundeswehr besser auszurüsten, "und dem Handeln dieser Regierung".

Das war der Moment des Abends

Vitali Klitschko, früherer Profiboxer und Bürgermeister von Kiew, appellierte leidenschaftlich an die Unterstützer seines Landes: Das ukrainische Militär verteidige nicht nur die eigene Heimat, "wir verteidigen jeden von euch". Ohne Kritik an Deutschland zu üben, wies Klitschko auf den dringenden Bedarf an mehr Waffen hin, wie Taurus-Marschflugkörper oder Patriot-Flugabwehrraketen. Es gebe ein "riesiges Defizit an Munition und verschiedenen Waffen". Klitschko: "Wir brauchen eure Unterstützung."

Das war das Rededuell des Abends

Als Linken-Politiker Dietmar Bartsch wieder seine Vorstellung eines Waffenstillstandes skizzierte, widersprach Katrin Eigendorf energisch. Zum einen wolle Russland derzeit gar keinen Waffenstillstand. Und auch die Ukrainer – nach Umfragen 70 Prozent – seien weiter "wild entschlossen", diesen Verteidigungskrieg zu führen, weil Russland die Ukraine zerstören will. Bartsch blieb dabei, dass mehr getan werden müsse, um aus der militärischen Logik auszubrechen und die Waffen zum Schweigen zu bringen.

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Das ging ja gut los. Dietmar Bartschs Überlegungen zu einem Waffenstillstand wollte die Gastgeberin schon bei dessen ersten Redebeitrag nicht weiter vertiefen. Frei nach dem Motto: Alles schon fünfzigmal gehört, alles Unsinn. Da machte Illner schnell "einen Punkt" und leitete zu Kiews Bürgermeister Klitschko weiter. Zuvor hatte sie den Linken-Politiker angesichts der jüngsten russischen Angriffe auf die Hauptstadt noch mit der Frage überrascht: "Glauben Sie, dass es redlich ist zu sagen, dass dieses Bomben aufhören muss?" Das bedeutet im Umkehrschluss: Für Illner sind Forderungen nach einem Stopp der Kriegshandlungen offenbar unredlich (weil sie naiv sind oder vermeintlich nur Russland nutzen).

Ein weiterer irritierender Moment folgte am Ende der Sendung, als die Gastgeberin aufgrund des oft als zögerlich kritisierten Kanzler-Kurses bei Waffenlieferungen eine gewagte These aufstellte. Wäre die deutsche Unterstützung "schneller und abgestimmter gekommen", dann wären, so Illner, "gegebenenfalls auch weniger Menschen gestorben". Der folgende Schlagabtausch mit Kevin Kühnert blieb aus, die Sendung war zu Ende. Fazit: Die Moderatorin machte sich durch ihre rhetorischen Fragen und weil sie sich inhaltlich zu einem Lager ihrer Gäste bekannte viel zu oft zur Debattenteilnehmerin. Man kann diesen meinungsstarken Moderationsstil mögen – oder auch nicht.

Das ist das Fazit

Lässt der Westen Kiew im Stich? Der Titel der Sendung muss derzeit mit "ja" beantwortet werden. Es ist völlig offen, ob die US-Militärhilfen noch freigegeben werden. Und Europa, das seit Jahren über eine stärkere gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik streitet, wäre nach übereinstimmender Meinung der Expertinnen und Experten auf Jahre nicht in der Lage, die Lücke zu schließen.

Claudia Major irritierte die ganze Debatte um einen Waffenstillstand und das Einfrieren des Krieges. Warum? Die Begriffe seien letztlich "irreführend", weil die Russifizierung der besetzten ukrainischen Gebiete, die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung dann ja weitergehen würden. Dort gäbe es keinen Frieden.

Das stärkste Argument gegen ein Einfrieren lieferte der einzige Ukrainer in der Runde. Ein eingefrorener Konflikt sei keine Garantie, dass Russland nach einer Kriegspause nicht wieder angreift, sagte Vitali Klitschko. Und einen Teil der Ukraine abzugeben an Russland "ist kein Kompromiss für uns", betonte er.

Für Katrin Eigendorf stand fest: "Wenn wir dieses Vorgehen so durchgehen lassen, dann leben wir morgen in einer deutlich schlechteren Welt." Vor allem die vielen Millionen direkt betroffenen Ukrainer.

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