Lockern oder verschärfen? Zwischen dieses beiden Polen bewegt sich der Corona-Talk bei "Maischberger. Die Woche". Während Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forsch für einen digitalen europäischen Impfpass wirbt, erwischt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble einen eher schlechten Tag. Und Journalist Gabor Steingart wirft der Gastgeberin und ihrer TV-Crew die Verletzung von Corona-Regeln vor.
Das sind die Themen bei "Maischberger. Die Woche"
Aufgrund steigender Corona-Neuinfektionen sprechen erste Experten schon vom Beginn einer dritten Welle. In Flensburg hat die britische Virus-Mutante bereits die Oberhand gewonnen, in ganz Deutschland steigt ihr Anteil. Dennoch haben seit dieser Woche in vielen Bundesländern Schulen und Kitas wieder geöffnet, auch die Wirtschaft will ein schnelles Ende des Lockdowns.
Über das Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Auftrag zum Gesundheitsschutz und den Freiheitsrechten der Bürger sprach
Das sind die Gäste
Zudem befürwortet der Kanzler einen digitalen, grünen europäischen Impfpasses, der Auskunft über den "Corona-Zustand" (geimpft, genesen oder getestet) des Einzelnen gibt. Kurz deutete jedoch an, dass deutsche Touristen auch ohne einen solchen Pass ihren Urlaub in Österreich verbringen könnten.
Zu Maischbergers berechtigter Frage, warum wir hierzulande nicht so gut organisiert seien wie wir immer glauben, fiel Schäuble ein, dass das Land an einigen Stellen sogar "überorganisiert" sei. Und Bürgern, die sich darüber beschweren, dass sie immer noch keinen Impftermin haben, riet er zu "Langmut". Der 79-Jährige, obwohl er selbst zur Risikogruppe gehört, war noch nicht an der Reihe.
Dirk Brockmann: Der digitale Epidemiologe vom Robert-Koch-Institut empfahl, die Bilder von Menschenmassen in Parks oder am Rheinufer nicht zu skandalisieren. Das sei nur ein Ausschnitt der Realität, das Infektionsgeschehen finde vorwiegend an anderen Orten statt. Wo genau sich die Menschen anstecken? Das konnte Brockmann, der sich ebenfalls für vermehrte Testungen der Bürger aussprach, allerdings nicht exakt eingrenzen.
Sibylle Anderl: Die "FAZ"-Wissenschaftsredakteurin sieht Deutschland in einer "kritischen Phase" der Pandemie. Der Grund: Die Mutante aus Großbritannien "wird durch unsere Maßnahmen nicht bekämpft". Anderl hält den jetzigen Zeitpunkt für Lockerungen folglich "für falsch". Sie hätte Schulen und Kitas noch ein paar Wochen länger geschlossen gehalten, um zu schauen wie stark sich die Mutante verbreitet.
Licht am Ende des Tunnels? Bei den über 80-Jährigen geht die Inzidenz aktuell zurück - als einzige Bevölkerungsgruppe. Womöglich schon eine Folge der Impfungen.
Düzen Tekkal: Die Autorin und Filmemacherin war neben Anderl die zweite Frau in Maischbergers Experten-Trio. Für sie ist der britische Premier
Für Tekkal ist das vor allem ein Schritt, um im Wahlkampf an Popularität zu gewinnen. Angesichts der hohen Infizierten- und Totenzahlen auf der Insel macht das Johnson ihrer Überzeugung nach nicht zum "Gewinner der Woche". So hatte Gabor Steingart den Premier genannt. Schließlich wies Tekkal noch darauf hin, dass in Deutschland aufgrund der Corona-Maßnahmen viele Menschen "tief im Schmerz sitzen". Etwa Kleinunternehmer, deren Umsätze weggebrochen sind, oder Geschäftsinhaber, die ihre Läden dicht machen müssen.
Gabor Steingart: Der Journalist ("Media Pioneer") sieht im Strömen der Bürger ins Grüne eine "Abstimmung mit den Füßen" über die Corona-Maßnahmen. Die Leute "brauchen eine Öffnungsperspektive" wie sie ihnen England und Österreich bietet, erklärte Steingart. Auch das deutsche Impfprogramm ("haben wir vergeigt") kritisierte er.
Steingarts Forderung: Die Politik müsse die Dinge wieder ins Verhältnis bringen bzw. besser abwägen und nicht nur die Pandemie bekämpfen. "Normalerweise werden die Eltern verhaftet, wenn die Kinder eine Woche nicht zur Schule gehen", merkte er ironisch zur Schulpflicht an.
Das war das Rededuell des Abends
In einer Sendung ohne hitzköpfige Ausbrüche sorgte Gabor Steingart für den Aufreger des Abends. Er stellt zunächst fest, dass die Corona-Regeln im Bundestag und in den Bundesministerien viel großzügiger ausgelegt würden als es eigentlich erlaubt ist. "Übrigens auch im Fernsehen", behauptete Steingart. "Sind wir aus einem Haushalt?", fragte er mit Blick auf das Damentrio neben sich, um dann festzustellen: "Hier sind mindestens zehn, 15 Leute um uns herum!" Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft "akzeptieren die Leute nicht", so seine populistisch anmutende Kritik.
Steingart hatte die Rechnung ohne die Gastgeberin gemacht. Maischberger wies ihn mit Pokerface darauf hin, dass alle Gäste und die Maskenbildner getestet worden seien und der Rest ihrer Crew FFP2-Masken tragen müsse.
Das war der Moment des Abends
Wolfgang Schäuble, 79 Jahre alter Politik-Veteran, will zur nächsten Bundestagswahl noch einmal antreten. "Sie können nicht ohne Politik?", wollte Maischberger wissen. Es war schon ein wenig rührselig wie Schäuble, dem nicht wenige nach dem folgenschweren Attentat 1991 zum Ende seiner politischen Karriere geraten hatten, über seine innere Motivation berichtete.
Zum einen mache es ihm nach wie vor "viel Spaß". Außerdem sei er von den Verantwortlichen in seinem Wahlkreis Offenburg, wo ein personeller Umbruch ansteht, gebeten worden, weiter zu machen. Seit 1972 sitzt Schäuble im Deutschen Bundestag.
So hat sich Sandra Maischberger geschlagen
Ein guter Auftritt der Gastgeberin, die sowohl Sebastian Kurz als auch Wolfgang Schäuble die unangenehmen Fragen stellte und Gabors Steingarts Vorwurf cool konterte. Lediglich beim Thema Ischgl, einem der großen europäischen Corona-Hotspots des vergangenen Frühjahrs, hätte Maischberger den österreichischen Kanzler mehr in die Mangel nehmen können.
Trotz eklatanter Versäumnisse wie dem viel zu späten Schließen des Skipisten verweist Kurz immer darauf, dass das Virus ja auch nur in den Urlaubsort eingeschleppt wurde.
Das ist das Ergebnis
Lockern oder die Schrauben weiter anziehen? Diese Kernfrage der Diskussion beantworteten die Gäste völlig unterschiedlich. Einig war sich die Runde indes, dass es keine Gewissheit geben kann, wie die Pandemie weiter geht. Selbst Sebastian Kurz erklärte, dass bei ungünstiger Entwicklung eine Rückkehr zu strengeren Regeln nicht ausgeschlossen ist.
Kurz gab für einen Spitzenpolitiker ungewohnt offen zu, dass er selbst auch so langsam pandemiemüde ist und sich einfach nur auf den Sommer freut. Als am Ende der Sendung kurz die Sprache auf die erfolgreiche Mars-Landung der NASA-Sonde kam, stellte sich der Autor dieser Zeilen eine noch gar nicht diskutierte Frage: Warum können wir das Virus nicht einfach auf einen fernen Planeten schießen und den Spuk ein für allemal beenden? Wenn es doch nur so einfach wäre!
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