Anne Will ist zurück. Nach vier Jahren übernimmt die Journalistin den Sonntagstalk von Günther Jauch. "Nach Köln – Höchste Zeit für eine neue Flüchtlingspolitik?", möchte Will wissen - und macht sich ihr sonntägliches Comeback damit unnötig schwer.
Die Ausgangslage:
Anne Will wechselt mit ihrem Polit-Talk vom Mittwoch zurück auf den Sonntag. Während die Zuschauer lediglich im Kopf klarkriegen müssen, dass sie nach dem "Tatort" nicht mehr
Worum geht es?
Für ihre Auftaktsendung am neuen alten Sendeplatz hätte sich es Anne Will nicht schwerer machen können.
"Nach Köln – Höchste Zeit für eine neue Flüchtlingspolitik?" fragt Will und stellt damit – bevor auch nur ein einziges Wort diskutiert wurde – bereits die Behauptung auf, dass die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung für die sexuellen Übergriffe und die anderen Straftaten in der Neujahrsnacht verantwortlich ist.
Die Frage "Was bedeuten die Übergriffe in Köln?" hätte völlig gereicht.
Wen hat Anne Will eingeladen?
Ahmad Mansour: Der Psychologe und Autor beschäftigt sich mit Salafismus und Antisemitismus. Er lebt seit 2004 in Berlin und arbeitet für Projekte gegen Extremismus.
Mansour kritisiert bei "Anne Will" einerseits die mangelnden Integrationsbemühungen Deutschlands: "Ich erwarte eine Politik, die nicht nur den Menschen Schutz gibt, sondern auch eine Strategie diese Menschen zu integrieren, also ihnen Werte zu vermitteln."
Andererseits gebe es in vielen islamischen Familien keinen Raum, über Sexualität ohne Tabus sprechen zu können.
Stefan Aust: Aust war jahrelang Chef-Redakteur des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" und ist heute Herausgeber und Chefredakteur von "WeltN24".
Aust kritisiert vor allem die hohe Zahl an Flüchtlingen. Wie er sich eine Lösung vorstellt, will er aber nicht verraten, schließlich sei das auch nicht sein Job: "Ich will überhaupt nix, ich bin Journalist."
Fragen, über die Anne Will mit ihren Gästen diskutiert:
Ganz so sicher, wie im Untertitel der Sendung suggeriert, ist sich Anne Will dann doch nicht, dass die sexuellen Übergriffe in Köln Folge von
Zumindest will sie ihre These lieber doch zunächst in der Runde klären. Der Weg zu anderen Fragen ist dann allerdings nicht mehr sehr weit:
- Könnten sich Ereignisse wie in Köln wiederholen?
- Was ist dadurch ausgelöst worden?
- Sind die Reaktionen wie das Schwimmbadverbot in Bornheim hysterisch oder gerechtfertigt?
- Ist eine gelungene Integration bei den aktuellen Flüchtlingszahlen überhaupt möglich?
- Ist eine europäische Lösung machbar?
- Wann tritt Angela Merkel zurück?
Die Antworten, die man findet:
Dass die Ereignisse in der Neujahrsnacht und die Flüchtlingspolitik in direktem Zusammenhang stehen, will in der Runde so niemand bestätigen. Also muss der Titel der Sendung irgendwie umkreist werden.
Am Ende kommt alles in einen Topf, was irgendwie mit Flüchtlingspolitik zu tun haben könnte. Das gibt dann so viele Antworten, dass es eigentlich gar keine gibt.
Stefan Aust sieht das eigentliche Problem in der hohen Zahl von Menschen, die man von Seiten der Politik nicht habe kommen sehen.
Dem widerspricht Gesine Schwan: "Wenn statt einer Millionen nur 700.000 gekommen wären, hätte man das auch nicht ausschließen können."
Die entscheidende Frage ist für Schwan vielmehr, dass man den Menschen, die nach Deutschland kommen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln helfen solle, sich zu integrieren.
Peter Altmaier verteidigt die Politik seiner Regierung. Schließlich habe man angesichts der Flüchtlingsströme nicht einfach wegsehen können. Außerdem arbeite man an vielen Stellen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren.
Ahmad Mansour sieht in den Taten von Köln eine Zuspitzung der Zustände, die man seit Jahren in Bezug auf den Umgang mit Frauen habe. Außerdem gebe es ein großes Problem bei der Auseinandersetzung mit Sexualität.
Fragen, die nicht oder zu wenig diskutiert wurden:
- Worin genau soll die Verbindung zwischen Merkels Flüchtlingspolitik und den Taten in Köln bestehen? Dass Deutschland generell Flüchtlinge aufgenommen hat, weil unter den Tätern mutmaßlich Flüchtlinge waren?
- Hätte eine andere Flüchtlingspolitik, wie immer diese dann aussähe, etwas an den Ereignissen geändert?
- Welche moralische und auch rechtlich zulässige Alternative gibt es denn überhaupt zu Merkels Politik? Muss Politik alles schon im Vorfeld regeln können?
Welche Erkenntnisse bringt die Talk-Runde?
Als Grunderkenntnis der sonntäglichen Diskussion kann dem Zuschauer dienen, dass die Ursachen und Probleme ebenso vielfältig wie alt sind.
Das gilt für die verfehlte Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte, für die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Wahrnehmung der aktuellen Flüchtlingskrise, die Ausstattung der deutschen Polizei, der Schulen und Lehrer und auch in der Sozialarbeit.
Wer die vergangenen Jahrzehnte nicht mit einem Eimer überm Kopf durch die Welt gelaufen ist, für den sollten diese Erkenntnisse aber nicht allzu neu sein.
Wie schlägt sich Anne Will?
Außer dem Termin hat sich bei "Anne Will" nicht viel geändert. Ein bewusster Entschluss, schließlich sollte die Sendung im Grunde so bleiben, wie sie war, wie Anne Will in einem Interview mit den Medienkritikern von "Übermedien" erklärte.
Ob die Sessel nun blau sind oder rot, ist ohnehin nicht das Entscheidende bei einem Polit-Talk, sondern ob der Zuschauer eine informative Sendung geboten bekommt.
Diesbezüglich ist die Ausgabe weder schlechter noch besser als andere. Es gibt die üblichen Erklärungsmonologe, Spitzen, Nebelkerzen, Zwischenrufe, Diskussionen um Zahlen, Rede-Duelle und Ermahnungen.
Oder wie es Anne Will in einem Moment des Chaos' ausdrückte: "Jetzt reden wir alle durcheinander. Ich würde gerne eine Ordnung reinbringen!"
Polit-Talk mit Anne Will eben. Nur jetzt wieder sonntags.
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