Nordkorea droht seinem Nachbarland mit einer "furchtbaren Katastrophe", sprengt Straßen nach Südkorea und mischt in der internationalen Politik mit. Dass der isolierte Staat um Machthaber Kim Jong Un gerade so viele Schlagzeilen macht, ist aus Sicht von Nordkorea-Expertin Tereza Novotna kein Zufall. Sie erklärt, welche Motive dahinterstecken könnten.
Wenn Nordkorea in den Nachrichten ist, dann ist das selten aus positivem Anlass. Mal hat Machthaber
In den letzten Wochen hat Nordkorea wieder für jede Menge Schlagzeilen gesorgt – und das auffällig häufig. Da gibt es beispielsweise die Drohung durch Kim Jong Uns Schwester, dass Südkorea eine "furchtbare Katastrophe" bevorstehe, sollte Seoul noch einmal Drohnen schicken. Die soll Seoul mit Propaganda-Flugblättern bestückt bis in die nordkoreanische Hauptstadt gesteuert haben.
Spannungen haben zugenommen
Da gibt es außerdem die zahlreichen Müllballons, die Kim Jong Un seit Mai immer wieder über die Grenze schickt und die Straßen und Eisenbahnverbindungen, die er nach Südkorea hat sprengen lassen. Friedenspläne als Langzeitziel hat er zudem auf Eis gelegt und nun auch noch nordkoreanische Soldaten nach Russland geschickt. Das wurde inzwischen von Nato-Verbündeten bestätigt.
Dass die Ereignisse sich derzeit zu überschlagen scheinen, ist aus Sicht von Politikwissenschaftlerin und Nordkorea-Expertin Tereza Novotna nicht nur ein Eindruck. "Es passiert derzeit tatsächlich sehr viel und die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea haben deutlich zugenommen." Auch die Reaktionen der südkoreanischen Seite hätten dazu beigetragen.
Bewaffneter Konflikt möglich
Es bestehe die Gefahr, dass diese Spannungen – wenn auch nicht absichtlich – zu einem bewaffneten Konflikt führen könnten. "Es gibt ein großes Potenzial für Missverständnisse, Unfälle, falsche Interpretationen", warnt Novotna.
Nordkorea handele dabei immer in Zyklen. "Teilweise sind die Spannungen hoch und dann plötzlich gehen sie runter. Angespannt waren sie zuletzt 2017 und 2018, bevor es zum Austausch vom damaligem US-Präsident Trump mit Nordkorea kam", so die Expertin.
Die Debatte sei damals allerdings auf die nukleare Dimension konzentriert gewesen. "Diesmal geht es aber eher um die Spannungen zwischen den beiden koreanischen Staaten. Die USA verhalten sich relativ zurückhaltend", beobachtet sie. Auch für Kim Jong Un sei es relevant, wer die Präsidentschaftswahlen im November gewinnt. "Vielleicht will er vorab die Aufmerksamkeit auf sich ziehen", sagt sie.
China und Russland ausspielen
Hinter den Aktionen Pjöngjangs steckt aus Sicht der Expertin aber noch ein weiteres Motiv: Kim Jong Un wolle China zeigen, dass Peking nicht die einzige Option für das isolierte Land ist. Darüber hinaus könnte es das Ziel des nordkoreanischen Machthabers auch sein, China und Russland gegeneinander auszuspielen. Pjöngjang setze auf eine Verschiebung der globalen Machtverhältnisse und wolle auf der Seite der Gewinner stehen.
Nordkorea und Russland haben in den vergangenen Jahren ihre militärische Zusammenarbeit immer weiter ausgebaut. Die Soldaten, die Nordkorea nach Russland geschickt hat, sind daher auch ein Zeichen an China. "Nordkorea möchte internationale Anerkennung für sein Verteidigungsprogramm", meint Novotna.
Nordkoreanische Soldaten
Sie ist allerdings noch vorsichtig in der Beurteilung der entsandten nordkoreanischen Soldaten. "Vor der Coronapandemie haben ziemlich viele Nordkoreaner im Osten von Russland, in sibirischen Wäldern, gearbeitet", sagt sie. Durch die Pandemie hätten die Nordkoreaner nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, weil die Grenzen komplett dicht gewesen seien.
"Ich kann mir gut vorstellen, dass auch diese Männer als Hilfe für die russische Armee geschickt wurden", sagt Novotna. Insgesamt könne der Krieg für Nordkorea auch ein gutes Geschäft sein – wegen Munitionslieferungen, aber auch wegen Arbeitskräften oder Soldaten.
Nicht nur nach Russland, sondern auch in die EU soll Nordkorea seine Kontakte intensiviert haben. Medienberichten zufolge soll Bulgarien eine Delegation aus Pjöngjang empfangen. In dem osteuropäischen Land ist die Skepsis gegenüber der EU und der Nato weit verbreitet. Ein Treffen in Sofia würde die EU vor diplomatische Fragen stellen, wäre für Nordkorea aber in jedem Fall ein Coup. Dadurch, dass es aktiv selbst nach neuen Partnerschaften sucht, wolle es sich unabhängiger von China machen.
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Kontakte in die EU
Novotna sieht diese Entwicklung weniger dramatisch. Sie sagt: "Mehrere europäische Länder, darunter auch Bulgarien, hatten in der vergangenen Zeit eine Botschaft in Nordkorea. Diese haben sie aber vor allem während der Corona-Pandemie geschlossen, weil Nordkorea damals drakonische Maßnahmen ergriffen hat." Jetzt komme die Zeit, in der man diese Kontakte wieder aufleben lassen wolle. Aus ihrer Sicht sei es aber am sinnvollsten, dass Schweden dabei den ersten Schritt gehe.
"Schweden hat eine Sonderposition, weil es ein Teil der Neutralen Überwachungskommission für den Waffenstillstand in Korea und Schutzmacht für die USA ist. Die USA haben nie eine Vertretung in Nordkorea gehabt, die schwedische Botschaft ist gleichzeitig die diplomatische Vertretung der USA", erklärt Novotna.
Es sei nicht per se negativ, wenn Nordkorea Kontakte zu EU-Ländern hätte, aber es sei wichtig, dass sich die Europäer untereinander gut koordinieren würden. "Ideal wäre es, wenn man eine europäische Vertretung in Pjöngjang öffnen würde. Es ist schließlich immer gut, Augen und Ohren vor Ort zu haben", meint sie.
Über die Gesprächspartner
- Dr. Tereza Novotna hat u. a. Politik und Europastudien studiert und forscht an der Freien Universität Berlin. Sie hat auch bereits in Seoul gelehrt.
Verwendete Quelle
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