In der Ampel-Koalition geht es schon wieder rund. Eine Debatte über steuerliche Entlastungen der Wirtschaft wird immer mehr zu einem Grundsatzstreit – ein Konsens ist nicht in Sicht.
Im Kern geht es darum, wie deutsche Unternehmen international wettbewerbsfähiger werden können. Führende FDP-Politiker verlangten am Dienstag mehr Führung von Kanzler
Vor welchem Hintergrund findet die Steuerdebatte statt?
Deutschland befindet sich in einer Konjunkturflaute. Im vergangenen Jahr rutschte Europas größte Volkswirtschaft in eine Rezession und hinkt international bei Wachstumsraten hinterher. Für das laufende Jahr wird nur ein Mini-Wachstum erwartet. So bekamen Exporteure die Schwäche des Welthandels zu spüren. Gestiegene Immobilienzinsen bremsten den Bau aus.
Dazu kommt: Seit langem beklagt die Wirtschaft, die vor der Herkulesaufgabe der klimafreundlichen Transformation steht, hausgemachte Probleme. So seien die Energiepreise zu hoch, es gebe zu viel Bürokratie, Planungs- und Genehmigungsverfahren dauerten nach wie vor zu lange. Und: Deutschland sei im internationalen Vergleich ein "Höchststeuerland", heißt es in einer vor kurzem vorgelegten Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Spitzenverbände der Wirtschaft forderten in einem Brandbrief an Scholz Reformen. Es müsse wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen geben.
Was wollen Habeck und Lindner?
Um genau diese Rahmenbedingungen geht es in der aktuellen Debatte. Sowohl Wirtschaftsminister
Habeck preschte in der vergangenen Woche vor und brachte ein milliardenschweres, schuldenfinanziertes Sondervermögen ins Spiel. Der Vizekanzler nannte die Möglichkeit, Steuergutschriften und steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten zu schaffen – Steuergutschriften sind ein zentraler Bestandteil eines großen Konjunkturprogramms in den USA zur Förderung klimafreundlicher Technologien.
Die FDP aber lehnte mehr Schulden umgehend ab. FDP-Chef Lindner sagte dem "Handelsblatt", eine Schuldenpolitik sei ökonomisch nicht sinnvoll. Der Bund zahle hohe Zinsen für Staatsverschuldung. "Wir würden unseren Haushalt rasch strangulieren." Es müssten Standortbedingungen für alle verbessert werden. "Man stelle sich vor: Der Wirtschafts- und der Finanzminister gelangen beide zu der Erkenntnis, Deutschland ist nicht mehr ausreichend wettbewerbsfähig. Es ist unvorstellbar, dass dies nicht zu politischen Veränderungen führt."
Nur: kommt es dazu – und zu welchen? Lindner will ein "Dynamisierungspaket" – mit Entlastungen für Firmen zum Beispiel im Arbeitsmarkt, bei den Energiepreisen, bei Bürokratie und Steuern. So schlug der FDP-Chef vor, den Solidaritätszuschlag komplett zu streichen. Habeck zeigte sich aber skeptisch: Den Soli ganz zu streichen, würde das Haushaltsloch vergrößern.
Ohnehin steht die Ampel erneut vor schwierigen Haushaltsverhandlungen. Im Etat 2025 klaffen Milliardenlöcher. Lindner hat wiederholt betont, es müssten stärker Prioritäten gesetzt werden. Einen Abbau von Sozialleistungen dürfte es aber mit der SPD nicht geben.
Was sagt der Kanzler?
Scholz hielt sich zunächst zurück. Am Montagabend dann verwies der Kanzler auf das vom Bundestag bereits verabschiedete Wachstumschancengesetz. "Ich hoffe, dass dieses sehr konkrete und sehr praktische Projekt, das die Investitionsfähigkeit von Unternehmen erleichtern soll, auch mit der Zustimmung der Länder etwas werden wird", sagte Scholz. "Darauf sollte man sich konzentrieren. Das ist praktisch, anfassbar und wirkt schnell."
Das Wachstumschancengesetz sieht steuerliche Entlastungen für Firmen von sieben Milliarden Euro im Jahr vor. Es hängt allerdings fest. Der Bundesrat hatte das Gesetz blockiert, weil es zu Einnahmeausfällen bei den Ländern führt. Bei den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag wird erwartet, dass das Volumen der Entlastungen auf drei Milliarden Euro sinkt. Umstritten ist zum Beispiel eine vorgesehene Prämie für Firmen für Investitionen in den Klimaschutz.
Außerdem will die Union ihre Zustimmung zum Wachstumschancengesetz von einer Rücknahme der geplanten Streichung der Steuerentlastungen beim Agrardiesel abhängig machen. Der Bundestag hat das Gesetz, in dem die Streichung enthalten ist, bereits beschlossen – es muss aber noch den Bundesrat passieren.
FDP-Politiker verschärften am Dienstag den Ton gegenüber dem Kanzler. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte, das von Lindner vorgeschlagene "Dynamisierungspaket" wäre das Richtige, um den Standort Deutschland wieder auf Erfolgskurs zu bringen. "Mich irritiert sehr, dass der Bundeskanzler sich in der Debatte extrem zurückhält und sich diesen Vorschlag zur Stärkung des Wachstums nicht offensiv zu eigen macht. Es wäre jetzt an der Zeit, Führung zu zeigen."
Die FDP liegt bei Umfragen bundesweit um die fünf Prozent – damit droht, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl 2025 an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert und aus dem Bundestag fliegt.
Wie ist die Position von Gewerkschaften und Instituten?
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte: "Eine verkürzte Debatte über die Steuerbelastung von Unternehmen wird den vielschichtigen Strukturproblemen nicht gerecht. Eine aktuelle Befragung des Sparkassen- und Giroverbandes zeigt, dass die Unternehmen andere Sorgen haben. Wesentlich dringlicher bewerten sie etwa den Handlungsbedarf bei den Themen Fachkräftemangel, Energiekosten, Infrastruktur und Bildung. Dies zeigt aufs Neue: Eine Reform der Schuldenbremse ist unumgänglich." Dazu bleibe wichtig, große Vermögen und Erbschaften weitaus stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, als dies jetzt der Fall sei.
Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sagte, eine Abschaffung des Rest-Solis sei grundsätzlich sinnvoll, weil er sich nach mehr als drei Jahrzehnten überlebt habe und auf Dauer auch verfassungsrechtliche Probleme aufwerfe. Eine Senkung der Unternehmenssteuersätze würde tendenziell positive Wirkungen auf Investitionen und Wachstum haben. Bach sprach sich zur Kompensation unter anderem für höhere Spitzensteuersätze aus – das allerdings ist auch unter Experten umstritten.
© dpa
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