Am Sonntag wird in Sachsen und Thüringen gewählt, am 22. September folgt Brandenburg. Die AfD könnte in allen drei Bundesländern stärkste Kraft werden. Was das für Regierungsbildungen bedeuten würde und warum es trotz "Brandmauer" und "Unvereinbarkeitsbeschluss" zu einem AfD-Ministerpräsidenten kommen könnte.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wohl ganz Deutschland blickt am Wochenende auf die Landtagswahlen in Ostdeutschland. Dort wählen die Menschen in Sachsen und Thüringen ihren Landtag, Ende des Monats (22.) steht die Landtagswahl in Brandenburg an.

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Eine Partei erfährt dabei besondere Aufmerksamkeit: die AfD. Denn sie hat in allen drei Bundesländern die Chance, stärkste Kraft zu werden. Den jüngsten Umfragen zufolge liegt die AfD in Thüringen mit 30 Prozent vorn, die CDU folgt auf Platz 2 mit 22 Prozent. Grüne und SPD müssen mit 4 beziehungsweise 7 Prozent um den Einzug in den Landtag bangen. Die Linke stand zuletzt bei 14 Prozent, das BSW bei 17 Prozent.

AfD in allen drei Ländern auf Erfolgskurs

In Sachsen ist das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen AfD und CDU noch knapper. Zuletzt lag die CDU (33 Prozent) in den Umfragen mit zwei Prozentpunkten vor der AfD, welche auf 31 Prozent der Stimmen kommt. SPD (7 Prozent), Grüne (6 Prozent) und Linke (3 Prozent) kommen in den Umfragen noch nicht einmal zusammen auf 20 Prozent der Wählerstimmen. Das BSW steht bei 12 Prozent.

In Brandenburg führt die AfD die Umfragen mit 24 Prozent an, es folgen SPD (20 Prozent), CDU (19 Prozent) und BSW (17 Prozent). "Auch, wenn die AfD beispielsweise in Thüringen deutlich vorn liegt: Das heißt nicht unbedingt, dass sie hier die besten Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat", sagt Politikwissenschaftler Eric Linhart. Denn am Ende würden andere Logiken des Parteiensystems eine Rolle spielen – bei denen auch die Parteien mit wenigen Wählerstimmen das Zünglein an der Waage sein könnten.

Erhebliche Unsicherheiten

"In allen drei Bundesländern wird die Frage lauten: Welche Mehrheitsoptionen stehen theoretisch zur Verfügung? Wie gewollt sind diese Mehrheitsoptionen? Und auch: Wie leicht könnten diese im Zweifel scheitern und wie sähe die Situation dann aus?", erklärt der Experte.

Er weist aber auch darauf hin, dass die Umfragewerte vor allem in Sachsen und Thüringen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. "Da muss man den Wahltag abwarten, um dann die Sachlage zu sehen", so Linhart. In Sachsen sei beispielsweise unklar, ob SPD, Grüne und Linke es überhaupt in den Landtag schaffen. "Wenn man das aufsummiert, kommt man auf rund 15 Prozent möglicher Wählerstimmen. Das kann Mehrheiten enorm verschieben", so Linhart. Jedes mögliche Szenario müsse man daher separat durchdenken.

Keine Partner für AfD weit und breit

"Auf den ersten Blick hat die AfD eigentlich keine Chance auf Regierungsbeteiligung, weil niemand mit ihr koalieren möchte", sagt Linhart. Zwar habe das BSW eine "Brandmauer" grundsätzlich abgelehnt, doch auch diese Partei wolle nicht mit der AfD zusammen regieren.

"Wir müssen vom jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass die Parteien das ernst meinen, was sie sagen. Wenn sie bei ihren Koalitionsaussagen bleiben, fehlt der AfD in jedem Bundesland ein möglicher Regierungspartner", so der Politikwissenschaftler. Und dass die AfD auf eine absolute Mehrheit kommt, hält Linhart für sehr unwahrscheinlich. Insgesamt heißt das aber auch: In allen drei Bundesländern wird die Koalitionsbildung vermutlich eine Herausforderung.

Kann die CDU mit dem BSW?

Wenn SPD und Grüne beispielsweise in Sachsen im Landtag bleiben – das geht neben der 5-Prozenthürde in Sachsen auch über zwei Direktmandate – und die CDU bei über 30 Prozent landet, hält Linhart die Fortsetzung einer Kenia-Koalition für am wahrscheinlichsten. "Es ist nicht die bevorzugte Option aller beteiligten Parteien, würde aber funktionieren und ist eine realistische Option", so der Experte.

Was aber, wenn Grüne oder SPD aus dem Landtag fliegen, sodass am Ende nur drei mögliche Mehrheiten zur Auswahl stehen? CDU und AfD, CDU und BSW sowie AfD und BSW. "Wenn CDU und BSW ausschließen, mit der AfD zu koalieren, bleibt nur noch eine Option: CDU und BSW", zeigt Linhart auf.

Zünglein an der Waage

Auch in Thüringen und Brandenburg wird einiges davon abhängen, wer überhaupt in den Landtag kommt. "In Thüringen sehen die aktuellen Zahlen für die Grünen eher ungünstig aus, und auch die SPD könnte zittern müssen", sagt Linhart. Sollten beide Parteien den Einzug in den Landtag verpassen, wäre rein rechnerisch ein Bündnis aus CDU, BSW und Linkspartei die einzige Mehrheitsoption unter Ausschluss der AfD. Doch mit der Linkspartei hat die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss.

Schafft es die SPD hingegen in den Landtag, was die wahrscheinlichere Variante ist, dann rechnerisch wohl auch eine Koalition aus CDU, SPD und BSW denkbar. Ob sie funktionieren würde? Dafür gibt es keinerlei Erfahrungswerte. Die Führungskräfte der Union haben in den letzten Tagen immer wieder betont, man belasse die Entscheidung in den Händen der CDUler vor Ort.

AfD-Ministerpräsident möglich

Dennoch könnte es aus Linharts Sicht Konstellationen geben, in denen es zur Wahl eines AfD-Ministerpräsidenten kommen kann. Selbst wenn sich CDU und BSW überhaupt in Koalitionsverhandlungen begeben würden, fände er es voreilig anzunehmen, dass diese auch in eine gemeinsame Regierung münden. "Koalitionsverhandlungen können durchaus scheitern, und das BSW hat seine Hürde nicht gerade niedrig gelegt", so der Experte.

Außerdem sei das BSW eine neue Partei. "Wir wissen noch überhaupt nicht, wie sie sich im parlamentarischen Raum verhalten wird. Wir können, bis auf ein paar Spitzenpersonen, das Personal noch gar nicht einschätzen. Gibt es eine disziplinierte Fraktion, die einheitlich abstimmt? Auch das ist offen."

Es sei also gut möglich, dass man in einem Szenario lande, in dem die Koalitionsverhandlungen scheitern und es in einem späteren Schritt zu einer Ministerpräsidentenwahl ohne vorverhandelte Mehrheiten kommt. "Sie ist geheim – wir wissen nicht, wer am Ende wie abstimmt", erinnert Linhart. Im Zweifel genüge in einem späteren Wahlgang dann auch eine relative Mehrheit – bei der die AfD das Rennen machen könnte. "Ich würde nicht vollkommen ausschließen, dass ein AfD-Ministerpräsident gewählt werden wird", so Linhart.

Schon in der Vergangenheit regierte oft die zweitstärkste Kraft

Die AfD, da ist sich Linhart sicher, könnte am Ende davon profitieren, wenn sich andere Parteien nicht einigen können und dann irgendwann mit relativer Mehrheit abgestimmt wird. "Brandenburg ist vor einem solchen Szenario derzeit noch am besten geschützt", meint Linhart. CDU und SPD dürften dort gemeinsam deutlich stärker werden als die AfD. Sobald sie sich einig sind, ist ziemlich ausgeschlossen, dass dort ein AfD-Ministerpräsident mit relativer Mehrheit gewählt wird.

"Wenn die AfD stärkste Kraft wird, wird sie daraus sicher einen Regierungsanspruch ableiten", sagt Linhart. Für die Regierungsbildung spiele es aber eine nachgelagerte Rolle. "Es gab in der Vergangenheit schon häufiger den Fall, dass die zweitstärkste Partei den Ministerpräsidenten gestellt hat", so Linhart. Es sei daher zum jetzigen Zeitpunkt so viel offen wie selten zuvor.

Über den Experten:

  • Dr. Eric Linhart lehrt an der TU Chemnitz als Inhaber der Professur für Politische Systeme. Schwerpunkte seiner Forschung sind beispielsweise das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wahlverhalten und Wahlsysteme sowie Koalitionstheorien und Regierungsbildung.

Weitere Quellen:

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