Mario Voigt hat sich viel vorgenommen für Thüringen. Als Spitzenkandidat der CDU will er die Staatskanzlei von der Linken zurückerobern. Doch selbst, falls er das schafft, dürfte die Regierungsbildung im Freistaat ein Kraftakt werden.
Einst war Thüringen fest in CDU-Hand. Nach der Wiedervereinigung gewannen die Christdemokraten jede Wahl im Freistaat – bis sie sich 2014 der Linken unter
10 Jahren nach dieser historischen Niederlage tritt
Wahrlich kein leichtes Unterfangen, bei Umfragewerten von rund 30 Prozent für die AfD. Am Telefon zeigt sich Voigt dennoch optimistisch. In ruhigem Ton spricht er über einen aufgeheizten Wahlkampf, darüber, wie er das BSW wahrnimmt und was er von der Bundesregierung beim Thema Ukrainekrieg erwartet.
Herr Voigt, in den letzten Monaten haben sich Berichte über Anfeindungen und Angriffe auf Wahlkämpfer und Politiker gehäuft. Wie nehmen Sie derzeit die Stimmung in Thüringen wahr?
Mario Voigt: Das Klima ist aufgeheizt, die Polarisierung ein riesiges Problem. Umso wichtiger ist es, Angriffe auf Wahlkämpfer und Vertreter der Demokratie klipp und klar zurückzuweisen. Wir müssen uns als Demokraten gegenseitig unterstützen.
Woher kommt diese Wut Ihrer Meinung nach?
Es liegt an der jahrelangen politischen Ausnahmesituation in Thüringen. Dazu kommt die Radikalisierung der Höcke-AfD, die wir hier jeden Tag spüren. Aber die Menschen spüren auch, dass die Bundesregierung nicht die Themen anpackt, die sie bewegen, und über ihre Köpfe hinweg agiert. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen sind deswegen auch Grundsatzentscheidungen, ob es uns gelingt, demokratische Regierungen aus der Mitte heraus zu bilden, oder ob wir in Abstieg und Chaos versinken.
Für politisches Chaos könnte die AfD sorgen, sollte Sie stärkste Kraft werden. Dann hätte Sie etwa das Anrecht, den Landtagspräsidenten zu stellen. Es wird befürchtet, dass man das Amt ausnutzen könnte, um die Regierung zu blockieren. Auch die Wahl des Ministerpräsidenten könnte ein Problem werden. Ist die CDU dafür gewappnet?
Man muss klar sagen, dass wir alle in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Aber das wird uns kein zweites Mal passieren.
Zum Hintergrund
- Laut der Geschäftsordnung des Landtags stellt die stärkste Fraktion üblicherweise den Präsidenten des Landtages. Ohne diese kann das Parlament faktisch den Betrieb nicht aufnehmen oder einen Ministerpräsidenten wählen.
- Verfassungsrechtler sind jedoch besorgt, dass die AfD das Amt des Landtagspräsidenten ausnutzen könnte. Denn es würde der Partei tatsächliche politische Gestaltungsmacht verleihen. Der Landtagspräsident kann zum Beispiel Gesetze monatelang verzögern.
- Zwar geht laut Interpretation der Landtagsverordnung das Vorschlagsrecht für einen Präsidenten auf die anderen Fraktionen über, falls sich keine Mehrheit für den Kandidaten der stärksten Fraktion finden lässt. Doch die AfD könnte das juristisch anfechten – was für politische Instabilitäten in Thüringen sorgen würde.
Sie spielen unter anderem auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten und die abgesagten Neuwahlen an. An beiden Vorgängen war die CDU maßgeblich Mitschuld.
Wir haben uns mit den Problemen, die wir selbst mitverursacht haben, intensiv beschäftigt und aus ihnen gelernt. Die CDU ist auf alles, was ab dem 2. September passieren kann, vorbereitet.
Konkrete Maßnahmen, um die Parlamentsregeln vor Missbrauch durch die AfD zu schützen, wurden aber nicht ergriffen, obwohl Verfassungsrechtler darauf gedrängt haben. Warum nicht?
Wir haben eine wehrhafte Demokratie. Aber die wird am stärksten dadurch, dass wir funktionsfähige demokratische Mehrheiten bekommen. Dafür setze ich mich ein. Ansonsten gilt es, Demut vor dem Wähler zu haben. Was die Bevölkerung entscheidet, sollte nicht vorher durch neue Regelungen ausgeschlossen werden.
Die AfD liegt laut Umfragen mit rund 30 Prozent immer noch weit vor der CDU. Glauben Sie wirklich, diesen Vorsprung noch aufholen zu können?
Die Menschen wollen, dass sich etwas bewegt, und das können sie nur mit einer Stimme für die CDU erreichen. Die Höcke-AfD ist eine Gefahr für unsere Heimat und beim BSW können sich die Wähler nicht sicher sein, was sie bekommen. Hört man Frau
Mit Blick auf die Umfragen könnte es in Thüringen schwer werden, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Wären sie auch bereit, eine Minderheitsregierung anzuführen?
Mein Ziel ist eine Mehrheitsregierung – und eine Koalition mit der AfD oder Linken wird es nicht geben. Was ich aber unabhängig vom Wahlergebnis sagen kann ist, dass die CDU im Landtag all die Sachen, die sie vor der Wahl verspricht, auch zur Abstimmung bringen wird. Wir haben das schon vorgemacht, beim Thema Grunderwerbsteuer.
Diesen Antrag hat Ihre Partei mit Stimmen der FDP und AfD durchgebracht. Bundesweit gab es dafür Kritik. Heißt das: Sie sind auch künftig bereit, Entscheidungen mit Stimmen der AfD durchzusetzen?
Es heißt, dass ich im Landtag bewiesen habe, dass die CDU zur Abstimmung stellt, was sie für richtig hält. Das ist es, was die Leute erwarten.
Am BSW führt mit Blick auf mögliche Koalitionen aktuell kein Weg vorbei. Sahra Wagenknecht hat angekündigt, man wolle Anträge der AfD nicht generell ablehnen, sondern auch für sie stimmen, wenn man sie inhaltlich für richtig hält. Ließe sich das für Sie in einer Koalition mit der CDU-Brandmauer vereinbaren?
Wie andere Parteien sich verhalten, das müssen sie für sich selbst entscheiden. Als CDU werden wir jedenfalls umsetzen, was wir versprechen. Was wir in einer CDU-geführten Regierung aber nicht zulassen werden, sind Einmischungen von außen.
Was meinen Sie? Ansagen zu möglichen Koalitionspartnern von CDU-Chef Merz?
Was ich mir verbitte, sind Aussagen wie 2020, als auf einer Pressekonferenz in Südafrika erklärt wurde, dass die Kemmerich-Wahl rückgängig gemacht werden müsse. (Anm.d.Red: Die Äußerung stammte von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel) Das hat für massiven Frust gesorgt. Wir Thüringer entscheiden über unseren Weg schon selbst. Ich erlebe auch ein BSW, bei dem die Ansagen aus dem Saarland (Anm.d.Red. Sahra Wagenknecht wohnt im Saarland) kommen. Thüringen braucht aber wieder eine starke Stimme in Deutschland, die unsere Interessen in Berlin vertritt. Nicht umgekehrt. Dafür stehe ich.
Das BSW macht unlängst Koalitionen auf Länderebene von der Haltung zum Ukrainekrieg abhängig. Nur wenig später äußerten Sie sich ähnlich und forderten mehr diplomatische Bemühungen Deutschlands. Eine Anbiederung an das BSW?
Was ich gesagt habe, sage ich seit über zwei Jahren öffentlich. Deutschland ist immer eine Friedensmacht gewesen und die CDU die größte Friedenspartei in Europa. Helmut Kohl hat die Frage von Krieg und Frieden immerhin zur zentralen Frage der europäischen Einigung gemacht. Für mich ist deshalb klar, dass es mehr diplomatische und hörbare Friedensinitiativen von Deutschland braucht.
Was für Ziele sollten diese diplomatischen Bemühungen ins Auge fassen? Den Krieg einzufrieren, wie es einst der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich forderte?
Vornweg: Weltpolitik wird nicht in Thüringen entschieden. All diejenigen, die so tun, als wäre das der Fall, betreiben Wählerverdummung. Aber es bräuchte eine gemeinsame europäische Position für Frieden. Die gab es in der Vergangenheit, zum Beispiel beim Minsker Abkommen. Als wichtigstes Land innerhalb der EU wäre es unsere Aufgabe, sich für Verhandlungen zum Ende des Krieges einzusetzen. Doch die Bundesregierung liefert hier nichts ab.
Auch über schärfere Migrationsregeln wird nicht in Thüringen entschieden. Dennoch rücken Sie das Thema stark in den Vordergrund. Was genau planen Sie hier?
Natürlich kann Thüringen hier handeln. Grundsätzlich gilt: Wir sind ein weltoffenes Land, aber wir hängen nicht die Tür zu unserer Wohnung aus. Deshalb wollen wir ein Thüringer Aufnahme- und Rückführungszentrum schaffen. Wen wir als Fachkraft brauchen, der soll schneller anerkannt werden. Wer aber keine Bleibeperspektive hat, muss konsequent abgeschoben werden. Außerdem wollen wir die Bezahlkarte landesweit einführen. Das heißt, es gibt künftig Sach- statt Geldleistungen für Migranten. Dasselbe gilt für verpflichtende gemeinnützige Arbeit für die Menschen in Flüchtlingsunterkünften. Es waren CDU-Landräte in Thüringen, die diese Maßnahmen als allererste eingeführt haben.
Dieses Arbeitsprogramm gibt es bislang nur in einem Kreis in Thüringen. Die Migranten müssen dort für 80 Cent die Stunde arbeiten. Kritiker sagen: Das ist Lohndumping zum Nachteil von Menschen im Niedriglohnsektor. Wäre es nicht wichtiger dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge nicht Monate warten müssen, bis sie offiziell arbeiten dürfen?
Wir wollen in dieser Frage auch Druck auf Berlin machen. Aber bei uns erhalten Leute Sozialleistungen, von denen wir nicht wissen, ob sie eine Perspektive in Deutschland haben. Im Gegenzug erwarten wir, dass sie etwas zurückgeben und sich einbringen. Und das Modell ist ein Erfolg. Von den 100 Flüchtlingen in diesem Programm sind inzwischen 20 in sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs.
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