"Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal": Die EU und die britische Regierung haben sich zusammengerauft. Aber im Unterhaus in London dürfte das Abkommen einen schweren Stand haben.
Zwei Wochen vor dem Brexit-Termin haben sich die Europäische Union und Großbritannien doch noch auf eine gütliche Trennung geeinigt, doch die Zitterpartie ist damit noch nicht vorbei. Die 27 verbleibenden Staaten billigten den neuen Deal am Donnerstag beim EU-Gipfel. Widerstand gibt es aber im britischen Unterhaus, das am Samstag zustimmen müsste. Premierminister Boris Johnson demonstrierte dennoch Zuversicht und nannte das neue Abkommen großartig. Auch Kanzlerin Angela Merkel lobte den Kompromiss.
Der Brexit-Durchbruch war unmittelbar vor dem EU-Gipfel gelungen, der eigentlich ganz andere Themen auf der Tagesordnung hatte. Tatsächlich debattierten die 28 Staatenlenker dann abends sehr lange über die blockierten Erweiterungsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien. Aber die seit mehr als drei Jahren angebahnte Scheidung vom Vereinigten Königreich stellte noch einmal alles andere in den Schatten.
Nach der Last-Minute-Einigung wird der 2018 ausgehandelte Austrittsvertrag wird in entscheidenden Punkten geändert. Die Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland - der sogenannte Backstop - wird auf Wunsch Londons gestrichen und ersetzt. Die neue Lösung ist komplex, aber auch damit soll es keine Zollkontrollen an der inneririschen Grenze geben.
"Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal"
"Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal", schrieb EU-Kommissionschef
Nicht nur die Labour-Opposition attackierte die Vereinbarung, sondern auch
Zum Schwur kommen könnte es bei einer Sondersitzung des Parlaments am Samstag. Johnson hat im Unterhaus ohnehin keine Mehrheit und kann nur auf Unterstützung aus der Opposition hoffen. Johnson sagte auf besorgte Nachfragen nur, er sei "sehr zuversichtlich", dass Abgeordnete aller Parteien bei näherer Prüfung des Abkommens den Nutzen einer Zustimmung erkennen könnten.
Der britische Premier will sein Land unbedingt zu Halloween, am 31. Oktober, aus der Staatengemeinschaft führen. Lange hatte er versichert, Großbritannien werde auch ohne Deal aussteigen. Ein britisches Gesetz verpflichtet ihn aber, bei der EU um Aufschub zu bitten, falls bis Samstag kein Abkommen vom Parlament gebilligt ist. In dem Fall dürften die EU-Staaten dies auch gewähren.
Nordirland hält sich an bestimmte EU-Warenstandards
Der EU war es besonders wichtig, keine Kontrollen zwischen beiden Teilen der irischen Insel einzuführen, um den zerbrechlichen Frieden in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet nicht zu gefährden. Doch wollte sie auch nicht riskieren, dass unkontrolliert und unverzollt Waren über die neue EU-Außengrenze in den Binnenmarkt strömen.
Nach Barniers Worten umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards; Nordirland bleibt sowohl in einer speziellen Zollpartnerschaft mit der EU als auch in der Zollunion des Vereinigten Königreichs; es gibt eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden; und die nordirische Volksvertretung kann vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und dann nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten soll.
Der vom Brexit besonders betroffene EU-Staat Irland trägt dies mit. "Wir haben eine einzigartige Lösung für Nordirland gefunden, die der einzigartigen Geschichte und Geografie Rechnung trägt", schrieb Regierungschef Leo Varadkar auf Twitter.
Geändert wurde auch die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien, wie EU-Unterhändler Michel Barnier erläuterte. Darin gebe Großbritannien "solide Garantien", dass EU-Standards etwa bei Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden.
Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht von einem "Ausverkauf"
Labour-Chef Jeremy Corbyn sieht trotzdem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern nach dem EU-Austritt in Gefahr und spricht von einem "Ausverkauf". Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei erklärte: "Es scheint, dass der Premierminister einen noch schlechteren Deal verhandelt hat als (seine Vorgängerin) Theresa May."
Die Briten hatten vor gut drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. EU-Ratschef Tusk hofft langfristig auf eine Rückkehr Großbritanniens. "Unsere Tür wird immer offen stehen."
Nach den Brexit-Beratungen ging es beim Gipfel um den schon seit 2018 geplanten Start von EU-Beitrittsgesprächen mit den Balkanstaaten Albanien und Nordmazedonien. Vor allem Frankreich hatte sich zuletzt dagegen gestemmt, während Merkel den beiden Staaten eine Beitrittsperspektive eröffnen will. Auch die künftige EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bedauerte, dass das Verfahren nicht in Gang kommt. Die beiden Länder hätten sich sehr angestrengt, "und mir ist sehr daran gelegen, dass sie ein positives Signal bekommen". (dpa/fra)
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