Vier Tage lang haben die Schwellenländer des globalen Südens in Südafrika getagt. Wichtigstes Ergebnis: Ihre Gemeinschaft wächst auf mehr als die doppelte Größe an. Was das für den Westen bedeutet und welcher Kurs von dem Bündnis zu erwarten ist, erklärt Politikwissenschaftler Andreas Vasilache.
Der Brics-Gipfel in Südafrika (22. bis 24. August) ist vorbei. Die wohl wichtigste Nachricht: Die Gemeinschaft wächst – und wird sich von fünf auf elf Mitglieder mehr als verdoppeln. Ab 2024 gehören dann auch Argentinien, Äthiopien, Ägypten, Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate zu dem Bündnis, das fortan den Namen "Brics Plus" trägt.
Man habe mit dem Gipfel "ein neues Kapitel aufgeschlagen", sagte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Die Entscheidung verleiht dem Bündnis in der Tat neues globales Gewicht: Ökonomisch, politisch und geopolitisch. Waren es bisher schon 42 Prozent der Weltbevölkerung und rund 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, so steigt der Anteil mit dem Beitritt der sechs Länder auf 46 Prozent der Weltbevölkerung und 37 Prozent der Wirtschaftsleistung.
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China und Russland haben sich durchgesetzt
Für Politikwissenschaftler Andreas Vasilache legt der Beschluss aber auch Machtverhältnisse innerhalb des Bündnisses offen: "Die Entscheidung deutet darauf hin, dass sich vornehmlich China und Russland durchgesetzt haben", sagt er. Es habe im Vorfeld eine gewisse Zurückhaltung, insbesondere bei Indien, hinsichtlich einer Erweiterung gegeben. "Der stärkste Akteur in den aktuellen Brics ist und bleibt China – es macht rund 70 Prozent der Wirtschaftsleistung aus und hat sich als mächtigstes Mitglied in dem Bündnis durchgesetzt", beobachtet der Experte.
Es zeige sich, so Vasilache, dass sich innerhalb der Brics eine Position durchsetzt, die stärker anti-westlich geprägt ist. "Länder wie Russland, der Iran und China verstehen die Brics nicht als Alternative, die kooperativ mit anderen, insbesondere westlich geprägten internationalen Institutionen zusammenarbeitet, sondern eher auf konfrontativem Kurs", sagt Vasilache.
Warnung vor Brics als Fluchtpunkt
Davor warnte im Anschluss des Gipfels auch der Europapolitiker Reinhard Bütikofer (Grüne). Er forderte ein stärkeres Zugehen der EU auf arme Staaten. "Viele Jahre haben wir nicht, um unter Beweis zu stellen, dass Europa ein glaubwürdiger, verlässlicher und fairer Partner sein will", sagte er in Brüssel. Gelinge das nicht, könnte Brics für viele arme Länder ein Fluchtpunkt sein, warnte er.
Eine neue Weltordnung zeichnet sich aus Sicht von Experte Vasilache aber noch nicht ab. "Die Brics bleiben sehr heterogen", betont er. Unter den neu aufgenommenen Ländern sind auch enge Verbündete der westlichen Staaten – insbesondere der USA. "Saudi-Arabien und Ägypten sind bestimmt nicht demokratisch, aber langjährige Verbündete und Alliierte des Westens", merkt er an.
Spannungen im Brics-Bündnis
Das sorge für ein Spannungsverhältnis innerhalb des Bündnisses, das auch Staaten beinhaltet, die eng mit dem Westen zusammenarbeiten. "Das wird sich auch durch die Erweiterung nicht ändern", sagt der Experte. Die Mitgliedsländer – Autokratien ebenso wie parlamentarische Demokratien mit völlig unterschiedlichen ökonomischen und politischen Strukturen und Zielen – hätten unterschiedliche Auffassungen davon, was die Brics überhaupt seien.
"Das eigene Selbstverständnis ist entweder alternativ-kooperativ oder alternativ-konfrontativ", führt Vasilache aus. Indien, Südafrika und Brasilien seien weiterhin an einer Kooperation mit dem Westen und den USA und weniger an einer Blockbildung interessiert. "Russland und China sehen Brics hingegen ganz dezidiert als alternativ-konfrontative Einrichtung und begreifen es als eine Form der Blockbildung", analysiert er.
Manche Länder sind sich spinnefeind
Unwahrscheinlich sei auch, dass Brics ein geeignetes Forum sei, um Konflikte zwischen Mitgliedsländern zu schlichten. "Es gibt zum Beispiel einen Grenzkonflikt zwischen Indien und China. Auch Saudi-Arabien und Iran stehen sich in bewaffneten Konflikten gegenüber", erinnert der Experte. Beide Länder erheben Ansprüche auf die Vorherrschaft im Nahen Osten, außerdem unterstützt der Iran Rebellen im Jemen, die Saudi-Arabien bekämpft. Diese Spannungsfelder werden sich auch im Bündnis widerspiegeln, meint der Experte.
"Zuletzt führt auch die Hegemonie Chinas zu Spannungen innerhalb der Brics", so Vasilache. Vor allem Indien habe große Sorge vor der Hegemonie Chinas innerhalb der Brics. "Es sorgt sich, dass China die Erweiterung zum Ausbau der eigenen Vormachtstellung nutzen kann und wird", erklärt der Experte.
Brics' Umgang mit Russland
Westliche Beobachter blickten auch gespannt auf den Umgang mit Russland, das einen Angriffskrieg in der Ukraine führt. Putin selbst schaltete sich nur per Video zum Gipfeltreffen, weil ihm in Südafrika eine Verhaftung droht. In mehreren Videobotschaften zu Beginn des Gipfels teilte der Kreml-Chef scharf gegen den Westen aus und kritisierte dessen Sanktionen.
Der Westen selbst habe den Krieg gegen die Ukraine "entfesselt", sagte Putin.
Am Abschlusstag war der Ukraine-Krieg kein Thema mehr. "Damit zeigt sich, was schon bekannt war: Mit einer vermeintlichen Geschlossenheit der Weltgemeinschaft gegen den Angriffskrieg Russlands ist es nicht so weit her, wie wir es uns wünschen", sagt Vasilache. Putins propagandistische Einlassungen hätten keine Widersprüche hervorgerufen.
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Experte: "aus europäischer Perspektive ernüchternd"
Nur der chinesische Präsident Xi Jinping hatte kurz erwähnt, dass die neue Brics-Plus-Gruppe auch dafür da sein sollte, den Weltfrieden zu sichern. Vasilache schätzt die Äußerungen als so umfassend und allgemein ein, dass sie keiner Kritik an Moskau gleichkommen.
"Das, was rhetorisch kommuniziert wurde, waren allgemeine Aussagen, die da lauten: Die Brics-Staaten setzen sich für Frieden, gegen illegitime Gewalt und für die Einhaltung der Charta der Vereinten Nationen ein – selbst Russland kann sich dem rhetorisch anschließen", hebt er hervor.
Es habe sich erneut gezeigt, dass der Blick des globalen Südens auf den Angriffskrieg doch ein anderer sei als im Westen. Für Moskau sei der Gipfel ein "friendly environment" gewesen. "Das ist aus europäischer Perspektive ernüchternd", räumt der Experte ein.
Statt der Frage, wie Frieden mit Staaten wie dem Iran in die Welt gebracht werden soll, befassten sich die Gipfel-Vertreter vorrangig mit wirtschaftlicher Kooperation, etwa der Zusammenarbeit von Banken. Eine gemeinsame Währung scheint derzeit nicht in greifbarer Nähe zu sein.
Der Westen muss sich einig werden im Umgang mit den Brics
Aus Sicht von Vasilache muss der Westen sich nun die Frage stellen, wie er mit den Brics umgehen will. "Der US-amerikanische Ansatz setzt eher auf Eindämmung und sucht stellenweise die Konfrontation. Das wäre Europa nicht unbedingt anzuraten", sagt er. Man müsse anerkennen, dass die Brics eine Einrichtung sind, die geltend machen, dass die Staaten des globalen Südens mit einer stärkeren Stimme in internationalen Fragen und Institutionen gehört werden müssen.
Man solle die Brics nicht per se als illegitime Autokraten-Vereinigung ansehen. "Mit Brasilien, Südafrika und Indien sind auch gewichtige demokratische Akteure dabei", so der Experte. Die Brics bildeten eine Antwort darauf, dass internationale Institutionen bislang wesentlich westlich dominiert waren und Länder des globalen Südens ihre Interessen bislang nicht gleichberechtigt zur Geltung bringen konnten.
Russland und China: Versuche der Instrumentalisierung
"Es wäre daher anzuraten, ein konstruktives Verhältnis zu den Brics zu suchen – allerdings mit der Tatsache im Hinterkopf, dass nicht ausgemacht ist, in welche Richtung sich die Brics entwickeln", rät Vasilache. Wenn sich die Politik eher konfrontativ entwickele, werde man nicht die Wahl haben, kooperativ zu reagieren.
"Mit Brasilien und Indien sind aber zwei ökonomische und politische Schwergewichte in den Brics vertreten, die an einer Blockbildung gegen den Westen kein Interesse haben", sagt er. Dass die Brics an antiwestlicher Haltung zulegen, hält er daher nicht für ausgemacht: "Man wird aber Versuche Russlands und Chinas erleben, Brics zu konfrontativen Zwecken zu instrumentalisieren."
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