Wie steht es um die Beziehungen der "besten Freunde" Deutschland und Frankreich? Am Deutsch-Französischen Tag erklärt die FDP-Politikerin Nicole Westig, warum die Zusammenarbeit zwischen den Ländern aus ihrer Sicht vielfältig und gut ist – und wo sie Handlungsbedarf sieht.
Der 22. Januar ist für die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ein wichtiges Datum. Im Jahr 1963 legten der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle mit dem Élysée-Vertrag den Grundstein für die Freundschaft der früheren Erbfeinde. 2019 listeten die beiden Regierungen dann im Aachener Vertrag eine ganze Reihe von Maßnahmen auf, um die Zusammenarbeit zu vertiefen.
Und heute, fünf Jahre nach dem Vertrag von Aachen? Zumindest nach außen geben Bundeskanzler
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicole Westig ist Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Sie zeigt sich im Interview mit unserer Redaktion überzeugt: Der Dialog funktioniere auf vielen Ebenen gut.
Frau Westig, aus Sicht der Opposition steht es schlecht um die deutsch-französischen Beziehungen? Sehen Sie das auch so?
Nicole Westig: Diese Behauptung begleitet mich, seit ich Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe bin. Ich höre sie zum Teil auch von französischen Journalisten. Es heißt da immer wieder, es laufe schlecht zwischen Olaf Scholz und Emmanuel Macron. Ich halte die Kritik an den deutsch-französischen Beziehungen für aufgebauscht.
Warum?
Man darf sich nicht nur auf die Regierungen und ihre Chefs fokussieren. Der deutsch-französische Dialog funktioniert auf ganz verschiedenen Ebenen sehr gut. Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung hat zuletzt im Dezember in Bonn getagt und beraten, wie wir mehr Menschen zum Erlernen der Partnersprache bewegen können. Während der Pandemie haben wir Parlamentarier 2020 zusammen mit den Innenministern erreicht, dass die Grenzen zwischen unseren Ländern wieder geöffnet werden. Doch wenn etwas geräuschlos läuft, spricht niemand darüber. Wenn es aber zu Missverständnissen oder Meinungsverschiedenheiten kommt, werden die sehr schnell wahrgenommen.
Auch der Austausch zwischen Vereinen, Unternehmen, Schulen ist seit Jahrzehnten sehr eng. Das scheint sich an der Spitze der beiden Regierungen aber nicht widerzuspiegeln. Müssten Olaf Scholz und Emmanuel Macron diese außergewöhnliche politische Freundschaft nicht ein bisschen mehr zelebrieren?
Ich sage es mal so: Es würde immer noch besser gehen. Das ist sicherlich auch eine Mentalitätsfrage. Ich selbst bin Rheinländerin und vielen Franzosen vielleicht auch in meiner Art ähnlicher. Olaf Scholz ist da als Hanseat vielleicht ein bisschen anders strukturiert. Ich weiß von der Außenministerin, dass sie einen engen Draht nach Paris hat. Und ich bin sicher, dass das auch für die Regierungsspitzen gilt.
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Die Kenntnisse der jeweils anderen Sprache sind in Deutschland wie in Frankreich seit Jahren rückläufig. Das ist keine gute Voraussetzung für einen engen Austausch der Zivilgesellschaften.
Nein, das ist es nicht. Das muss uns mit Sorge erfüllen. Deshalb haben wir im Dezember ja auch intensiv beraten, wie wir erreichen, dass wieder mehr Menschen die jeweils andere Sprache lernen – auch wenn es keine leichten Sprachen sind.
Wie soll das gelingen?
Das Erlernen von Französisch darf sich nicht auf einen akademischen Zirkel begrenzen. Auf französischer Seite gibt es die Initiative, das Erasmus-Austauschprogramm für Auszubildende zu öffnen. In Deutschland müssen wir mehr gesellschaftlichen Gruppen die Chance geben, Französisch zu lernen. Wer sagt denn, dass das nur in der Schule möglich sein kann? Es wäre gut, wenn auch mehr ältere Menschen motiviert werden, Französisch zu lernen. Im Dezember war Gabriel Attal – damals noch als französischer Bildungsminister – bei der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung zu Gast und hat zugesagt, das Thema ernst zu nehmen. Er kann es als Premierminister jetzt zur Chefsache machen.
Der französische Staatspräsident Macron kommt am Montag zum Trauerstaatsakt für den verstorbenen früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble nach Berlin. Was sagt das über die deutsch-französischen Beziehungen aus?
Das zeigt sicherlich, wie eng der Draht zwischen den Ländern ist. Das ist aber insbesondere eine Ehrerbietung an
Wenn man die Welt betrachtet, leben wir in unruhigen Zeiten. Möglicherweise werden sie noch unruhiger, wenn Donald Trump im Herbst zum US-Präsidenten gewählt wird und sich die USA ein Stück weit aus Europa zurückziehen. Müssten Deutschland und Frankreich gemeinsam diese mögliche Lücke füllen?
Auf jeden Fall. Wir brauchen die deutsch-französische Freundschaft, weil sie den Menschen in Europa Sicherheit gibt. Sie muss deshalb kein exklusiver Kreis sein. Es gibt das Format des Weimarer Dreiecks mit Polen, es gibt das Montecitorio-Format mit Italien. Mit Spanien entwickeln Deutschland und Frankreich ein gemeinsames Luftkampfsystem. Der deutsch-französische Motor muss möglichst auch andere Staaten mitziehen, damit Europa mit einer Stimme spricht und auch gegenüber den USA mehr Souveränität gewinnt.
Über die Gesprächspartnerin
- Nicole Westig wurden 1967 in Menden (Sauerland) geboren und studierte in Bonn Romanistik, Hispanistik und Öffentliches Recht. Sie arbeitete unter anderem als freie Redakteurin und Fundraiserin und ist seit 1987 Mitglied der FDP. 2017 wurde sie erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt. Dort ist sie Mitglied im Europa-Ausschuss sowie Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe.
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