Vom Gesundheitsminister zum Krisenmanager: Das Coronavirus versetzt das Land in den Ausnahmezustand – und stellt gerade Jens Spahn vor große Aufgaben. Ein Zeugnis für den CDU-Politiker.
"Eine 2-": So lautet Stephan Bröchlers Note für
Der Bundesgesundheitsminister hat seit Beginn der Coronakrise ein immenses Pensum abgearbeitet – und es ist noch lange kein Ende in Sicht: Pressekonferenzen, Talkshows, ständige Präsenz in Medien und sozialen Netzwerken. Dann die Arbeit im Hintergrund: politische Debatten, schwerwiegende Entscheidungen.
Spahn agiere sachlich und unaufgeregt, sagt Bröchler im Gespräch mit unserer Redaktion. Punktabzug gibt es wegen "technokratischen Politikverständnisses": "Er wirkt teilweise wie der Pressesprecher des Robert-Koch-Instituts."
Spahn setzt sich nicht selbst in Szene
Auch Dorothée de Nève, Professorin an der Universität Gießen, lobt Spahns Besonnenheit in der Krise. Die Expertin für das politische und soziale System Deutschlands erinnert daran, dass er in der Vergangenheit gelegentlich kontroverse Reaktionen provoziert hat, etwa beim Thema Hartz IV. 2018 hatte Spahn unter anderem mit der Aussage für Empörung gesorgt, dass Hartz-IV-Bezug nicht gleichbedeutend mit Armut sei.
In der aktuellen stressigen Lage wirkt er aus de Nèves Sicht indes souverän und ruhig: "Er kommuniziert als Verantwortlicher seines Ressorts, ohne sich übermäßig selbst in Szene zu setzen."
Nach wochenlanger Dauerpräsenz war Spahn zuletzt allerdings seltener in der Öffentlichkeit zu sehen. Stattdessen rückte
Große Nähe politischer Akteure zur Wissenschaft
Doch nicht nur Merkel und Spahn sind die Gesichter der Coronakrise: Vor allem der Berliner Virologe Christian Drosten ist quasi über Nacht bundesweit berühmt geworden. Renommierte Wissenschaftler sind täglich in den Medien, erklären, ordnen ein.
Spahn agiere beim Thema Corona Schulter an Schulter mit dem Robert-Koch-Institut und Ärzten, gibt Politikwissenschaftlerin de Nève zu bedenken: "Ohne die Autorität und den Rat der Virologen geht gerade gar nichts mehr." Das sei in dieser Qualität neu und verändere das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik vielleicht nachhaltig – möglicherweise auch bei anderen Themen wie Klimawandel, Rechtsextremismus oder Armut.
Eine Entwicklung, die auch Professor Bröchler sehr genau verfolgt: "Es ist natürlich wichtig, dass Wissenschaftler als Berater ernst genommen werden. Aber es ist auch wichtig, Wissenschaft und Politik weiterhin zu trennen."
Experten seien nicht demokratisch legitimiert – und den Chefarzt der Charité könne die Bevölkerung nicht abwählen. "Die Politik darf nicht nur eins zu eins umsetzen, was Wissenschaftler raten. Sie muss – natürlich wissenschaftsbasiert – das Ruder in der Hand halten und mit eigenen Entscheidungen die Verantwortung übernehmen."
Mehr Unterstützung für Pflegeberufe nötig
Was kann Spahn besser machen? Aus Sicht Bröchlers ist er in der Abstimmung mit anderen Politikern "zwar schon besser geworden – aber noch nicht gut". Aktuelles Beispiel: Spahns Vorhaben, personenbezogene Mobilfunkdaten im Kampf gegen Corona einzusetzen.
In der Bundesregierung ist er damit auf große Vorbehalte gestoßen. "Hätte er vorher stärker in die Regierung hineingehorcht, hätte er die Niederlage vermeiden können", glaubt der Experte.
De Nève nennt ebenfalls einen wesentlichen Kritikpunkt. Die Bundesregierung unterstützt Unternehmen und Selbstständige mit Milliardenpaketen, mit Krediten und Soforthilfen. "In dieser Situation würde ich mir wünschen, dass Spahn sich für eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen stark macht."
Ein Teil der staatlichen Hilfen müsse direkt denjenigen zugutekommen, die nicht erst in der Krise, sondern schon lange in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen großartige Arbeit leisten.
Politiker mit Format und Kanten
Jens Spahn gilt schon immer als fleißig, als Arbeitstier. Kritisiert wurde er indes oft für Eitelkeiten, Ehrgeiz, mangelnde Empathie. Eigenschaften, die nicht erst seit Beginn der Krise in den Hintergrund gerückt sind. Der konservative Spahn zeigt sich als Gesundheitsminister immer häufiger sozial.
Umstrittene Themen wie Sterbehilfe, Impfpflicht oder Organspende geht er selbstbewusst an. "Er hat im Amt des Gesundheitsministers an Format gewonnen", sagt Bröchler. Dass sich Spahn deutlich positioniert, etwa gegen staatliche Sterbehilfe, hebt er positiv hervor: "Politiker werden gute Politiker, wenn sie Kanten haben."
"Wenn jüngere Kandidaten politische Ambitionen hegen, wird das schnell mal als übertrieben ehrgeizig wahrgenommen", kritisiert Politikwissenschaftlerin de Nève. Sie glaubt, dass Spahn im Wettlauf um den CDU-Vorsitz gemerkt hat, dass er als Einzelkämpfer chancenlos ist.
Im Februar hatte er bekannt gegeben, nicht für die Nachfolge von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zu kandidieren – sondern Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten bei seiner Kandidatur zu unterstützen. "Ich beobachte weniger einen Stil- als einen Strategiewechsel:
Die Krise als Chance?
Wie die Krise weitergeht - und ob Spahn gestärkt aus ihr herausgehen wird - weiß niemand. Bröchler sieht im Umgang mit der Pandemie auch einen Lackmustest, wer als Kanzlerkandidat der CDU eher infrage kommt: Söder oder Laschet?
Um Röttgen und Merz, die ebenfalls antreten, sei es dieser Tage ruhig geworden. Der Experte hält es aus Sicht von Spahn für unwahrscheinlich, dass die Karten neu gemischt werden. "Wenn es Laschet nicht gelingt, sich stärker als Krisenlotse hervorzutun, kann die Frage, ob Spahn nicht doch der bessere Kandidat ist, aber innerparteilich durchaus noch einmal aufkommen."
Mittel- bis langfristig jedenfalls sieht Bröchler nun eine große Chance für Spahn, sich für höhere Ämter zu empfehlen: "Das Guthaben, das er jetzt sammelt, kann er bei späteren Entscheidungen in die Waagschale werfen." Der Politikwissenschaftler erinnert an den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Hamburg 1962 als Polizeisenator durch die Sturmflut gebracht hat. "Name und Ereignis haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt."
Auch Dorothée de Nève sieht nur geringe Chancen, dass Spahn doch noch Kanzlerkandidat wird. Ob er gestärkt aus der Krise herausgehen wird, hänge wesentlich davon ab, wie solide die Gesundheitsversorgung in der Hochphase der Pandemie in Deutschland bleibt. "Sollten sich in unseren Krankenhäusern Szenen wie in Italien oder Spanien wiederholen, dann würde Jens Spahn sicherlich für diese Probleme mit verantwortlich gemacht."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Stephan Bröchler, Professor für Innenpolitik an der Humboldt-Universität Berlin
- E-Mail-Interview mit Dorothée de Nève, Professorin für das Politische und soziale System Deutschlands und den Vergleich politischer Systeme sowie Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen
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