Es wird heißer und trockener, Extremwetterereignisse nehmen zu. Die Klimakrise ist da und bedroht nicht nur Natur und Tiere. Sie ist auch für die menschliche Gesundheit eine massive Bedrohung – heute schon, hier in Deutschland. Welche direkten und indirekten Folgen die Klimakrise für den menschlichen Körper hat, welche Gesundheitsgefahren dadurch in Zukunft noch zunehmen könnten und ob Deutschland darauf vorbereitet ist, erklärt die Ärztin Lisa Pörtner.

Ein Interview

Frau Pörtner, die WHO hat die Klimakrise zur größten Bedrohung für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert erklärt. Wie genau hängen Klimakrise und unsere Gesundheit zusammen?

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Lisa Pörtner: Die Klimakrise hat verschiedenste Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Das Offensichtlichste sind wohl die Auswirkungen von Hitze und die Folgen von Extremwetterereignissen, bei denen viele Menschen zu Schaden kommen können. Durch die Klimakrise nehmen aber auch Infektionskrankheiten zu, das Pandemie-Risiko steigt, Allergien werden häufiger. Im Hinblick auf Ernährungssicherheit und Wasserversorgung spielt die Klimakrise eine entscheidende Rolle. Schon heute gibt es in vielen Ländern Ernteausfälle durch Dürren oder Extremwetterereignisse und eine unzureichende Trinkwasserversorgung, das wird in Zukunft weiter zunehmen.

"All diese gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise erleben wir schon heute"

Gibt es auch psychische Auswirkungen?

Ja, auch die mentale Gesundheit ist von der Klimakrise betroffen: Posttraumatische Belastungsstörungen, verursacht durch Naturkatastrophen, werden häufiger auftreten. Das Phänomen der Klimaangst ist zudem schon sehr verbreitet – nicht nur bei jüngeren Generationen; hier spielt sicher auch die Untätigkeit der Politik eine wichtige Rolle. All diese gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise erleben wir schon heute und die Situation wird sich in Zukunft noch weiter verschärfen. Menschen im globalen Süden – die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben – sind zudem bereits heute deutlich stärker betroffen als Menschen in Industrieländern.

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Zeigen sich auch in Deutschland heute schon gesundheitliche Folgen?

Das Risiko für Extremwetterereignisse ist in Deutschland ja schon gestiegen. 2021 haben wir das zum Beispiel im Ahrtal gesehen: Über 130 Menschen sind bei dem Hochwasser ums Leben gekommen. Auch Hitzeperioden werden hierzulande häufiger, intensiver und halten länger an. Seit Anfang des Jahrtausends gab es Zehntausende Todesfälle durch Hitze. Zecken, die FSME oder Borreliose übertragen, breiten sich immer weiter aus und sind länger aktiv, auch das ist eine Folge der Klimakrise. Und auch viele Allergiker dürften den Klimawandel schon zu spüren bekommen.

Das heißt, Allergien nehmen durch den Klimawandel tatsächlich zu?

Die Allergielast nimmt auf jeden Fall zu. Es treten mehr Allergien auf und die Allergiephasen dauern länger an. Dahinter stecken verschiedene Phänomene: Durch die höheren Temperaturen verlängert sich die Pollenflugzeit. Luftverschmutzung und steigender CO2-Gehalt führen zu einem intensiveren Pollenflug und einer erhöhten Allergenität der Pollen. Hinzu kommen neue Pflanzenarten, die einwandern und Allergien auslösen können. Ambrosia zum Beispiel – eine hochallergene Pflanze. Sie war bislang nicht in Deutschland heimisch, breitet sich durch die Klimakrise aber immer weiter aus.

Im Juli 2022 starben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes zwölf Prozent mehr Menschen durch Hitze als im Vorjahresmittel. Was genau macht Hitze so tödlich?

Hitze stellt für den Körper eine enorme Belastung dar. Die häufigste Todesursache bei Hitze ist Herz-Kreislauf-Versagen. Bei hohen Temperaturen werden die Hautgefäße erweitert und das Herz muss stärker arbeiten. Auch die Atemarbeit der Lunge steigt mit steigenden Temperaturen, gleichzeitig ist die Luftverschmutzung aufgrund von Ozon höher. Liegt eine Vorerkrankung des Herz-Kreislauf-Systems oder der Lunge vor, steigt das Sterberisiko bei Hitze an. Aber nicht nur vulnerable Gruppen sind von Hitze bedroht. Bei einem Hitzschlag werden Eiweiße im Körper zerstört, was zu einer systemischen Entzündungsreaktion führt und tödlich enden kann. Das kann auch junge, gesunde Menschen treffen, zum Beispiel bei starker körperlicher Aktivität.

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Sie haben erwähnt, dass mit steigenden globalen Temperaturen das Infektionsrisiko zunimmt. Welche Infektionskrankheiten sind das?

Das reicht von potenziell gefährlichen Vibrio-Bakterien, die sich im wärmeren Küstenwasser stärker vermehren, bis zu Zoonosen [von Tieren auf den Menschen übertragene Infektionserkrankungen, Anm. d. Red.] und Pandemien, die durch die Klimakrise wahrscheinlicher werden. Durch die steigenden Temperaturen sind Tiere gezwungen, ihren Lebensraum zu verändern. Sie wandern in nördlichere oder höher gelegene Regionen aus und kommen damit häufiger in Kontakt mit anderen Tierarten und dem Menschen. Gleichzeitig dringt der Mensch immer weiter in letzte Naturgebiete vor. Laut Prognosen wird das Pandemie-Risiko in den nächsten Jahrzehnten dadurch steigen. Auch vektorübertragene Krankheiten, wie zum Beispiel FSME und Borreliose, die durch Zecken übertragen werden, nehmen zu. Die Zecken breiten sich in höhere und nördlichere Lagen aus, sind früher und länger aktiv. Das wird zu einer Zunahme von FSME- und Borreliose-Fällen führen.

"Die Bedingungen für die Übertragung von Malaria in Europa verbessern sich"

Müssen wir befürchten, dass sich auch tropische Krankheiten bei uns durch die Klimakrise immer mehr ausbreiten?

Das Risiko, dass tropische Infektionskrankheiten wie Malaria, Dengue oder Zika auch in Europa häufiger auftreten, nimmt mit der Klimakrise zu. Diese Krankheiten werden von Mücken übertragen und durch die steigenden globalen Temperaturen fühlen sich diese Mücken nicht mehr nur in den Tropen wohl. Auch die Erreger brauchen bestimmte klimatische Bedingungen für ihre Übertragung. Studien zeigen beispielsweise, dass sich die Bedingungen für die Übertragung von Malaria in Europa verbessern, es treten auch immer wieder sporadische Fälle auf. Mit größeren Ausbrüchen ist jedoch in näherer Zukunft nicht zu rechnen. Wir haben ein gut funktionierendes Gesundheitssystem. Aber es werden in Zukunft deutlich mehr Menschen auf der Welt tropischen Infektionskrankheiten ausgesetzt sein.

Könnten auch Krebserkrankungen durch den Klimawandel zunehmen?

Den offensichtlichsten Zusammenhang zwischen Krebs und Klimakrise gibt es bei Hautkrebs. Durch UV-Strahlen bedingte Hautkrebserkrankungen haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen und man muss davon ausgehen, dass die Zahlen weiter steigen werden. Aber auch andere Krebserkrankungen könnten mit der Klimakrise zunehmen. Etwa, weil durch Waldbrände die Luftverschmutzung zunimmt. Feinstaub kann nachgewiesenermaßen das Lungenkrebsrisiko erhöhen. Unwetterereignisse wie Stürme und Überschwemmungen können dazu führen, dass giftige Stoffe aus der Industrie freigesetzt werden. Es ist auch eine Zunahme von Aflatoxinen in Lebensmitteln zu befürchten. Die Giftstoffe sind krebserregend und werden von Schimmelpilzen gebildet, die Getreide, Reis und andere Nahrungsmittel befallen. Ein warmes, feuchtes Klima ist für ihre Verbreitung ideal.

Ernährung ist ein ganz zentraler Faktor für die Gesundheit. Hat die Klimakrise neben der Lebensmittelverfügbarkeit auch Auswirkungen auf die Qualität der Lebensmittel?

Es ist schon seit Jahren bekannt, dass der Nährstoffgehalt von Nahrungspflanzen wie Reis und Getreide im Rahmen der Klimakrise abnehmen könnte. Mit steigender CO2-Konzentration in der Atmosphäre nimmt der Gehalt von Eiweiß, B-Vitaminen und anderen essenziellen Mikronährstoffen wie Eisen oder Zink ab, bis Mitte des Jahrhunderts könnten es bis zu 30 Prozent sein. Das wurde experimentell nachgewiesen, nur den biochemischen Mechanismus dahinter verstehen wir noch nicht. Das ist vor allem für Regionen katastrophal, die schon heute von Mangelernährung betroffen sind. Dort ist Reis häufig eine wichtige Nahrungsquelle und die Mangelernährung wird sich damit in Zukunft noch verschärfen.

Könnte sich der Körper auch an die verändernden Klima-Bedingungen anpassen?

Der Körper ist in der Lage, sich über eine Dauer von mehreren Wochen an höhere Temperaturen anzupassen. Das hat aber seine Grenzen. Wenn Hitzewellen länger andauern und wenn es nachts nicht abkühlt, es also keine Pause von der Hitze gibt, ist das ein enormer Stress für den Körper. Kommt noch eine hohe Luftfeuchtigkeit hinzu, funktioniert die Kühlung durch Schwitzen nicht mehr und daran können wir uns auch nicht anpassen. Das wird zunehmend zum Problem: In Regionen rund um den Äquator wird laut Weltklimarat je nach Ausmaß der Erwärmung ein Aufenthalt tagsüber und im Freien in Zukunft zunehmend gefährlich und teilweise nicht mehr möglich sein. Besonders Teile Südamerikas, Westafrikas und Südostasiens sind davon betroffen.

Laut Prognosen wird es auch in Deutschland in Zukunft häufiger Extremwetterereignisse und Hitzeperioden geben. Ist das deutsche Gesundheitssystem darauf vorbereitet?

Nein, ist es nicht. Der Lancet Countdown veröffentlicht jährlich eine Bestandsaufnahme des Klimawandels und seiner Folgen für die menschliche Gesundheit und bewertet, inwieweit die Länder darauf vorbereitet sind. Ein darauf aufbauender Policy Brief hat zuletzt deutlich gemacht: Deutschland ist nicht vorbereitet. Extremhitzeereignisse mit Temperaturen um die 50 Grad wie 2021 in Kanada sind auch bei uns nicht ausgeschlossen, doch die meisten Städte, Gemeinden und Kommunen haben keine Hitzeaktionspläne. Auch Rettungsdienste und Kliniken sind nicht darauf vorbereitet. Kühlzentren, wie es sie in Kanada und den USA gibt, haben wir nicht. Es gibt noch großen Nachholbedarf in Deutschland.

Was müsste jetzt passieren, damit Deutschland besser vorbereitet ist?

Wir brauchen diese Hitzeaktionspläne in jeder Stadt und in jeder Kommune und sie müssen auch in die Praxis umgesetzt werden. Wir brauchen funktionierende Warnketten gerade auch für den Katastrophenfall durch Hitzeszenarien, wie wir sie bisher noch nicht hatten. Dafür müssen wir auch Kühlzentren vorhalten. Jede medizinische Einrichtung muss sich überlegen, wie sie ihre Patienten schützt. In Kliniken sind beispielsweise häufig nur die Notaufnahme und die Intensivstationen klimatisiert, und die Gebäude sind baulich nicht auf hohe Temperaturen ausgelegt. Klimaanlagen sind auch nicht die alleinige Lösung, sondern aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs Teil des Problems. Daher muss das viel ganzheitlicher gedacht werden, unter anderem mit Fassadenbegrünungen oder besser isolierten Fenstern. Das gilt für Architektur und Städteplanung generell. Es braucht mehr Grünflächen, damit Städte nicht zu Hitzeinseln werden.

Allein in Deutschland könnten 150.000 Todesfälle pro Jahr verhindert werden

Lässt sich beziffern, wie viele Todesfälle durch Einhalten der Pariser Klimaziele gerettet werden könnten?

Das lässt sich nur sehr schwer beziffern. Besser ist dies für den direkten Effekt von Klimaschutzmaßnahmen möglich: Eine Modellierungsstudie zeigt, dass allein in Deutschland 150.000 Todesfälle pro Jahr verhindert werden könnten, wenn alle Maßnahmen zur Erreichung der Pariser Klimaziele ergriffen würden. Dazu gehört unter anderem der Ausstieg aus fossilen Energieträgern, aktivere Mobilität und eine Ernährungswende. Für unsere Gesundheit wäre das doppelt von Vorteil: Durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern wird nicht nur CO2 ausgestoßen, sondern auch die Luft verschmutzt. Wenn wir weniger Auto fahren, uns stattdessen mehr bewegen und uns stark pflanzenbetont ernähren, ist das gut fürs Klima – und für unsere Gesundheit. Wir können also zum Klimaschutz beitragen und damit etwas doppelt Gutes für unsere Gesundheit tun.

Was kann jeder Einzelne tun, um sich vor den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise zu schützen?

Viele Aspekte kann der oder die Einzelne leider nicht beeinflussen. Aber es ist wichtig, die Lebensgefahr durch Hitze zu verstehen und zu wissen, wie man sich und andere schützt. Trinken Sie ausreichend, bedecken Sie Ihren Kopf in der Sonne, bleiben Sie nachmittags drinnen oder im Schatten. Bei Vorerkrankungen sollten Sie mit Ihrem Arzt sprechen, worauf Sie achten sollten. Eventuell müssen auch Medikamente angepasst werden. Achten Sie auf die Menschen in Ihrer Umgebung, insbesondere auf vulnerable Gruppen. Und ganz wichtig: Setzen Sie sich für ambitionierten Klimaschutz ein und damit für eine gesunde und lebenswerte Zukunft.

Über die Expertin: Dr. Lisa Pörtner ist Fachärztin für Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung Geriatrie und Ernährungsmedizin. Sie ist an der Charité Berlin und am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung tätig und forscht zu den Folgen des Klimawandels auf Gesundheit und Ernährung. Zudem arbeitet sie bei der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

Verwendete Quellen:

  • Robert-Koch-Institut: Klimawandel und Gesundheit - Ein Sachstandsbericht
  • World Health Organisation: Climate change and health
  • Bundesministerium für Gesundheit: Klimawandel und Gesundheit
  • spiegel.de: Vermutlich Tausende Tote durch Hitzewelle
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