Beginnen wir diesen Wochenrückblick mit der international am intensivsten diskutierten Nachricht der vergangenen sieben Tage: Hansi Flick ist das "Bild TV" der Nationaltrainer. Er ist mit riesigen Ambitionen gestartet, hat dann aber so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann, ist von der Fachpresse verhöhnt worden, von Peinlichkeit zu Peinlichkeit gestolpert und hat schließlich Fans in Scharen verloren.
Zuletzt setzte es gegen Polen und Kolumbien Niederlagen, bei denen man früher schon bei einem 5:0 Sieg über einen Trainerwechsel diskutiert hätte. Auf die Ergebnisse unter
Stichwort Sargnagel: Die "Bild" hat seit Mitte März eine neue Chefredakteurin. Marion Horn, deren Familie mit der Erfindung des berühmten Martinshorns zu Reichtum gelangte, entschied in ihrer ersten großen Amtshandlung, die #PleaseStärkeFDP Festspiele, die Vorgänger Johannes Boie und SMS-Intendant sowie Vagina-Kunst-Connaisseur Mathias Döpfner gestartet hatten, kompromisslos fortzuführen. Vor allem die bereits monatelang laufende Kampagne gegen
Sie verstehen? Marion Horn gibt zu, dass das FDP-PR-Journal "Bild" der Nation seit Monaten erklärt, dass Wärmepumpen schlecht sind – ohne auch nur den Hauch einer Ahnung davon zu haben, was Wärmepumpen überhaupt sind. Oder wie sie funktionieren. Ich persönlich finde es anständig von der neuen Chefredakteurin, diese Transparenz-Offensive zu starten. Schöner als sie selbst hätte man kaum sagen können: Wer glaubt, die politischen Einordnungen der "Bild" wären wissenschaftlich belegbar oder von objektiver Relevanz, der lässt sich auch nach einem Herzinfarkt per Rettungshubschrauber auf einen McDrive-Parkplatz fliegen und dort von seinem Busfahrer am offenen Herzen operieren.
Das Lindner-Habeck-Gleichnis
Worüber die "Bild" weniger intensiv berichtet, ist die durchaus interessante Personalentscheidung von Finanzminister
Über die Lindner-Buschmann-Beförderung liest man dort aber natürlich auch. Jedenfalls, wenn man knapp 23 Minuten Zeit mitbringt und auf der "Bild"-Startseite eifrig runterscrollt. Nach Lamborghini-Unfällen, Insta-Beichten von Spielerfrauen, Alkoholproblemen von TV-Sternchen, die vor elf Jahren mal bei "Germany's Next Topmodel" durchs Bild gelaufen sind, Kauftipps für Gebrauchtwagen, Coupons für den Serengeti-Park, Nacktmodels, Preisexplosion bei Currywürsten und Tipps gegen dunkle Achseln kommt der entsprechende Artikel auch schon. Relevanzalgorithmisch etwa so prominent platziert wie die "Deutscher Meister 2023"-Shirts im BVB-Fanshop.
Alternative für den Verfassungsschutz
Als besondere Krönung der Woche gewann dann am Sonntag die AfD die Stichwahl zum Landrat im thüringischen Sonneberg. Das ist zwar der kleinste Landkreis Thüringens mit nur etwa 47.000 Wahlberechtigten, dennoch halte ich es für demokratiealarmierend und besorgniserregend, wenn eine vom Verfassungsschutz Thüringen als "erwiesen rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt" kategorisierte Hetz-Partei erstmals ein offizielles Amt bekleiden wird. Gut, als Landrat hat man bei den Themen, mit denen die AfD in Sonneberg auf Wählerfang ging (Migranten sind die größte Gefahr der Welt!), ungefähr so viel echten Gestaltungsspielraum wie ich beim Thema Enteignung der Tönnies-Fleischfabriken – nämlich gar keinen.
Wer die Verantwortung dafür trägt, dass mit der AfD ausgerechnet eine faschistische Partei mehr und mehr Wählerstimmen abcasht, die noch weniger brauchbare politische Konzepte für eine bessere Zukunft vorweisen kann als Cathy Hummels Chancen, den ESC zu gewinnen, darüber sind sich alle Parteien einig: die Anderen! Die CDU sagt: Die Ampel ist schuld, außer vielleicht die FDP. Die FDP sagt: Dir Grünen sind schuld und vielleicht die Letzte Generation. Die Grünen sagen: Friedrich Merz ist schuld, aber Wolfgang Kubicki irgendwie auch. Die Linke sagt: Alle sind schuld, außer
Das Putsch-Paradoxon
Stichwort Wladimir Putin: Der gefeierte Ehrendemokrat, dem dieser Tage einige Denkmäler in Den Haag gebaut werden, führt seit 16 Monaten einen dreitägigen Krieg gegen die Ukraine und steigt diese Woche ins Tiefkühlgeschäft ein. Bislang jedenfalls kannte ein Großteil der Deutschen Wagner nur als Pizza. Und einige wenige ältere mit Abitur eventuell noch als Komponist. Die 24 Stunden Putsch-Soap, die Putin und sein Söldner-Beauftragter Jewgeni Prigoschin der Welt am Samstag uraufführte, hatte jedoch tatsächlich etwas von einer tragischen Oper. Und als Pizza wäre sie eine Quattro Stagioni: erst nach Kiew, dann nach Moskau, dann nach Belarus, dann vermutlich wieder nach Kiew.
Schnell machten einige meme-fähige Scherze die Runde. Etwa dieser: 2021 hatte Russland die zweitstärkste Armee in der Welt. 2022 hatte Russland die zweitstärkste Armee in der Ukraine. 2023 hat Russland die zweitstärkste Armee in Russland. Aber auch die konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein seriöser Kriegs- oder Russlandexperte glaubhaft belegen konnte, was genau der Wagner-Putschversuch zu bedeuten hatte. Der einzige positive Aspekt der totalen Konfusion aller Diskursteilnehmer war: Die von russischen Devisen querfinanzierte Selbstdenker-Elite verhielt sich während der Stunden, in denen Prigoschins Wagner-Truppe den Eindruck erweckte, sie wolle womöglich Moskau einnehmen und eventuell sogar Putin entmachten, erstaunlich ruhig. Vermutlich hatte ihnen niemand aus der Kreml-Zentrale in diesem hektischen 24-Stunden-Showdown rechtzeitig mitteilen können, was sie selbst zu denken hätten.
In einem bizarren Szenario, in dem es fast so schien, als würden russische Truppen und für Russland kämpfende Söldner sich nun gegenseitig über die Frage zerfleischen, wie man am besten die Ukraine zerfleischt, gibt es vermutlich am Ende keine Gewinner. Putin geschwächt, Prigoschin vor einem unglücklichen Fenstersturz und die Ukraine plötzlich einer Wagner-Kampftruppe nur etwas mehr als 100 Kilometer vor Kiew ausgesetzt. Im surrealen Kriegsverbrecher-Schach hatte Wladimir Putin nämlich zunächst knallharte Vergeltung angekündigt, nur um wenige Stunden später Prigoschin und seinen Truppen Straffreiheit zuzusichern und sie unbehelligt ins benachbarte Belarus zu Busenfreund Lukaschenko abbiegen zu lassen. Fun Fact: Dort sind sie Kiew nun näher als je zuvor. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Insgesamt darf man aber trotz aller Ratlosigkeit der beobachtenden Weltpolitik nicht vergessen: Auch die Menschen in Russland, bei denen Prigoschin zuletzt steigende Sympathiewerte verbuchen konnte, haben in den letzten Stunden mit Sicherheit auch mitbekommen, was dieser Kuhhandel zwischen Prigoschin und Putin unter anderem für das russische Volk bedeutet: Wer in Russland "Kein Krieg" auf eine Pappe schreibt, verschwindet hinter Gittern. Wer russische Hubschrauber abschießt und russische Soldaten tötet, der darf sich dagegen mit dem Wohlwollen des Präsidenten straffrei in Sicherheit bringen. Nicht unbedingt eine Erkenntnis, die für flächendeckendes Verständnis und Begeisterung sorgen wird. Dieser Teilzeitputsch jedenfalls wird uns noch eine Weile in Atem halten. Nächste Woche zumindest mit Sicherheit. Bis dann!
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.