Die Bilder, mit denen es losgeht, "unten im Tal", im wahrsten Sinne der Worte, sind von einer Schönheit, dass man sofort aufbrechen möchte in den Schwarzwald. Am besten noch gleich in der Nacht, damit man dieser Stimmung nachspüren kann, die die Kamera für uns einfängt: dem Erwachen der Wiesen im Frühnebel, den tropfenden Eiszapfen. Eine Form von Ruhe in der Natur, die man sehen und nicht nur hören kann.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Aber wir sind ja nicht zum Wandern im Schwarzwald, wir sind im "Tatort". Einem "Tatort" voll symbolkräftiger Bilder, die eine starke Geschichte erzählen werden. Erst liegen ein paar tote Schafe auf der Weide. Dann streunt ein Wolf durchs Gesträuch. Ein schönes, aber eben auch tödliches Tier. Und dann finden Waldarbeiter ein Skelett.

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Es ist Rosa Winterfeld, ein Teenager, der vor über zehn Jahren eines Nachts plötzlich verschwand. Vorher gab es einen Streit. Und eine Schwangerschaft. Rosa war erst 14, und ihre Mutter hatte das Baby zu Verwandten nach Berlin gegeben. Wütend und verletzt wollte Rosa in die Hauptstadt zu ihrer Tochter. Angekommen ist sie dort nie.

Kommissarin Franziska Tobler (Eva Löbau) und ihr Kollege Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) haben damals den Fall untersucht. Jetzt kehren sie zurück ins Dorf, um Rosas Eltern Meike und Josef Winterfeld (Cornelius Obonya) die Nachricht zu überbringen.

Anlässlich des Leichenfunds bestellen Tobler und Berg alle Beteiligten noch einmal in den Löwen

Die feiern in der schmucken Dorfkirche gerade die Konfirmation ihrer Enkelin. Antonia (Carlotta Bähre), Rosas Tochter, lebt inzwischen bei ihnen. Axel, den damals 17-jährigen Freund ihrer Mutter, nennt sie jetzt Papa.

Auf dem Friedhof, der ganz traditionell Gottesacker heißt, werden noch ein paar schöne Fotos von der Konfirmation geschossen; hier in den Bergen liegen Tod und Leben eben immer dicht beieinander. In der holzgetäfelten Stube der Winterfelds sollte eigentlich gefeiert werden. Auf einer Torte steht "Herzliche Gratulation Toni", in Druckbuchstaben aus Schokolade, ein bisschen steif, aber liebevoll und ordentlich. So wie Menzenbach und seine Bewohner. Wer hier nicht hergehört, ist Werner Tröndle (Aurel Manthei). Der langhaarige, vorbestrafte Trunkenbold, der an Rosas letztem Abend auch im Gasthaus Löwen saß.

Rosas Mutter Meike Winterfeld (Inka Friedrich) freut sich, dass man Tröndle jetzt doch sicher endlich drankriegen wird. Damals ließ sich ihm nichts nachweisen, aber Tröndle hat auch so genug ausgefressen, dass er erst seit drei Monaten aus dem Gefängnis und wieder zurück im Ort ist. Genau zum richtigen falschen Zeitpunkt also, um sich der versammelten Abscheu der Bewohner auszusetzen – und dem Misstrauen der Ermittler.

Anlässlich des Leichenfunds bestellen Tobler und Berg alle Beteiligten noch einmal in den Löwen, um den Abend von damals zu rekonstruieren. Als es zum Streit kam. Als weder Axel (Tonio Schneider) noch Rosas beste Freundin Elif (Canan Samadi) mit nach Berlin kommen wollten. Als Rosa sich trotzig an Tröndle wandte: "Fährst du mich?"

Und tatsächlich kommen Details ans Licht, die zu neuen Erkenntnissen führen. Schließlich haben sich alle verändert. Besonders Werner Tröndle, der die Haare jetzt kurz trägt und ordentlich frisiert. Aus dem fahrigen Trunkenbold ist ein vorsichtiger Mann geworden, der die Vergangenheit hinter sich lassen und die Wahrheit sagen will.

Aber an einem Ort, wo man von Veränderung nicht viel hält, hat er nicht viele Chancen. Sogar die Kommissarin ist skeptisch. Tröndle hat Franziska Tobler damals während der Vernehmung vor zehn Jahren angegriffen. "Wie der redet", sagt sie jetzt misstrauisch, "so austherapiert." Über den Angriff ist sie offenbar nicht hinweg. Das Video von damals sieht sie sich bei einem Stück Konfirmationskuchen an – eine vielsagende Szene ist das, wie so viele in diesem ausgezeichnet inszenierten und besetzten "Tatort" von Drehbuchautorin Nicole Armbruster und Regisseurin Julia Langhof.

Die Stärke von "Unten im Tal" liegt in der Ruhe und Nüchternheit

Die beiden Filmfrauen zeigen lieber, als dass sie erklären. Zum Beispiel, wer hier auf wessen Seite steht. So einer wie Werner Tröndle, der kann sich eben noch so "austherapieren" und zusammenreißen – der geballten Rechtschaffenheit der Nachbarn wird es schon gelingen, den Wolf aus seinem Schafspelz zu zerren.

Und dann ist am Ende alles noch viel tragischer. Eine Geschichte, die schon oft erzählt wurde über abgeschiedene Dörfer in idyllischer Landschaft, wo jeder jeden kennt und man gerne unter sich bleibt. Wo die Jugend leidet unter der Enge und ausbrechen will, und ihre Mittel den Grad der Verzweiflung spiegeln.

Die Stärke von "Unten im Tal" liegt in der Ruhe und Nüchternheit, mit der die Regisseurin und ihr Kameramann Andreas Schäfauer diese bekannte Geschichte entfalten. Sie lassen die herbe Landschaft miterzählen vom Wesen ihrer Bewohner. Und am Ende sitzt einem die Kälte tief in den Knochen, da kann das Gasthaus Löwen noch so anheimelnd in die dunkle Nacht leuchten.

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