• Der neueste "Tatort" aus Saabrücken ist rau, direkt und angespannt.
  • "Die Kälte der Erde" um einen toten Fußballfan ist wieder ein Glanzstück der Reihe.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Saarbrücken ist ein Dorf. In irgendeiner Form sind dort alle miteinander verbunden, und irgendwie laufen alle Fäden immer bei Adam Schürk (Daniel Sträßer) zusammen. Dem "Königssohn".

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So nennt ihn eine Zeugin, von der Schürk gar nicht wusste, dass er sie kennt. Er mag sie nicht besonders; aus anderen Gründen, aber jetzt auch wegen dieses Titels, den sie ihm verliehen hat.

Eigentlich ist Adam Schürk ja Kommissar, aber das "Tatort"-Publikum weiß seit den drei Episoden, die es mit dem neuen saarländischen Team bereits verbracht hat, dass er außerdem der Sohn eines sadistischen Vaters und Bankräubers ist. Die Doppelrolle als Kommissar und Königssohn bringt nichts als Probleme, sorgt aber auch dafür, dass das Saarbrücker Team zu den spannendsten im "Tatort"-Universum gehört. "Die Kälte der Erde" bildet da keine Ausnahme – auch wenn die Episode die Geduld der Fans mit dem "Saarbrücken ist ein Dorf"-Ansatz ziemlich auf die Probe stellt. Aber von vorne.

In Saarbrücken ist Fußball-Samstag. Und wie jeden Samstag, an dem ein Lokalderby ansteht, herrscht in der Stadt Ausnahmezustand und vor der Stadt Kleinkrieg: Hooligans beider Seiten treffen sich auf einer Industriebrache zum Ackermatch: Eine organisierte Schlägerei - mit Handschlag, ohne Waffen. So viel Ordnung muss sein.

"Die Kälte der Erde" beginnt mit diesem Match. Mit tätowierten Machos, taffen Bräuten, harten Beats und rhythmischem Schlachtgesang. Der Ton ist gesetzt, und so wird es in diesem "Tatort" (Regie: Kerstin Polte) weitergehen: rau, direkt, angespannt. Was gesagt werden muss, wird ohne Umschweife rausgehauen, was gezeigt werden soll, ohne Weichzeichner hingeknallt.

Und so knallt auch gleich Andreas Schneider (Nils Bannert) bei der Prügelei auf den Beton. Dann sehen wir ihn in der Tür zur Notaufnahme verbluten. An einer tiefen Stichwunde ins Bein, die er gemäß dem Prügelkodex gar nicht haben dürfte.

Ungefähr zur gleichen Zeit wird Adam Schürk zuhause von einem jugendlichen Einbrecher überfallen, der so jugendlich ist, dass Schürk ihn gar nicht richtig ernst nimmt. Der Junge will "das Geld" – die Millionen des alten Schürk nämlich, die seit dessen letztem Banküberfall verschwunden sind und die Adam Schürk tatsächlich gefunden hat. Was außer ihm zwar niemand weiß, aber viele vermuten.

Bineta Hansen ist der Star in einem ausgezeichneten "Tatort"

Als Schürk für die Ermittlungen in der Notaufnahme eintrifft und die Kolleginnen wissen wollen, woher er die Wunde an der Stirn habe, lügt er sie an. "Jeder Mensch hat sein Geheimnis", wird er später sagen, und das könnte als Motto über diesem "Tatort" stehen.

Für manche bedeutet so ein Geheimnis eine schwere Bürde und Probe einer Freundschaft, so wie für den "Königssohn" wider Willen und für seinen Jugendfreund und Kollegen Leo Hölzer (Vladimir Burlakov). Für andere ist es Lebensantrieb und Bremse zugleich, wie für den Hardcore-Fußballfan Alina.

Beim Ackermatch steht Alina immer ganz vorne, weil sie sich nur dort von ihrem Frust freiprügeln kann. Bineta Hansen spielt Alina mit kaum unterdrückten Aggressionen, mit einer Unverfrorenheit, einem Mut zu Unansehnlichkeit und einem „Mir-doch-egal“, der Alina zum Star in einer ganzen Riege imperfekter und umso glaubwürdigerer Gestalten in diesem ausgezeichnet besetzten "Tatort" macht.

An "Die Kälte der Erde" ist nichts papiern

Alina hat eine kleine Tochter, deren Vater sie trotzig verschweigt. Sie hat Stella (Finja Leonie Meyer) zu einem Paar zur Pflege gegeben – und ausgerechnet der Arzt (Till Butterbach), der Andreas in der Notaufnahme findet, ist die eine Hälfte des Paares.

So ein Zufall. So klein ist die Welt in Saarbrücken. In einem minderwertigeren "Tatort" würde man so einen konstruierten Papp-Fall auslachen. Aber an "Die Kälte der Erde" ist nichts papiern und die Geschichte so dicht erzählt, dass solche dramaturgischen Abkürzungen verzeihlich sind.

Das Buch stammt zum ersten Mal nicht von Henrik Hölzemann, doch Autorin Melanie Waelde greift alle Fäden auf und spinnt sie kunstvoll weiter. Nachdem die Schürk-Story zu einem vorläufigen Höhepunkt gekommen ist, gibt es endlich mehr Raum für die zwei Kommissarinnen. Es zeigt sich, dass auch Esther Baumann (Brigitte Urhausen) Geheimnisse hat, allerdings weit weniger dramatische: Zur leicht beleidigten Überraschung der Kollegen ist die sonst so besonnene Kommissarin leidenschaftlicher Fußball-Fan.

Wer gehört hier zu wem?

Umgekehrt wussten auch Esthers Freundinnen aus der Fankneipe nicht, dass sie zu den verhassten Bullen gehört, denen man hier die Schuld an der regelmäßigen Eskalation an Spieltagen gibt. Jetzt müssen die Ermittlerinnen sich nicht nur mit feindseligen Zeugen herumschlagen – auch Adam Schürks Familiengeheimnisse reichen zum Ärger der Kollegen wieder einmal in die Polizeiarbeit hinein.

Irgendwie sind also alle verbunden, aber wer gehört hier zu wem? Wie viele Persönlichkeiten kann man in sich vereinen, ohne sich – und andere – zu verraten? Es sind nicht mehr nur Adam Schürk und Leo Hölzer, die damit klarkommen müssen, dass es mit der Wahrheit nicht so einfach ist, dass man zwischen Loyalitäten, Selbsterhalt und einem persönlichen Wertesystem, das eigentlich Halt geben sollte, hin- und hergerissen werden kann.

Die Fragen, die der Saarländer "Tatort" seit seiner Neuaufstellung stellt, sind noch lange nicht beantwortet.

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