Ottmar Hitzfeld hatte "lose Anfragen aus Freiburg und Karlsruhe." Beide Klubs aber spielten Anfang der 70er Jahre nur in der zweitklassigen Regionalliga Süd. Hitzfeld, 22-jähriger Torjäger des Amateurligisten FV Lörrach, musste sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, um noch Profi zu werden. Mut machte ihm Uwe Seeler.

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Als 70-Jähriger ist Ottmar Hitzfeld Fußballfans weltweit ein Begriff. Der studierte Mathematiklehrer hat mit dem FC Bayern München und mit Borussia Dortmund in den 90er und den 2000er Jahren jeweils die Champions League, den Weltpokal und mehrere deutsche Meisterschaften gewonnen.

Bitteres Aus bei der WM 2014 mit der Schweiz

Mit der Schweiz scheiterte Hitzfeld bei der WM 2014 in Brasilien erst in der letzten Minute der Verlängerung des Achtelfinals am späteren Finalisten Argentinien. Danach hörte er auf.

Um einer der erfolgreichsten und bekanntesten Fußballtrainer der Welt zu werden, nahm Hitzfeld den Umweg über besagte Schweiz. Zu Fuß ein Kinderspiel: Hitzfeld wuchs in Lörrach, wo er als Rentner längst wieder lebt, auf. Von dort waren es nur 100 Meter ins Land der Eidgenossen.

Oder aber ein Telefonat: Hitzfeld traute sich 1971, seinen Landsmann Helmut Benthaus anzurufen. Der frühere Nationalspieler, 1964 Mitglied der ersten Bundesligameistermannschaft in Köln, hatte 1965 den FC Basel als Spielertrainer übernommen und gerade den Meisterschaftshattrick geschafft. Benthaus' Telefonnummer besorgte sich Hitzfeld über die Auskunft.

Seeler lobte Hitzfeld

"Mit meinen Eltern konnte ich darüber nicht sprechen. Die hätten es mir verboten", erinnert sich Hitzfeld fast 48 Jahre später im Gespräch mit unserer Redaktion. "Sie wollten nicht, dass ich Profi werde."

Uwe Seeler aber sah Hitzfelds Potenzial. "Wir haben in Lörrach gegen den Hamburger SV gespielt", beschreibt Hitzfeld entscheidende Minuten seiner Karriere. "Anschließend wurde Uwe Seeler vom 'Oberbadischen Volksblatt' interviewt. Er wurde gefragt, welcher Spieler ihm aufgefallen sei." Seeler, selbst einer der berühmtesten "Neuner" der Fußball-Geschichte, antwortete, wie sich Hitzfeld stolz erinnert: "'Die Nummer neun.' Das war ich."

Hitzfeld las das Interview. "Das hat mich bekräftigt, in Basel anzurufen. Es hat mich aber viel Überwindung gekostet. Ich habe nie gedacht, dass ich Fußballprofi werde."

Daran änderte sich auch nach dem ersten Kontakt nichts. "Benthaus sagte, ich solle nächste Woche nochmal anrufen. Da dachte ich: 'Das war's. Den erreiche ich nächste Woche nicht mehr.'" Weit gefehlt: "Als ich ihn in der nächsten Woche anrief, sagte er, ich solle am nächsten Tag zum Training kommen."

Erster Europapokal-Gegner war Real Madrid

Wenige Monate später spielte Hitzfeld im berühmten Estadio Santiago Bernabeu im damaligen UEFA-Cup (heute: Europa League) gegen Real Madrid. "Da ging ein Traum in Erfüllung. Das war Wahnsinn." Basel hielt sich wacker, schied aber nach zwei 1:2-Niederlagen gegen den großen Favoriten in der ersten Runde aus.

Olympia 1972 in München war das "nächste Highlight" für Hitzfeld. Der damals 23-Jährige stürmte an der Seite von Uli Hoeneß und traf in sechs Turnierspielen fünfmal. Der spätere Bronzemedaillen-Gewinner DDR stoppte die Auswahl der BRD mit einem 3:2 in der Zwischenrunde. Die Tore für den Gastgeber schossen Hoeneß und Hitzfeld. "Ich gewann die Erkenntnis", sagt Hitzfeld, "auch in der Bundesliga spielen zu können."

Die Bayern zeigten Interesse. Doch an "Bomber" Gerd Müller hätte es kein Vorbeikommen gegeben. Hitzfeld hätte bei den Roten nur die Bank gedrückt. Das wollte er nicht. Erst nach dem Aufstieg mit dem VfB Stuttgart brachte Hitzfeld 1977/78 22 Bundesligapartien und fünf -tore auf seine Visitenkarte. Danach zog es ihn zurück in die Schweiz.

Mit Verspätung zum FC Bayern

25 Jahre nach den gemeinsamen Olympia-Tagen holte Hoeneß Hitzfeld dann doch noch zu den Bayern. Als Trainer hatte sich Hitzfeld in Zug, Aarau, bei den Grasshoppers - vor allem aber bei Borussia Dortmund - die entsprechende Reputation erworben.

"Es steckte immer in mir drin, meine Träume zu verwirklichen und Unmögliches zu erreichen. Diese Mentalität habe ich auch immer versucht, meinen Mannschaften zu übertragen."

Hitzfeld kniete sich mit einer derartigen Vehemenz in seine Aufgaben hinein, dass ihn sowohl in Dortmund als auch in München Burnouts ausbremsten. Deshalb sagte er 1997 Real Madrid ab, als ihn die Königlichen als Trainer wollten. Und sieben Jahre später dem DFB. Der suchte nach der verkorksten EM einen Bundestrainer.

Hitzfeld aber war nicht in der Lage, das Angebot anzunehmen: "Das war eine große Verlockung. Durch mein Burnout aber dachte ich, ich würde überhaupt nicht mehr Trainer. Ich hatte die Kraft nicht." Er sollte sie wiederfinden.

Wegen Burnouts nicht Bundestrainer

20 Jahre zuvor war Hitzfelds Förderer Benthaus in Gesprächen mit dem DFB. Auch damals ging es um den Job als Bundestrainer. Auch damals war Deutschland in der EM-Vorrunde gescheitert. Mit Benthaus aber kam es zu keiner Einigung. So wurde Franz Beckenbauer, den Hitzfeld dann als Präsidenten beim FC Bayern traf, Teamchef und 1990 Weltmeister.

Dieser Titel war Hitzfeld nicht vergönnt. Dazu hätte es mit der Schweizer Nationalmannschaft 2014 in Brasilien einer großen Sensation bedurft. Die blieb gegen Argentinien, das erst in der deutschen Mannschaft im Finale ihren Meister fand, aus.

Heute genießt Hitzfeld seine Freiheit als Rentner, holt Brötchen, liest Zeitung, kümmert sich um seinen Enkel. Und: "Zwei, drei Stunden in der Woche gehe ich in meinen Fitnessraum."

Mit der Bundesliga hat Hitzfeld als Aktiver abgeschlossen. "Ich hätte in Aufsichtsräte wechseln oder sogar Präsident werden können. Ich hatte Anfragen. Aber für mich gab es nur den Trainer-Beruf." Als solcher hat Hitzfeld ungezählten Fußballfans unvergessene Spiele und Momente beschert.

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