Fehlstart gegen den Favoriten: Nach einem bitteren 0:1 gegen Frankreich steht Österreich schon unter Druck. Gegen Polen muss die Mannschaft vor allem offensiv besser werden.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Als Maximilian Wöber nach dem Schlusspfiff langsam über das Spielfeld in Richtung Fankurve schritt, stand ihm die schiere Ungläubigkeit immer noch ins Gesicht geschrieben. Der Abwehrspieler wäre in diesem Moment ganz sicher lieber woanders gewesen. Die Enttäuschung war nach dem 0:1 gegen Frankreich zum Auftakt der EM nicht nur bei ihm riesig. Wobei sie bei ihm noch etwas größer sein dürfte, denn ihm war das Eigentor unterlaufen, das die Franzosen zu Siegern machte.

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"Niemand, kein Mensch macht ihm einen Vorwurf", sagte Nationaltrainer Ralf Rangnick. "Entscheidend ist aber auch, dass er ihn sich selbst auch nicht macht. Das war eine mega unglückliche Situation, weil er genau in dem Moment so stand. Und ja: Den Kopf abschrauben kann er sich in dem Moment auch nicht." Wöber hatte in der 38. Minute eine scharfe Flanke von Superstar Kylian Mbappe per Kopf ins das eigene Tor gewuchtet. Österreichs Pechvogel machte an diesem Abend den Unterschied, allerdings anders als erhofft. Denn unter dem Strich hat sich Österreich vor allem selbst geschlagen.

Punktgewinn wäre verdient gewesen

Sprechen wollte Wöber über das Missgeschick anschließend nicht. Es wäre auch müßig gewesen, ob Österreich ohne das Eigentor ein Punktgewinn gelungen wäre. Keine Frage ist aber, dass er verdient gewesen wäre. Vor allem wäre es ein sportliches Ausrufezeichen, eine große Chance gewesen.

Doch der Konjunktiv bringt im Fußball nun mal keine Punkte, und so standen die Österreicher am Ende ohne etwas Zählbares, aber immerhin mit der Erkenntnis da, dass man den Turnierfavoriten ärgern konnte. Frankreichs Trainer Didier Deschamps sei "froh" gewesen, "dass es aus war. Allein das zeigt, welche Energieleistung das von meiner Mannschaft war", meinte Rangnick.

Couragierter Auftritt gegen Mbappe und Co.

In der Tat war es ein couragierter Auftritt des ÖFB-Teams, vor allem defensiv. Mit körperlicher Präsenz und teilweise rustikaler Härte ging es gegen Kylian Mbappe und Co. zur Sache. Zwar kassierte die Rangnick-Truppe so auch fünf Gelbe Karten, allerdings ließ man gegen die Offensiv-Power der Franzosen um Mbappe, Marcus Thuram, Ousmane Dembele und Antoine Griezmann auch nur wenig zu. Defensiv lieferte Österreich einen großen Kampf, aber auch eine taktisch disziplinierte Leistung.

"Wir können stolz sein, denn das war nicht irgendein Jausengegner, sondern der Turnierfavorit", sagte Mittelfeldspieler Florian Grillitsch. Dass die Österreicher zudem mit dem Schiedsrichter haderten, war verständlich, denn Jesus Gil Manzano ließ eine klare Linie vermissen, und nachdem er nach der Großchance durch Christoph Baumgartner (36.) nicht auf Eckball entschied, kamen die Franzosen wenig später zum Siegtreffer. "Nach unserer Chance nicht auf Eckball zu entscheiden, war eine krasse Fehlentscheidung", sagte Rangnick: "Der Schiedsrichter war der Einzige im ganzen Stadion, der da einen Abstoß gesehen hat."

Auch Grillitsch kritisierte den Referee, "der hat gefühlt jede 50-50-Entscheidung gegen uns getroffen. Und bei jeder Emotion gleich Gelb zu zeigen, ist ein Unding bei so einem Turnier", sagte er. Es sei vollkommen unverständlich, wie man so entscheiden könne, wetterte auch Torhüter Patrick Pentz: "Eine komplett fragwürdige Leistung. Die Franzosen waren am Ende richtig happy, dass sie das Ding über die Zeit gerettet haben."

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Offensiv nicht zielstrebig genug

Rangnick war aber "weit davon entfernt, dem Schiedsrichter die Schuld zu geben", wie er betonte. Denn klar ist trotz des Ärgers über den Referee: Das Spiel hat man unglücklich, aber vor allem selbst verloren. Denn so konsequent Österreich defensiv agierte, so wenig zielstrebig war es offensiv.

"Wir haben nicht in jedem Fall die richtigen Entscheidungen getroffen bei eigenem Ballbesitz", monierte Rangnick. "Wir waren gegenüber dem, was wir uns vorgenommen hatten, was den Matchplan betrifft, nicht immer mutig genug, was die Anspiele angeht, in die Schnittstellen auf unsere Zehnerposition, obwohl die Räume da waren." Grillitsch forderte für die nächsten Auftritte deshalb ein griffigeres Pressing, eine bessere Strafraumbesetzung, präzisere Flanken. Für mehr Chancen, denn die waren Mangelware und damit das größte Manko.

Endspiel gegen Polen

Und wie das bei einem Turnier so ist, gibt es in einer Gruppe mit vier Mannschaften ganz grundsätzlich nicht viele Möglichkeiten. Zwei sind es noch, um das Achtelfinale zu erreichen, gegen Polen und die Niederlande. Bereits das anstehende Duell mit Polen "hat absoluten Endspiel-Charakter", wie Rangnick betonte. "Wir brauchen nicht drumherum reden", sagte Michael Gregoritsch, "dass wir da möglichst gewinnen sollten."

Und Rangnick stellte klar: "Wir wissen schon, dass wir auf einen Gegner treffen, den wir besiegen können, wenn wir unsere Leistung bringen." Und man sich nicht wieder selbst schlägt.

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