Die EM 2024 hat viele Geschichten geschrieben. Gleich zu Beginn: die neue "Liebesgeschichte" zwischen deutschen und schottischen Fans. Zigtausende fordern nun eine Fortsetzung per Petition. Gestartet hat sie jener Fan, der auch schon für die "Major Tom"-Petition verantwortlich war.

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Der Schmerz nach dem Ausscheiden Deutschlands im Viertelfinale gegen Spanien sitzt bei vielen noch tief. War es doch eine märchenhafte Reise bis dahin. Drei Wochen so viele positive Gefühle im ganzen Land und wunderbare kleine und große Geschichten bei dieser EM 2024.

Bilder bleiben wie die von Andre Schnura, der "Mann mit dem Saxophon", der nach seiner Kündigung an einer Musikschule den Menschen in den Fanzonen einheizt und eine Botschaft des Miteinanders verbreitet. Die völlig losgelöste, heitere Stimmung, die viele so sehr herbeigesehnt hatten. Verbrüderungen zwischen Fans aus unterschiedlichen Ländern, besonders zwischen Schotten und Deutschen. Ja, da hatte es gefunkt!

Nur wenige Tage nach dem Eröffnungsspiel schoss eine Petition bei Change.org aus dem Boden, die ein jährliches Freundschaftsspiel zwischen Schottland und Deutschland forderte. Viele Zuschriften erreichten unsere Redaktion nach dem Bericht: "Endlich mal was Positives nach den vielen schlimmen Nachrichten der letzten Monate, eine wunderschöne Idee!", "Eine Fan-Freundschaft mit Schottland wäre nicht weniger als das Beste, was Deutschland passieren könnte" oder: "Hier scheint es ja so, dass die Schotten trotz Niederlage Freunde gewonnen haben. Das zählt wohl mehr im Leben als ein gewonnenes Fußballspiel". Mehr als 85.000 Unterschriften hat die Petition bis jetzt gesammelt, jeden Tag werden es mehr.

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"Völlig losgelöst" und Schottland: Zwei Petitionen treffen den Nerv

Was wohl nur wenige wissen: Einer der beiden Initiatoren ist mit "Max Kirchi", wie er sich im Internet nennt, der junge Mann, der schon mit der berühmten "Major Tom"-Petition im März einen Coup gelandet hatte. Denn 70.000 Unterschriften später erhörte der DFB den Wunsch der Fans und erklärte Peter Schillings Song aus dem Jahr 1981 zur neuen Torhymne der Nationalmannschaft. Nur während der EM sollte das nicht gelten: Die UEFA spiele nicht mit, die Torjingle sollen für alle Mannschaften gleich sein, hieß es. Das allerdings stoppte das Lied nicht, zur heimlichen EM-Hymne der Deutschen zu werden und es nach mehr als 40 Jahren wieder in die Charts zu schaffen.

Wie begann der "Völlig losgelöst"-Hype?

  • Entertainer Tommi Schmitt hatte in seinem Podcast "Copa TS" im Herbst 2023 das Lied schon mal als Tor-Hymne ins Spiel gebracht. Den Hype löste der Adidas-Werbespot zum Heimtrikot der deutschen Nationalmannschaft aus. Selbstironisch geht es um die Frage "Was ist typisch deutsch?" (neben 84 Millionen Bundestrainern auch Goethe, Schiller und natürlich: Müller!), untermalt werden die Szenen von "Major Tom"-Variationen. Laut Max Kirchi traf das einen Nerv: "Die zwei Twitter-Kollegen @leanderSVW und @_RB1N_ teilten Clips, in denen der Song als Torhymne verwendet wurde. Ein User fragte, ob nicht jemand eine Petition starten könnte." Max tat es. "Danach entwickelte sich alles rasant und endete in riesiger Aufmerksamkeit für das Thema, spätestens als Peter Schilling meine Instagram-Story dazu teilte."
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Schottland-Petition: Von der Idee zur Umsetzung

"Mir war klar: Wenn eine Petition für ein jährliches Freundschaftsspiel, dann ist das eine Sache für Max Kirchi. Der hat nach der Major-Tom-Sache ja Erfahrung", schildert "VertStabs" im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Fußballfan postet unter diesem Namen regelmäßig auf "X", hauptsächlich zu Bundesligathemen. Den Vorschlag zu einem jährlichen Freundschaftsspiel schickte ihm ein Follower, Vert gab ihn weiter.

"Ich weiß gar nicht, wie der in echt heißt, aber ich hab Max Kirchi angeschrieben, ob er nicht eine Petition machen will. Er hat mir gar nicht geantwortet, sondern die einfach erstellt und mir zehn Minuten später den Link geschickt. So hat es angefangen", erzählt Vert. Immer mehr Menschen teilten den Link, Medien in beiden Ländern berichteten – die Unterschriftenliste explodierte, ein voller Erfolg.

Trotzdem weiß Vert über Max nur, "dass er in Berlin wohnt". Dabei verbindet die beiden Internet-Bekannten bereits eine Geschichte, die für Aufsehen sorgte: Während der Online-Abstimmung des DFB zum Nationalspieler des Jahres 2023 riefen sie ihre Follower dazu auf, für den Dortmunder Kicker Emre Can zu stimmen.

"Es war echt kein ruhmreiches Jahr für unsere Nationalmannschaft und dann auch noch alle Spieler zur Wahl zu stellen, fanden wir irgendwie absurd", erinnert sich Vert. Der Coup gelang. Can, der nur auf nur 412 von 990 möglichen Minuten zum Einsatz gekommen war, bekam 64,6 Prozent der Stimmen. Die Deutsche Presseagentur ergänzte die Meldung mit den Worten: "Allerdings wurde die Online-Abstimmung auf der Webseite des Deutschen Fußball-Bunds schon kurz nach dem Start torpediert. Zwei deutsche Twitter-User mit großen Reichweiten hatten spaßeshalber zur Wahl von Can aufgerufen." Can reagierte humorvoll auf die Ernennung: "Wenn aus Spaß Ernst wird ... Freue mich trotzdem", schrieb er auf Instagram.

"Schottische Fans haben uns neue Perspektive gebracht"

Mit der Schottland-Petition ist es den beiden aber ernst. Überhaupt sei bemerkenswert, was während der EM entstand: "Man sieht, dass solche Turniere in fußballverrückten Ländern stattfinden müssen. Die Leute gingen auf die Straßen, überall Flaggen aller Länder. Bitte nie wieder so etwas wie eine WM in Katar", betont Vert.

In sein kleines Dorf zwischen Münster und Osnabrück habe es zwar kein Schotte geschafft: "Aber ich habe all diese Geschichten übers Internet mitbekommen. Geschichten wie die, wo deutsche Fans das Handy eines Schotten bei der Polizei abgaben und der dann total dankbar war, gab es ja viele."

"Ich hätte jetzt vorher auch nicht gedacht: Boah geil, endlich mal in einer Gruppe mit den Schotten."

X-User "VertStabs" war vom Besuch schottischer Fans beeindruckt und hatte die Idee zur Petition

Der Twitter-Account der Tartan-Army, wie die schottischen Fans genannt werden, glich in jenen Tagen einer einzigen Lobeshymne auf Deutschland. In deutschen Medien wiederum kursierten Aufnahmen von schottischen Fans, die nach ihrer Niederlage auf Dudelsäcken die deutsche Hymne spielen. Die einen gehbehinderten Ansässigen über die Straße begleiten und ihre Schirme aufspannen, um ihn vor dem strömenden Regen zu schützen. "Oder der junge Schotte, der nach dem Public Viewing den Müll im Part aufräumt", erinnert sich Vert. "Ich hätte jetzt vorher auch nicht gedacht: Boah geil, endlich mal in einer Gruppe mit den Schotten. Aber die haben sich vorbildlich verhalten. Sie waren glücklich, dabei sein zu dürfen und blieben immer gut drauf."

Das hat auch Max "wirklich beeindruckt, zumal man von anderen britischen Nationen auch anderes gewohnt ist", spielt er auf die englischen Fans an. "Den Schotten war egal, was passiert ist, sie haben gefeiert, gejubelt - auch mit uns, und das hat uns eine ganz neue Perspektive gebracht." Man habe sofort gespürt, dass da etwas Besonderes entstand: "Diese Liebe allerdings so stark in Zahlen wie Unterschriften zu sehen, hat mich persönlich auch noch einmal überrascht."

15 Minuten Ruhm? Nein, danke

Wie es mit der Petition weitergeht, ist unklar. Noch ist sie nicht beendet und der Adressat DFB mit anderen Dingen beschäftigt: Man bitte um Verständnis, dass man erst nach der EM Stellung beziehen werde, antwortete das Presseteam in einer freundlichen Mitteilung an unsere Redaktion.

Vert schlägt vor: "Statt eines Testspiels gegen Tschechien, Griechenland oder USA würde ich sagen: einfach mal die Schotten fragen. Wenn ich dann in Schottland in ein Pub gehe und den beweisen kann, die Petition war meine Idee, bekomme ich bestimmt ein Bier umsonst. Dann würde ich sagen: win-win!"

"Wenn ich etwas dazu beitragen konnte, dass Leute Freude schöpfen konnten, dann macht mich das natürlich unfassbar stolz."

"Max Kirchi" ist Fußballfan von ganzem Herzen und Initiator der "Major Tom"-Petition

Ihre echten Namen wollen die beiden Fußballfans trotz der großen Resonanz nicht verraten. "Nur meine Brüder und ein Nachbar wissen, dass ich damit zu tun habe", gesteht Vert und will es dabei belassen.

Er sehe sich auch im echten Leben nicht gerne im Fokus, erklärt Max. "Völlig losgelöst" in der Fanzone rauf und runter zu hören, war für ihn aber besonders. "Wenn ich etwas dazu beitragen konnte, dass Leute daraus eine gute Zeit und Freude schöpfen konnten, dann macht mich das natürlich unfassbar stolz."

Das Lied passe so gut "zu einem Gefühl des Neuanfangs in der Nationalmannschaft", hatte er im März in die Petition geschrieben. Das habe die EM bestätigt: "Es war von Beginn an etwas völlig Neues, eine völlig neue Art das Turnier anzugehen, eine völlig neue Art es zu zelebrieren und zu feiern. Mich persönlich hat das enorm bewegt und so nah an die Nationalmannschaft gebracht wie schon lange nicht mehr." (dpa/af)

Verwendete Quellen

Julian Nagelsmann

Nagelsmann kämpft mit den Tränen: "Hätten den Fans gerne mehr gegeben"

Bundestrainer Julian Nagelsmann äußert sich einen Tag nach dem EM-Aus besonders emotional. Das Scheitern gegen Spanien schmerzt, aber die Stimmung bei den Fans tut auch gut. Der Weg geht für den Bundestrainer weiter. (Photocredit: picture alliance/dpa/Christian Charisius)
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