• Deutschland zittert sich ins Achtelfinale der EM.
  • Der rettende Ausgleich gegen Ungarn fällt erst in der 84. Minute. "Ein Ausscheiden wäre grauenvoll gewesen. Beschämend", sagt unser Kolumnist Olaf Thon.
  • Dass Leroy Sané nicht mal den nötigen Querpass beherrscht, um Kevin Volland den möglichen Siegtreffer aufzulegen, versteht er nicht. So geht es jetzt nicht gegen die Schweiz, sondern gegen England.
Eine Kolumne
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Ich bin heute, angesichts des tollen Spiels gegen Portugal, überrascht gewesen, wie wir gespielt haben. Wir waren von Anfang an zu defensiv und zu zurückhaltend. Postwendend haben wir das Tor kassiert, wie gegen die Franzosen. Ich habe aber immer daran geglaubt, dass wir es noch schaffen. Die Ungarn waren irgendwann müde.

Schön, dass Leon Goretzka dieses besondere Tor noch erzielt hat. Eine EM ohne Deutschland im Achtelfinale, das wäre ganz schlimm gewesen. Das wäre schlimm für Jogi Löw gewesen. Als Bundestrainer hat es noch niemand geschafft, bei einer WM und einer EM hintereinander auszuscheiden. Das ist an ihm vorbeigegangen. Gott sei Dank!

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Ein Ausscheiden wäre grauenvoll gewesen. Beschämend. Für den Bundestrainer, für die Mannschaft, für alle Deutschen. Wir können alle drei Kreuze machen und vor dem Zubettgehen noch ein "Vater unser" beten.

Deutschland gegen Ungarn Der Liveticker zum Nachlesen

Olaf Thon: "Bei Leroy Sané kommen die einfachen Sachen nicht"

Ich sehe die Schwächen bei einigen deutschen Spielern. Ob es Leroy Sané ist im Abschluss oder bei seiner Flanke. Die einfachen Sachen, die Basics, den Ball quer zu spielen, kommen nicht. Das ist Fußball-ABC. Sein rechter Fuß ist nicht so ausgeprägt, das weiß ich. Aber es muss machbar sein, auch mit dem schwächeren Fuß einen Querpass zu spielen.

Er hat seine Chance heute wieder nicht genutzt. Jogi Löw wird ihm sagen: "Spielst Du ordentlich quer, dann hätten wir gegen die Schweiz gespielt." Sané muss seinen rechten Fuß verbessern, dazu sein Kopfballspiel und seine Zweikampfstärke. Erst diese Dinge lassen ihn zu einem perfekten Spieler werden. Er hat noch viel Arbeit vor sich.

Olaf Thon: "Vom Titelgewinn sind wir momentan meilenweit entfernt"

Wir müssen uns wie 1996 ins Turnier hineinkämpfen. Damals haben wir auch durch eine kämpferische Leistung den Titel geholt. Davon aber sind wir im Moment meilenweit entfernt.

Wer Europameister werden will, muss hinten weniger anfällig sein und vorne auch mal aus Standardsituationen Tore machen.

Wir haben auch keinen zentralen Stürmer mit Torjägerqualitäten und gutem Kopfballspiel. Das fehlt, wenn wir die Brechstange herausholen müssen. Und hinten sind wir anfällig. Das hat man gesehen, als Ungarn postwendend den Ausgleich gemacht hat. Trotzdem haben wir nie aufgegeben.

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Olaf Thon: "Kroos und Gündogan haben Gosens nie angespielt"

Man hat in der zweiten Halbzeit erkannt, dass der Bundestrainer in der Halbzeit hundertprozentig darauf hingewiesen hat: "Warum spielt ihr den Gosens nicht an? Warum spielt ihr immer auf die rechte Seite?" Kimmich hat auf seiner Seite einen schweren Stand gehabt. Ich kann es mir nicht erklären, warum Toni Kroos nie den Robin Gosens angespielt hat, warum der Ilkay Gündogan nie den Gosens angespielt hat.

Das war Gott sei Dank in der zweiten Halbzeit der Fall. Da haben sie geschaut: Was macht der Gosens? Und dann kam Druck. Obwohl Gosens heute höchstens befriedigend war. Aber der kann nicht jedes Mal weltklasse spielen. Der Gegner hatte sich auch auf ihn eingestellt, einen schnellen Mann gegen ihn gestellt, der dann in der Offensive aktiv wurde, um Gosens in der Defensive zu binden. Das war taktisch von den Ungarn gut gemacht.

Ein Kompliment an Thomas Müller, dass er sich bereit erklärt hat, zu spielen, obwohl er nicht gesund war. Vorne haben wir immer wieder die Möglichkeit, Tore zu erzielen. Das gibt mir Hoffnung für das Achtelfinale gegen England.

Olaf Thon: "Die besten Spieler in der Premier League kommen nicht aus England"

Jetzt überwiegt das Weiterkommen. Das Wie ist Nebensache. Jetzt kommt England, und England ist zu schlagen. Gegen die Holländer oder die Belgier hätten wir uns viel schwerer getan. Die Engländer haben eine Mannschaft, die vom Teamgeist lebt. Aber die besten Spieler in der Premier League kommen nicht aus England.

Wir dürfen gegen die Engländer nicht so verhalten starten wie heute. Wir müssen von Anfang an Druck machen und nicht dem Gegner die Optionen überlassen.

Man denkt immer wieder an unsere Duelle gegen England. Damals, bis 1990, war es noch so, dass, wenn es zum Elfmeterschießen kam, es keine Zweifel gab, wer weiterkommt. Und England hätte auch heute im Elfmeterschießen gegen uns keine Chance. Ich hoffe aber nicht, dass es dazu kommt. Für einen Fußballspieler ist es das Schlimmste, Elfmeter schießen zu müssen. Ich sehe mir das nicht gerne an, weil ich weiß, unter welchem Druck man steht.

Protokoll mit Olaf Thon von Jörg Hausmann

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