Der Sieg im letzten Testspiel der deutschen Mannschaft gegen Griechenland wird überlagert von Diskussionen um Manuel Neuer - auch wenn sich der Bundestrainer dagegen verwehrt und sich demonstrativ vor seine Nummer eins stellt.

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Um den öffentlichen Diskurs hat sich Julian Nagelsmann bisher eher selten geschert. Der Bundestrainer ist es gewohnt, sein Ding durchzuziehen. Das war als jüngster Trainer der Bundesliga in Hoffenheim schon so, dann in Leipzig und später als teuerster Trainer der Bundesliga bei den Bayern. Und nun eben als Trainer der deutschen Nationalmannschaft, die zufällig ein großes Turnier im eigenen Land vor der Brust hat.

Nagelsmann macht sein Ding und dazu gehört in diesen Tagen und Wochen vor dem Start in die Europameisterschaft auch, dass er sich in der Wahl seiner Nummer eins längst festgelegt hat. Manuel Neuer soll zum siebten Mal in Folge bei einem Großereignis das Tor der deutschen Nationalmannschaft hüten und noch ein bisschen mehr als das: Als Anführer und Gallionsfigur der eigenen Mannschaft dienen und dem Gegner mit seiner bloßen Anwesenheit noch ein Stückchen mehr Respekt einflößen.

Im letzten Testspiel gegen Griechenland am Freitagabend in Mönchengladbach hat das nur zum Teil funktioniert. Manuel Neuer hat zunächst wieder einmal Manuel-Neuer-Dinge gemacht, als er gleich zu Beginn des Spiels die deutsche Mannschaft gleich zwei Mal vor einem Rückstand bewahrt hat. Um dann ein paar Minuten später einen vergleichsweise einfachen Ball einfach durch die Finger gleiten zu lassen und den Griechen damit dann doch die Führung zu ermöglichen.

Nagelsmann: "Ich lasse keine Diskussionen aufkommen"

Nun gehört es zum Los eines jeden Torhüters, dass im Zweifel der eine Fehler besprochen wird und nicht das halbe Dutzend starker Paraden zuvor. Neuer weiß das nur zu gut, schon im Champions-League-Halbfinale gegen Madrid vor ein paar Wochen war er es nahezu im Alleingang, der den Madrider Sturmlauf bis in die Endphase des Spiels aufhielt. Und dann kurz vor dem Ende doch noch so entscheidend patzte, dass das Spiel kippen konnte und die Saison für die Bayern damit quasi beendet war.

Seit Neuers Rückkehr ins Tor der Bayern nach seinem Unterschenkelbruch häufen sich diese kleinen und großen Fehler im Spiel des 38-Jährigen und auch in den beiden Länderspielen nach seiner schweren Verletzung wird nun eher über Neuers Eignung als Nummer eins für das EM-Turnier debattiert werden. Auch wenn sein Trainer diese Kontroverse für absolut überflüssig hält. "Ich lasse keine Diskussionen aufkommen, auch wenn es jeder probiert", sagte Nagelsmann mit Nachdruck am Mikrofon von "RTL" - wohl wissend, dass es die Diskussionen schon längst gibt. Und die wenige Tage vor dem Start in die EM-Mission nun noch einmal Fahrt aufnehmen werden.

Bedingungslose Rückendeckung für Neuer

Nagelsmann versuchte - zu Recht - den Kontext des Gegentores zu erläutern, die "Fehlerkette" mit einem unnötigen Dribbling und einem gefährlichen Pass ins gegnerische Pressing hinein, kurz: Dass da noch mehr Spieler entscheidend involviert waren. "Wenn der Torwart noch beteiligt ist, gibt es ein Gegentor. Er hat drei gute Paraden gehabt, alles in Ordnung."

Einen Wechsel im deutschen Tor wird der Bundestrainer aus guten Gründen nicht mehr vollziehen. Deshalb die rigorose Kommunikation nach draußen: vom Bundestrainer, von Neuers Mitspielern und auch von Neuer selbst. "Ich hätte ihn besser wegbringen müssen", war dessen Kommentar und es schwang darin so etwas wie Selbstkritik mit.

Ganz anders als noch am vergangenen Montag gegen die Ukraine, als er sein unkonventionelles und fahrlässiges Manöver an der Mittellinie fast noch in eine kleine Heldengeschichte umdeuten wollte. Wer will, konnte Neuer da Überheblichkeit unterstellen. Andere erkennen die Grandezza einer Nummer eins, die schon alles gewonnen hat - bis auf den EM-Titel.

"Ich nehme keine Selbstzweifel bei ihm wahr, das ist wichtig. Er hat mein Vertrauen!", erneuerte Nagelsmann auf der Pressekonferenz nach dem Spiel seinen bedingungslosen Rückhalt für Neuer.

"Intern werden wir weder den Fehler anschauen, noch diskutieren, noch an der Torhüterfrage herumdoktern. Mir ist bewusst, dass das Thema in den Medien diskutiert wird. Auch wenn ich den Sinn nicht nachvollziehen kann. Jeder Deutsche sollte ein Interesse daran haben, dass jeder Spieler gefestigt und stabil spielt."

Harter Realitätscheck für die deutsche Mannschaft

Die Neuer-Diskussion und auch jene über Ilkay Gündogan überlagerten das letzte Testspiel vor dem Auftaktspiel gegen Schottland am kommenden Freitag. Dabei gab es auch darüber hinaus jede Menge Störfaktoren. Die deutsche Mannschaft wirkte fahrig und unkonzentriert, leistete sich jede Menge einfache Fehler im Spiel mit dem Ball und lud die renitenten Griechen damit förmlich zu einem halben Dutzend gefährlicher Konterattacken ein.

Die erste Halbzeit war ein harter Realitätscheck, wie Toni Kroos nach dem Spiel unumwunden zugab. "Man weiß, dass im Fußball auch schlechte Halbzeiten dazu gehören. Wir wussten aber auch, dass wir nicht so gut sind, wie wir im März gemacht wurden. Aber auch nicht so schlecht wie davor." Kroos spielte damit auf die beiden Siege in den Spielen gegen Frankreich und die Niederlande an, die nach enttäuschenden Leistungen zuvor die Euphorie im Land wieder entfachten.

Die Partie gegen Griechenland geriet beinahe zum Stimmungskiller, eine deutliche Leistungssteigerung und wie schon gegen die Ukraine sehr viele belebende Elemente von der Bank verhinderten aber die erste Niederlage seit 20 Jahren bei einer "Generalprobe" vor einem großen Turnier. Im Gegenteil könnte Pascal Groß' Treffer zum 2:1-Sieg kurz vor Schluss noch ziemlich wichtig werden im Gesamtkontext der Vorbereitung.

Seine Spieler schickt Nagelsmann nun für zwei Tage nach Hause zu ihren Familien. Am Montag trifft sich die DFB-Delegation dann wieder in ihrem "Base Camp" in Herzogenaurach und startet die Vorbereitungen auf das Schottland-Spiel. Dann bleibt die Mannschaft nur noch für und unter sich. Ungeachtet aller Debatten da draußen.

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