Die deutsche Nationalmannschaft hat vor den abschließenden EM-Qualifikationsspielen und mit Blick auf die Fußball-EM 2020 ein Abwehrproblem. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Weltmeister Thomas Berthold, weshalb eine Rückholaktion von Mats Hummels seiner Meinung nach dennoch keinen Sinn ergibt - und warum ihm auch andere Positionen Sorgen bereiten.

Ein Interview

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Niklas Süle vom FC Bayern München: Fällt mit einem Kreuzbandriss viele Monate aus. Thilo Kehrer von PSG: Kämpft mit einer hartnäckigen Fußverletzung. Antonio Rüdiger vom FC Chelsea: Hat in dieser Saison wegen einer Leistenverletzung erst ein Premier-League-Spiel für die Londoner gemacht.

Keine Frage: Das DFB-Team plagen vor den EM-Qualifikationsspielen gegen Weißrussland am Samstag und am Dienstag gegen Nordirland (Anstoß jeweils um 20:45 Uhr, LIVE bei RTL und hier im Ticker) erhebliche Abwehrsorgen. Und auch bis zur Fußball-EM 2020 ist es nicht mehr weit.

Wir haben mit Thomas Berthold, ehemaliger Verteidiger und Weltmeister von 1990, über Alternativen, Persönlichkeiten in der Nationalmannschaft und die Diskussionen um eine Rückkehr von BVB-Star Mats Hummels gesprochen.

Herr Berthold, das DFB-Team hat durch den langfristigen Ausfall von Niklas Süle ein Abwehrproblem. Die etatmäßigen Innenverteidiger vor den abschließenden EM-Qualifikationsspielen heißen Jonathan Tah, Niklas Stark und Robin Koch - und sind recht unerfahren.

Thomas Berthold: Diese drei jungen Spieler haben keine Turniererfahrung. Jonathan Tah spielt zumindest in der Champions League, wo es viel robuster zugeht. Wir haben in Deutschland aber generell auf ein paar Positionen Vakanzen: zentrale Spitze, Außenverteidiger und Innenverteidiger.

Nach dem Ausscheiden bei der WM in Russland war klar, dass es Veränderungen geben muss. Nicht nur wegen der Altersstruktur. Ich glaube, dass es in der Nationalmannschaft auch gruppendynamische Themen gab, weswegen Löw Veränderungen wollte. Seine Entscheidung ist legitim. Deshalb finde ich die permanente Diskussion, wen er alles zurückholen muss, nicht in Ordnung.

Wenn Sie von Gruppendynamik sprechen: Der von Löw aussortierte Mats Hummels gilt als meinungsfreudig. Er soll im DFB-Team auch angeeckt sein.

Die Diskussion über die mündigen Spieler haben wir im deutschen Fußball ja schon seit Jahren, auch in den Bundesligavereinen. Das ist eine Grundsatzfrage, die man sich stellen muss: Wollen wir überhaupt noch mündige Spieler oder keine Hierarchie mehr in der Nationalmannschaft, wie wir sie noch vor 20, 30 Jahren hatten?

Was wünschen Sie sich als Ex-Nationalspieler?

Ich denke, dass Mannschaften, die erfolgreich sein wollen, immer Persönlichkeiten brauchen. Je mehr, desto besser. Weil sie auf dem Feld von sich aus Verantwortung übernehmen. Das ist meine persönliche Meinung, aber ich bin nicht der Bundestrainer.

Also einen Hummels? Oder zum Beispiel auch einen Jerome Boateng, der ebenfalls aussortiert wurde?
Beide haben in ihrer Vita herausragende Leistungen gebracht. Wenn das Leistungsbarometer aber nach unten geht, ist es legitim, andere Spieler zu nominieren.

Vor der Verletzung von Süle hatte der "Kicker" vorgerechnet, dass kein Bundesligaspieler im Schnitt mehr Zweikämpfe gewinnt als Hummels. Kann der Bundestrainer das ignorieren?

Es geht ja auch um Glaubwürdigkeit. Er hat sich vor einem halben Jahr dazu entschieden, Gespräche mit den Spielern (Hummels, Boateng und Thomas Müller; Anm.d.Red.) geführt. Er sollte jetzt nicht nach ein paar Monaten umkippen, nur, weil ein paar Spieler verletzt sind. Abgerechnet wird erst im Sommer nach der EM. Wir werden uns sowieso qualifizieren. Erst nach dem Turnier kann man dann Bilanz ziehen.

Wenn Sie sich die Abwehr ansehen: Tah ist nach dem 2:4 gegen die Niederlande scharf kritisiert worden.

Er ist aber derjenige, der schon am längsten dabei ist. Einem jungen Spieler muss man zugestehen, dass er in dem Alter (23 Jahre; Anm.d.Red.) nicht immer konstant auf einem ganz hohen Niveau spielt. Da sind auch mal schlechte Spiele dabei.

Und: Das Defensivverhalten darf man nicht nur an einem Spieler oder der Abwehr festmachen. Das geht ja schon los, wenn die Vorderleute den Ball verlieren. Ob sie sich nach Ballverlust gleich wieder orientieren und die Räume eng machen. Tah ist jetzt an der Reihe. Die anderen beiden, Stark und Koch, sind ja komplette Neulinge.

Stark von Hertha BSC könnte sein Debüt im DFB-Team geben.

Er bringt vom Profil her vieles mit: Er kann Fußball spielen, ist kopfballstark und robust. Er hat eine gute Physis.

Muss Löw gegebenenfalls umbauen, zum Beispiel auf eine Dreierkette?

Dreierkette war in der Nationalmannschaft schon immer ein Thema. Aber es sind nicht mehr viele Spiele bis zur EM 2020 und eine Mannschaft muss sich einspielen. Verletzte Spieler führen immer wieder zu neuen Formationen. Es ist schwierig, wenn sich, wie im Fall der Nationalmannschaft, wegen Verletzungen oder Formschwankungen keine Achse im Team findet.

Müssen sich die deutschen Fans mit Blick auf die EM 2020 also Sorgen machen?

Deutschland wird mindestens zwei Spiele in München bestreiten, kann also den Heimvorteil nutzen. Dafür braucht es aber eine gute Grundstruktur in der Mannschaft. Heißt: Die defensive Absicherung muss funktionieren. Und genau da war die Nationalmannschaft zuletzt wackelig, auch mal nicht in der Lage, eine Führung nach Hause zu bringen. Löw wird sich nach dem Länderspieljahr alles anschauen.

Und Hummels doch zurückholen?

Im Fußball ist alles möglich. Und Jogi Löw ist ein intelligenter Trainer. Er wird sich seine Gedanken machen. Ich schließe nichts aus. Vielleicht spielt sich auch ein Spieler in den Vordergrund, den wir noch gar nicht im Blick haben. Das gab es früher bei anderen Turnieren auch schon.

Thomas Berthold, Jahrgang 1964, wurde mit Deutschland 1990 Weltmeister und 1986 Vize-Weltmeister. Im WM-Finale 1990 gegen Argentinien (1:0) schaltete der ehemalige Verteidiger gemeinsam mit Guido Buchwald den seinerzeit herausragenden Diego Maradona aus. 1997 gewann der Hesse mit dem VfB Stuttgart zudem den DFB-Pokal. Heute arbeitet Berthold unter anderem als Experte für "Sport1" und als Kolumnist für die "Deutsche Welle".
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