Nils Petersen hat im vergangenen Sommer seine aktive Karriere beendet und arbeitet nun unter anderem als TV-Experte. Im Exklusiv-Interview spricht er über das bevorstehende Champions-League-Spiel des FC Bayern München gegen Manchester United (Dienstag, 21:00 Uhr, live auf Prime Video), über Harry Kane, über seine eigene Vergangenheit beim FC Bayern und über die deutsche Nationalmannschaft.

Ein Interview

Herr Petersen, für den FC Bayern München geht es als vorzeitigen Gruppensieger im letzten Vorrundenspiel um nichts mehr, während Manchester United noch um den Verbleib im europäischen Wettbewerb kämpft. Wie motiviert wird der FC Bayern nach der Niederlage bei Eintracht Frankfurt trotzdem sein?

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Nils Petersen: Die Schlappe in Frankfurt ist ein Stachel, der tief sitzt und das Team zusätzlich pusht. Meines Erachtens freuen sich die Bayern, dass es für Manchester United um alles geht. Ich weiß aus Erfahrung, dass es keinen Spaß macht, wenn beide Mannschaften um die goldene Ananas spielen. Dann fehlt der Kick, die Anspannung, das Kribbeln. Manchester United bleibt ein riesiger Name, ein großer Verein. Zudem haben Spiele zwischen Manchester United und Bayern München Geschichte geschrieben - auch wenn Spieler wie Harry Kane oder Leroy Sané damit vermutlich kaum noch etwas anfangen können. Ich bin sicher, Bayern wird Freude daran haben, einem gewaltigen Namen wehzutun. Und natürlich wollen sie ihre Serie ausbauen und in der Champions-League-Gruppenphase weiter ungeschlagen bleiben.

Wo sehen Sie den Grund dafür, dass der einst so ruhmreiche Verein Manchester United seit Jahren in der Krise steckt?

Aus der Entfernung ist das schwierig zu beurteilen. Aber es gab über Jahre keine aufsehenerregende Transferpolitik trotz immenser finanzieller Mittel. Wenn man sich die Mannschaft anschaut, erschrickt man als Gegner einfach nicht mehr. Man freut sich inzwischen schon, wenn ein Spieler wie Scott McTominay aus dem eigenen Nachwuchs ein bisschen für Furore sorgt. Aber ansonsten gibt es dort kaum noch Spieler, mit denen man sich identifizieren kann und die Kontrahenten in Angst und Schrecken versetzen. Insgesamt fand ich die Verpflichtungen dort in den letzten Jahren nicht sonderlich spannend. Hinzu kommt die Unruhe auf dem Trainerposten, Geduld sieht anders aus.

Ist der FC Bayern München, auch wenn sie gegen Frankfurt einen schwachen Eindruck hinterließen, ein Anwärter auf den Sieg der Champions League? Wen würden Sie zum Favoritenkreis zählen?

Ja, absolut. Der FCB zog immer Kraft aus Rückschlägen und kann sich auf den Punkt fokussieren. Vielleicht bin ich aufgrund meiner eigenen kurzen Bayern-Vergangenheit parteiisch. Aber für mich gehört Bayern immer zu den Mannschaften, die um einen Titel spielen und gegen die kein Gegner gerne antritt. Selbst ein Team wie Manchester City hat vor Bayern München mehr Respekt als vor vielen anderen Klubs. Neben Bayern und Man City gehört für mich auch Real Madrid zum Favoritenkreis.

Wie beurteilen Sie als ehemaliger Stürmer die Leistungen von Harry Kane?

Ich freue mich in erster Linie, dass solch ein Spieler den Weg in die Bundesliga gegangen ist. Es war nicht einfach für ihn, denn bei Tottenham Hotspur war er automatisch immer der Beste und derjenige, um den sich alles drehte. Das ist beim FC Bayern anders. Zudem war die Erwartungshaltung aufgrund der hohen Transfersumme immens. Ich ziehe den Hut davor, wie er damit umgeht. Er macht seine Mitspieler besser, er trifft am Fließband, er übernimmt Verantwortung. Das ist einfach eine enorme Qualität mit dem Prädikat "Weltklasse".

Sie sprachen eben Ihre eigene Vergangenheit beim FC Bayern an. In Ihrem Buch "Bank-Geheimnis. Selbstgespräche eines Fußballprofis" haben Sie dem Kapitel über ihre Zeit beim FC Bayern die Überschrift "Zwei Nummern zu groß" verpasst - dies bezog sich vor allem auf die Rückennummer 9, die viele Bayern-Ikonen trugen. Sie wechselten im Jahre 2011 als Torschützenkönig der 2. Bundesliga zum FC Bayern. Sie beschreiben im Buch, dass Ihnen viele aus Ihrem Umfeld zu diesem Wechsel geraten haben. In der Öffentlichkeit hingegen wurde dies eher skeptisch bewertet. Wie war Ihre eigene Gefühlslage?

Ich war damals zwar auf dem Papier erwachsener. Aber vor allem noch ein junger Mensch, der auf sein Umfeld, seine Familie, seinen Berater und auch auf die Medien gehört hat - und weniger auf meine innere Stimme. Ich weiß nicht, wie es gelaufen wäre, wenn ich woanders hingegangen wäre. Aber ich bin überaus dankbar für diese Zeit, weil sich die Station Bayern München in der Vita immer gut liest und man ein Champions-League-Finale im Kader auch nicht allzu oft erlebt.

Aber ich muss zugeben, dass mein Bauchgefühls beim Wechsel nach München nicht gerade Hurra geschrien hat. Ich kam aus der 2. Liga, konnte mich recht gut einschätzen und hatte in Cottbus eine Wohlfühl-Oase. Dann kam ich nach München in eine völlig andere Welt. Und wenn ich ehrlich bin, bin ich dort nie so richtig angekommen. Aber ich bin dennoch dankbar und stolz, dass ich einmal für die beste Firma im deutschen Fußball arbeiten durfte.

Sie verraten in dem Buch auch, dass im verlorenen Champions League Finale 2012 auf der Trainerbank darüber diskutiert wurde, ob Sie für das Elfmeterschießen eingewechselt werden. Mal ehrlich: Hätten Sie gerne geschossen oder eher nicht?

Ich weiß noch, wie ich auf der Bank saß und mitbekommen habe, dass diese Option thematisiert wurde. Das war so ein krasses Gefühlschaos, und ich habe mir gesagt: Okay, ich knall den einfach in die Mitte! Aber natürlich habe ich gleichzeitig gedacht: Wenn ich jetzt doch nicht reinkomme, ist das auch okay. Denn mehr Druck geht kaum.

Es gab in der Vergangenheit schon einige Spieler, die vielleicht etwas vorschnell gefeiert wurden und zum FC Bayern gewechselt sind - zum Beispiel Sinan Kurt, Fiete Arp oder Jan Schlaudraff. Teilweise resultierte daraus ein Karriereknick: Kann man jungen Spielern dennoch empfehlen, zum FC Bayern zu wechseln?

Ich kann jedem nur empfehlen, sich täglich mit den Besten zu messen. Entweder läuft es gut und man bekommt Einsätze mit Top-Mitspielern an der Seite oder man lernt einfach unglaublich viel. Aber in dem Alter zwischen 18 und 23 ist es unglaublich wichtig, Wettkampfpraxis zu haben - auch in der 2. Mannschaft. Ich habe mit 18 und 19 Jahren, obwohl ich bereits bei den Profis meine Einsätze hatte, auch noch teilweise in Reserve von Jena und Cottbus gespielt. Inzwischen wird das oft negativ betrachtet. Da rufen dann gleich der Berater oder die Eltern an und fragen, was dort los ist. Heute ist es immer wichtig, was für ein Wappen die Jungs tragen, wie hoch das Gehalt ist und was die anderen Jugend-Nationalspieler im Vergleich zu mir verdienen. Aber das sollte keine Rolle spielen.

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Sondern?

Es kommt darauf an, wie der nächste Schritt aussieht. Wenn wir Fiete Arp als Beispiel nehmen: Er wurde in Hamburg wahnsinnig gehypt, weil er dort gut und frech war. Aber für den FC Bayern reichte das dann offenbar doch nicht auf diesem Niveau. Diese Qualität hatte ich damals auch nicht. Damit umzugehen, ist schwierig. Ich hatte damals das Glück, dass ich in den Medien gar nicht groß thematisiert worden bin. Das ist heute anders – alleine schon aufgrund der Sozialen Medien. Jeder Hobby-Trainer kann dort einfach mal reinschreiben, dass der Arp oder damals eben ich, der Petersen, für den FC Bayern zu schwach ist. Da braucht man schon ein dickes Fell.

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Sprechen wir abschließend noch einmal über die deutsche Nationalmannschaft, die bei den Vorbereitungsspielen einen schwachen Eindruck hinterließ. Wie viel Sorgen machen Sie sich im Hinblick auf die EM 2024?

Ich bin ein sehr optimistischer Mensch und denke, dass es der Mannschaft sogar guttun kann, dass die Erwartungshaltung gegen Null tendiert. Wenn wir ehrlich sind, haben wir eine absolut machbare Gruppe erwischt - ohne den anderen Mannschaften zu nahe treten zu wollen. Trotzdem wäre es Stand heute keine Sensation, wenn wir ausscheiden würden. Das ist einerseits traurig, aber andererseits kann das DFB-Team daraus Motivation ziehen und eine Jetzt-erst-Recht-Mentalität entwickeln. Wenn die Gruppe überstanden wird, dann traue ich Deutschland alles zu. Ich glaube übrigens auch, dass große Mannschaften wie England, Spanien oder Frankreich noch immer nicht gerne gegen Deutschland spielen.

Deutschland ist speziell auf der Position des Mittelstürmers schmal aufgestellt. Daher wird in der Öffentlichkeit schon thematisiert, ob neben Niclas Füllkrug vielleicht ein Top-Stürmer der 2. Liga wie Robert Glatzel vom Hamburger SV nominiert werden sollte. Wie ist als früherer Torschützenkönig der 2. Bundesliga Ihre Meinung dazu?

Niclas Füllkrug ist ein Paradebeispiel: Er kam von Werder Bremen, also nicht von einem internationalen Top-Club, und hat trotzdem bei der Nationalmannschaft für Furore gesorgt. Ein Stück weit Euphorie, vorne im Strafraum jemanden, der für irgendwas steht - das braucht jedes Team. Füllkrug verkörpert diese Unbekümmertheit und Gradlinigkeit. Und Glatzel würde allein wegen seiner Größe beeindrucken, weil er mit seinen Maßen im Strafraum eine Naturgewalt ist. Er macht seit Jahren seine Tore. Es würde mich für ihn freuen, wenn er sich noch einmal in der Bundesliga beweisen könnte. Zwischen der 2. Liga und der EM liegen aber natürlich Welten. Manchmal kommt es jedoch auf das Momentum an. Und er hat einfach ein Näschen. Die deutsche Nationalmannschaft hat spielerisch enorme Qualität - aber im Strafraum? Da klafft neben Füllkrug momentan eine Lücke. Daher wäre Glatzel zumindest eine Überlegung. Ich bin jedenfalls ein Fan davon, wenn man bei fünf möglichen Wechseln eine offensive Bank hat. Denn defensiv wird deutlich seltener ein Impuls benötigt als offensiv.

Über den Gesprächspartner

  • Nils Petersen (35) wurde in der Saison 2010/11 im Diente des FC Energie Cottbus Torschützenkönig der 2. Bundesliga. Danach spielte er in der Bundesliga für den FC Bayern München (2011/2012), den SV Werder Bremen (2012 bis 2014) und den SC Freiburg (2014 bis 2023), ehe er seine Karriere beendete. Er absolvierte zwei Spiele für die deutsche Nationalmannschaft und gewann zudem 2016 mit der deutschen Auswahl die Silbermedaille bei den Olympischen Sommerspielen. Heute arbeitet er als TV-Experte bei Prime Video und hat zudem mit "Bank-Geheimnis. Selbstgespräche eines Fußballprofis" ein Buch herausgebracht.
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