Borussia Dortmund ringt das hoch gehandelte Paris Saint-Germain nieder und kann sich mal wieder auf Erling Haaland verlassen. Aber nicht nur der sorgt für eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel. Es sieht gut aus für den BVB - wäre da nur nicht dieses eine Problem.

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Die Rettung nahte, gewissermaßen, aus dem Norden Englands. Giovanni Reyna ist ein 17-jähriger US-Amerikaner, geboren in der Hafenstadt Sunderland. Erling Braut Haaland besitzt zwar einen norwegischen Pass, geboren wurde der 19-Jährige aber in Leeds in der Grafschaft Yorkshire. Seit ein paar Wochen spielen beide zusammen bei und für Borussia Dortmund, was sich im ersten K.-o.-Spiel der Teenager überhaupt in der Champions League als ziemlich günstige Fügung des Schicksals erweisen sollte.

Borussia Dortmunds 2:1-Erfolg gegen Paris Saint-Germain war auf dem besten Weg, eine dieser zynischen Veranstaltungen des Fußballs zu werden: Der BVB war die eindeutig bessere Mannschaft, hatte den hochgelobten Gegner fest im Griff und hatte eine knappe Viertelstunde vor dem Ende doch kaum etwas in der Hand. Zu diesem Zeitpunkt stand es noch 1:1, die Borussia hatte aus ziemlich Viel ziemlich Wenig gemacht, die Gäste aus Frankreich dagegen ihre einzige Torchance genutzt.

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Champions League: Haaland wie eine Naturgewalt

Dann gab es diesen einen Angriff. Mats Hummels leitete tief ein, passte auf Reyna. Der flog einfach so vorbei an zwei Gegenspielern, überbrückte das Mittelfeld schneller als Marco Verratti und Layvin Kurzawa schauen konnten, bediente Haaland. Kurze Annahme, vier Trippelschritte und dann ein Schuss wie ein Urknall.

Es war Haalands zweites Tor an diesem Abend. Zuvor hatte er den BVB per Abstauber in Führung gebracht. Im siebten Spiel in der Königsklasse erzielte der Norweger damit seine Tore neun und zehn. Rekord für einen Rookie: Noch nie hat jemand in den ersten Spielen des wichtigsten Klubwettbewerbs der Welt so eingeschlagen. Haaland führt damit die Torjägerliste an, hat derzeit vier Tore mehr geschossen als Leo Messi, Cristiano Ronaldo und Neymar - zusammen, wohlgemerkt.

Ob er denn wisse, wie gut er eigentlich sei, wurde Haaland nach dem Spiel bei DAZN gefragt. "Ich weiß, dass ich mich verbessern und entwickeln muss. Das sind die Momente, für die man Fußball spielt. Ich habe es sehr genossen", war die lapidare Antwort.

Was unweigerlich eine andere Frage aufwirft, nämlich: Worin genau sollte sich dieser Spieler noch verbessern können? Das zweite Tor war ein Glanzstück in Sachen Präzision, Technik und Wucht. Beim 1:0 reagierte Haaland schneller als alle anderen Spieler in Ballnähe. Und zwischen diesen Toren überragte Haaland mit Einsatzwillen, Mentalität, Zweikampfhärte, Widerstandsfähigkeit.

In der ersten Halbzeit gab es eine Umschaltaktion nach einer Ecke für PSG. Dortmund überfiel die Gäste dabei mit gleich sechs Spielern, Haaland raste vom eigenen Sechzehner bis in den gegnerischen Strafraum. Findige Statistiker von Sky Italia wollen herausgefunden haben, dass Haaland die 60 Meter Distanz bei seinem Sprint in 6,64 Sekunden zurücklegte. Der Hallen-Weltrekord über die 60 Meter liegt derzeit bei 6,34 Sekunden.

Erling Haaland: Der Schnapp des Jahres

Ein wenig wurden sie in Dortmund ja zu ihrem Glück gezwungen, und vermutlich können sie es schon jetzt gar nicht mehr fassen.

Anderthalb Jahre lang verzichtete Lucien Favre auf einen zentralen Mittelstürmer, spielte mit einem flexiblen Zentrumsangreifer. Die Schwierigkeiten der ersten Saisonhälfte sorgten beim Trainer für einen Stimmungsumschwung, die Verantwortlichen goutierten die Entscheidung, nun doch eine echte Nummer neun verpflichten zu wollen.

Da traf es sich ganz gut, dass der BVB Erling Haaland schon seit Sommer 2016 auf dem Zettel hatte. 28-mal wurde der Spieler live gescoutet, ein lukrativer Deal mit Dortmunds Ausrüster begleitete den Deal, der sich bei lächerlichen 20 Millionen Euro Ablöse jetzt schon wie der Schnapp des Jahres anfühlt.

Zweiter heimlicher Star: Emre Can

Haaland jedenfalls überstrahlte an diesem Abend in Dortmund mal wieder alle - was gar nicht so einfach war mit Neymar, Kylian Mbappe oder Jadon Sancho auf dem Platz. Beim entscheidenden Tor assistiert von Reyna, protegiert aber vom heimlichen Star des Spiels: Emre Can.

Der zweite Winterzugang der Dortmunder ordnete nicht nur das Spiel, sondern setzte Neymar mit seiner Härte und Laufbereitschaft fast schachmatt. Lediglich beim zwischenzeitlichen Ausgleich entwischte der Superstar, der allerdings nicht ganz fit wirkte, auch dem Dortmunder Abfangjäger.

Can fügte sich trotzdem in die Dortmunder Mannschaft, als spielte er schon seit drei oder vier Jahren in Schwarz und Gelb. Man muss sich schon die Frage stellen, welches Fabel-Mittelfeld da in Turin sein Unwesen treibt, dass Juventus auf einen Spieler dieser Güteklasse einfach so verzichten mag. Can war von den Italienern erst gar nicht für den Champions-League-Kader gemeldet worden.

Can jedenfalls könnte sich als zweites wichtiges Puzzlestück für die Borussia entpuppen. Vor dem Spiel gab der Klub die Verpflichtung des derzeit ausgeliehenen Spielers ab kommenden Sommer bekannt. Auch hier bewegt sich die Ablösesumme mit 25 Millionen Euro in einem moderaten Rahmen.

PSG-Coach Thomas Tuchels dünne Erklärungen

In der Ausrichtung der Mannschaft war der Nationalspieler perfekt aufgehoben. Dortmund spielte anders als in 90 Prozent seiner Spiele nicht den klassischen BVB-Fußball, sondern lauerte aus einer deutlich tieferen Position auf Fehler der Gäste, um dann im Eiltempo umzuschalten.

Mit dieser kompakten Defensivformation wusste Thomas Tuchels Mannschaft rein gar nichts anzufangen. Außer ein paar langer Bälle hinter die gegnerische Kette, die allerdings allesamt abgefangen wurden, hatte PSG über 70 Minuten lang nichts zu bieten. Trotz des Tores und eines Schusses an den Außenpfosten bot Tuchels Mannschaft eine biedere Vorstellung.

"Man hat uns ein bisschen angemerkt, dass wir doppelt so viele Spiele im Januar und Februar hatten. Durch unsere Verletzten mussten einige ein paar Spiele zu viel machen. Außerdem hatten wir heute ein paar Jungs drauf, die nicht im Rhythmus sind. Ich fand, das hat man uns angemerkt", suchte Tuchel bei Sky etwas zu offensichtlich nach Erklärungen. "Dazu hatten wir zu wenig Ballbesitz und zu viele Fehler. Wir waren nicht schlau genug, haben zu viele Bälle verloren und hatten keine Struktur für das Gegenpressing."

Ohne die beiden Superstars Neymar und Mbappe in Bestform bekommt PSG immer noch zu schnell veritable Probleme. "Wenn bei 'Ney' ein paar Steine im Getriebe sind und er sich schwer tut, dann merkt man das sofort. Es ist wie ein Uhrwerk, wo ein Sandkorn das Ganze ein bisschen stören kann", führte Tuchel weiter aus.

BVB hat weiterhin ein dickes Problem

Das Ergebnis passte also aus Dortmunder Sicht, die gedrückte Stimmung beim Gegner lieferte dazu den verbalen Beweis. Die Gestaltung der Winterpause mit den Zugängen Haaland, Can und dem zu den Profis beförderten Reyna verlief perfekt. Es könnte also tatsächlich etwas werden mit dem Einzug in die Runde der letzten Acht - wäre da nur dieses eine Problem nicht.

Die UEFA beharrt auch in dieser Saison darauf, die K.-o.-Runde in je ein Heim- und ein Auswärtsspiel für jede Mannschaft aufzuteilen. Der BVB wird also nicht erneut im Signal Iduna Park ran dürfen, sondern im Prinzenpark in Paris. Und ein kurzer Blick auf die Auswärtsbilanz der Schwarz-Gelben lässt dafür nichts Gutes erahnen.

Im Pokal kugelte Dortmund vor ein paar Tagen überraschend in Bremen raus, in der Königsklasse gab es in drei Spielen in dieser Saison schon zwei Niederlagen. In der Liga belegt Dortmund in der Auswärtstabelle überdies nur Platz neun, mit 22 Gegentoren aus elf Spielen. Das letzte Auswärtsspiel in der Champions-League-K.-o.-Runde ging bei Tottenham Hotspur mit 0:3 verloren.

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