Eigentlich stand diese Saison für den FC Bayern unter überhaupt keinem guten Stern. Niemals hätte ich es vor einem Jahr für möglich gehalten, dass die Münchner am Ende sogar die Champions League gewinnen. Von der Wiederholung des historischen Triple von 2013 mal ganz zu schweigen.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Zu schwach und satt wirkte der gesamte Club im Herbst des Vorjahres. Und doch stand ich am Sonntagabend wie viele Bayern-Fans erschöpft von 90 Minuten Anspannung, aber beseelt und glücklich vor dem Fernseher und freute mich mit den Spielern wie ein kleines Kind über den dritten Champions-League-Titel. Wie konnte das innerhalb von wenigen Monaten passieren?

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So logisch und folgerichtig sich der Sieg gegen Paris im Finale nach den starken Vormonaten anfühlte, so sehr offenbart sich bei genauerem Hinsehen, welche Achterbahnfahrt notwendig war, um diesen Erfolg zu erringen.

Als der FC Bayern die Saison 2012/13 vor dem letzten Triple begann, hatte er eine klare Mission. Nach dem dramatisch verlorenen Finale gegen Chelsea 2012 war alles darauf getrimmt, Wiedergutmachung zu betreiben und den Titel nach München zu holen. Das gelang am Ende einer historischen Saison tatsächlich. Der Start der Saison 2019/20 fühlte sich völlig anders an. Der Club hing irgendwie in der Luft.

Eigentlich nur als Umbruchssaison geplant

In den Monaten zuvor blamierten sich die Bayern etwa mit einem peinlichen Transfertheater, bei dem monatelang und öffentlich vollmundige Ankündigungen gemacht wurden und am Ende mit Coutinho und Ivan Perisic eher improvisierte Last-Minute-Lösungen präsentiert wurden.

Der Kader wirkte nicht gut zusammengestellt. Der Fußball war zwar recht erfolgreich, aber spielerisch mau. Trainer und Mannschaft wirkten nicht wie eine Einheit. Zudem war der Umbruch in der Führungsetage mit der Einarbeitung von Oliver Kahn in vollem Gange. Es fühlte sich alles nach quälendem Umbruch an. Nicht nach strahlendem Aufbruch.

Das bestätigte sich in den ersten Wochen der Saison. Bayern spielte unter Niko Kovac durchwachsen, setzte aber mit einem spektakulären 7:2 gegen Tottenham Anfang Oktober immerhin ein klares Ausrufezeichen. Sollte sich unter dem umstrittenen Coach vielleicht doch noch alles zum Guten wenden? Im Gegenteil. Nach der Partie gegen Tottenham ging es rapide bergab.

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Eine Niederlage gegen Hoffenheim, ganz schwache Auftritte gegen Piräus und im Pokal gegen Bochum kulminierten in einer blamablen 1:5-Niederlage gegen Frankfurt in der Liga. Es war die höchste Bayern-Niederlage seit zehn Jahren. Und sie war kein Ausrutscher, sondern das Ende eine längeren negativen Entwicklung unter Kovac.

"Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn man nur 100 schafft. Man muss das anpassen, was man hat", hatte Kovac kurz zuvor über seinen Kader gesagt, als er darauf angesprochen wurde, warum man nicht so intensiven und guten Fußball spielen könne wie der FC Liverpool. Er wurde dafür natürlich hart kritisiert. Ich dachte damals aber, er hat ja recht. Die Mannschaft wirkte einfach satt und uninspiriert.

Es war lange hergewesen, dass mir Arbeitskollegen oder alte Schulfreunde nach Bayern-Spielen hämische Nachrichten geschrieben hatten. Zu dominant waren die Münchner in den Vorjahren meist aufgetreten. Nach der 1:5-Niederlage gegen Frankfurt Anfang November 2019 war es allerdings mal wieder so weit. Bayern drohte nach erfolgreichen Jahren zur Lachnummer zu werden.

Es ist den Verantwortlichen durchaus hoch anzurechnen, wie schnell und konsequent sie in diesem Moment die Reißleine zogen und die Ära Kovac beendeten. Nach der 1:5-Niederlage war Schluss für den Kroaten.

Jetzt zahlte sich aus, dass die Münchner im Sommer mit Hansi Flick einen starken Co-Trainer verpflichtet hatten. Der Trainermarkt war zu diesem Zeitpunkt leergefegt. Eine erneute Rückkehr des inzwischen 75 Jahre alten Jupp Heynckes hätte wohl nicht noch einmal funktioniert. Flick gab zumindest die Aussicht auf ein paar Monate Ruhe.

Hansi Flicks Übernahme ändert alles

Innerlich hatte ich die Saison zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschrieben. Vielleicht wäre es mal ganz gut, keinen Titel zu gewinnen, um den Hunger in der Mannschaft neu zu entfachen. Ich dachte darüber nach, welche Spieler den Verein im Sommer verstärken könnten und welcher Trainer im Januar oder Juli 2020 übernehmen soll.

Vielleicht Erik ten Hag von Ajax Amsterdam. Bayern wirkte für mich so weit weg von der europäischen Spitze wie lange nicht mehr. Höchstens um Schadensbegrenzung könne es noch gehen. Wie ich mich täuschen sollte ...

Denn vom ersten Moment an passierte etwas Ungewöhnliches. Bayern trat schon im ersten Bundesliga-Spiel unter Flick völlig verändert auf. Beim 4:0-Erfolg gegen Dortmund nur eine Woche nach dem Debakel in Frankfurt blitzten fast vergessene Elemente im Spiel auf. Hohes Pressing, kluges Positionsspiel, Spielfreude.

Spätestens im Dezember waren die Bayern wieder richtig in Tritt und starteten eine lange Serie, die sie im Frühjahr 2020 zumindest wieder an die Spitze der Bundesliga brachte.

Dann kam Corona und mit dem Virus die Ungewissheit, ob und wie es überhaupt weitergehen kann mit Profifußball. Ohnehin rückte der Sport in Anbetracht der dramatischen gesundheitlichen Situation stark in den Hintergrund. Irgendetwas muss allerdings in der Corona-Pause beim FC Bayern passiert sein. Vor der Pause spielten die Bayern ordentlich bis gut. Als die Saison im Mai fortgesetzt wurde, spielten sie hungrig, fokussiert und dominant wie seit Jahren nicht mehr.

FC Bayern: Größtmöglicher Erfolg zum Abschluss

Fußball ohne Fans. Das ist merkwürdig. Und doch sprang allein durch das Spiel der Bayern bei mir und vielen anderen der Funke über. Es war plötzlich mit Händen zu greifen, dass hier etwas Besonderes entstehen könnte.

Meisterschaft und Pokal waren nun fast ein Automatismus. Das ganz große Ziel wartete im August mit der Champions League. Als die Münchner im Viertelfinale nach 30 Minuten mit 4:1 gegen Leo Messi und den FC Barcelona führten, war klar, dass hier in den vergangenen Wochen und Monaten eine ganz große Mannschaft zusammengewachsen war.

Der Rest ist Geschichte. Am 23. August reckte Manuel Neuer zum Abschluss der Saison den Henkelpott in den Nachthimmel. In wenigen Monaten von einer Lachnummer zum strahlenden und verdienten Champions-League-Sieger 2020. Was für eine Saison. Und auch wenn es sich währenddessen nicht immer so anfühlte: Am Ende macht die sportliche Achterbahnfahrt davor den Erfolg nur noch ein Stück süßer.

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