Bayerns Niederlage im Supercup gegen Borussia Dortmund lässt genervte Münchener zurück und unterstreicht die Erkenntnis, dass nicht nur der Kader des Rekordmeisters dringend neue Impulse benötigt.

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So eine Rote Karte mit der entsprechenden Sanktion über die kommenden Wochen hinaus hätte den Bayern ja gerade noch gefehlt. Joshua Kimmichs Tritt im Supercup gegen den Dortmunder Jadon Sancho war eine klare Tätlichkeit, und in der Rechts- und Verfahrensordnung des Deutschen Fußball-Bundes sind dafür - je nach Schwere des Vergehens - drei bis sechs Wochen Sperre vorgesehen. Ein langer Ausfall des Nationalspielers hätte die Bayern empfindlich getroffen, die Strafe wäre wettbewerbsübergreifend ausgesprochen worden.

Denn auch zwei Wochen vor dem Start in die neue Bundesliga-Saison tritt der Rekordmeister immer noch mit einer Rumpfmannschaft auf. Im Supercup gegen den BVB hatte Trainer Niko Kovac nur 16 gestandene Profis im Aufgebot und ein paar Nachwuchshoffnungen, angeführt von den Teenagern Alphonso Davies und Jann-Fiete Arp.

Supercup: BVB-Bank prominent besetzt

Die Bank des Gegners aus Dortmund dagegen war mehr als prominent besetzt: Marcel Schmelzer, Thomas Delaney, Mahmoud Dahoud, Dan-Axel Zagadou und Mario Götze kamen erst gar nicht zum Einsatz.

Es war nicht nur die 0:2-Niederlage, die den Bayern in Dortmund auf die Nerven ging. So sehr, dass sich Kimmich zu einer unbeherrschten Reaktion hatte hinreißen lassen und auch der sonst eher besonnene Robert Lewandowski mit Verve in Dortmunds Keeper Marwin Hitz rutschte und dieser von Glück reden konnte, sich dabei nicht schwerer verletzt zu haben.

Auch in den Minuten nach der ersten Niederlage der Saison gaben die Bayern ein nicht eben rundes Bild ab. Kimmich polterte wie schon auf dem Spielfeld gegen seine Verwarnung, beteuerte weiter seine Unschuld und wurde dabei flankiert von Sportdirektor Hasan Salihamidzic, der mit einer eher abenteuerlichen Geschichte zu retten versuchte, was längst nicht mehr zu retten war ("Ich hätte nicht mal eine Gelbe Karte gegeben.").

Lewandowski erneuert seine Kritik

Lewandowski wiederum erinnerte sich an seine Aussagen vor einigen Wochen, als der Pole schon einmal recht vehement auf den Zukauf neuer Spieler gedrängt hatte, und machte überhaupt keinen Hehl aus seiner Verärgerung über den Stand der Dinge. "Heute war genau der richtige Zeitpunkt, an dem man sehen konnte, was passiert, wenn wir eine bestimmte Anzahl an Profispielern haben", raunzte Lewandowski in der Mixed Zone. "Die jungen Spieler, die auf der Bank waren, haben Potenzial - das stimmt. Aber manchmal braucht man einfach Spieler auf der Bank, die sofort helfen können oder der Mannschaft einen Impuls geben können."

Diese Spieler haben die Bayern derzeit offenbar nicht im benötigten Maße zur Verfügung, was zu einer gehörigen Portion Frust und Wut unter den Protagonisten führte - zumal sich der Gegner sogar den Luxus erlauben konnte, seine beiden Top-Transfers erst gar nicht in den Kader zu berufen. Der BVB spielte im Kleid des "alten" BVB, von den Neuen war lediglich Nico Schulz mit dabei, auf die Offensivkräfte Julian Brandt und Thorgan Hazard verzichtete Trainer Lucien Favre noch.

"Dass wir etwas machen müssen, wissen wir", war von Salihamidzic nur zu erfahren. "Wir haben gesagt, wir werden gar nichts kommentieren", sagte Salihamidzic bei "DAZN". Die Bayern würden so lange nichts zum Transfermarkt sagen, "bis es etwas zu vermelden gibt". Das könnte schon in dieser Woche der Fall sein, immerhin neigt sich die Posse um Leroy Sane offenbar dem Ende zu und es sah bis Sonntagnachmittag alles so freundlich aus für die Bayern.

Dortmund-Spiel zeigt die Probleme auf

Sanes Verletzung im Community Shield gegen den FC Liverpool dürfte aber nicht nur die Verantwortlichen und die Fans aufgeschreckt haben, sondern nochmal verdeutlicht haben, dass es weiter eine alternative Lösung zu Sane geben sollte - und dass es mit einem Transfer der deutschen Nationalspielers alleine noch längst nicht getan wäre.

Vor einigen Wochen hatte Kovac vier Spieler gefordert, um dem Kader sowohl quantitativ als auch qualitativ die erforderliche Kur zu verpassen. Passiert ist seitdem nichts, obwohl Kovac im selben Atemzug betont hatte, "bis Ende Juli damit fertig sein zu müssen". Derzeit hat es fast den Anschein, als würde sich alles lediglich auf den größten Deal der Klubgeschichte mit Sane konzentrieren.

Dabei sind die Baustellen im Kader nicht nur auf den Flügeln zu finden. Das Spiel in Dortmund zeigte einige Schwachstellen schonungslos auf: Den übergroßen Fokus auf das Flügelspiel, das Kreativloch im zentralen Mittelfeld, die schlechte Konterabsicherung im Sechserraum und dann natürlich die dünn besetzte Bank, die dem Trainer kaum Spielraum für entscheidende Manöver gibt.

Die Sane-Millionen anders anlegen?

Um die 200 Millionen Euro dürfte das Sane-Paket die Bayern kosten, inklusive der Gehälter für einen langfristigen Vertrag. Das ist eine Menge Geld und ein Vielfaches von dem, das die Bayern bisher auszugeben bereit waren für einen Spieler. Nach dem Dortmund-Spiel steht deshalb nicht zu Unrecht die Frage im Raum, ob die Bayern das viele Geld statt in einen nicht doch besser in zwei oder drei Spieler investieren sollten? Im Mittelfeld fehlt es neben Thiago an einem weiteren kreativen Spieler, der das Spiel eröffnen kann oder den Spanier auf der Sechs ablöst, um Thiago eine Position höher im 4-3-3 einzubinden.

Die Vakanz auf dem Flügel bleibt nach Arjen Robbens und Franck Riberys Abgängen, ein neuer Spieler für die Außenbahn ist ein absolutes Muss. Ähnlich verhält es sich aber auch im Angriffszentrum, wo die Bayern offenbar wieder großes Risiko gehen.

Kein Lewandowski-Ersatz in Sicht

Bisher ist kein Ersatzmann für Lewandowski in Sicht, es gibt weder Gerüchte noch hätte einer der Bosse durchblicken lassen, auf der Position des Mittelstürmers aktiv werden zu wollen. In Sandro Wagner ist der letzte "echte" Lewandowski-Backup längst abgewandert, die Alternativen sind derzeit Thomas Müller und Jann-Fiete Arp - der eine auf der Zehn am besten, der andere noch ohne das erforderliche internationale Format.

Und auch die aktuelle Besetzung der Formation erscheint noch nicht besonders harmonisch. Leon Goretzka und Corentin Tolisso sind als Achter in Kovac‘ 4-3-3 zusammen nicht die optimale Besetzung, Kimmich muss auf der rechten Außenbahn ran, obwohl er sich im Zentrum - etwa auf der Sechs - deutlich wohler fühlt. Benjamin Pavard wäre als Rechts- oder Innenverteidiger eine Option, schafft es derzeit aber nicht an Kimmich und Jerome Baoteng vorbei.

Es knirscht und knarzt weiter bei den Bayern, die Lage bleibt ebenso latent angespannt wie die Debatten rund um den Rekordmeister. Karl-Heinz Rummenigge sprach neulich vom ruhigsten Transfersommer seit langer Zeit. Das war wohl nichts anderes als das Pfeifen im Walde.

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