Mit Vincent Kompany arbeitet demnächst der neunte Trainer binnen eines Jahrzehnts beim FC Bayern München. Angesichts dieser verheerenden Bilanz steht in den Sternen, wie viel Geduld der Klub mit dem 38-Jährigen haben wird. Wie all seine Vorgänger muss er auf der Stelle liefern. Dass ihm dies von einer Vereins-Ikone verdeutlicht wird, macht die Sache nicht einfacher und konterkariert die Aussagen des Sport-Vorstands.
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Jörg Hausmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.
"Wer beim FC Bayern einen Vertrag unterschrieben hat, muss wissen, was er getan hat": Dies war schon Otto Rehhagel klar, als er im Sommer 1995 seinen Posten als Cheftrainer in München antrat. Rehhagel bezog sich mit seiner Aussage auf den Erwartungsdruck, der beim FC Bayern München herrscht und mit keinem in der Bundesliga zu vergleichen ist. Daran hat sich auch 29 Jahre später nichts geändert.
Im Sommer 2024 traut sich Vincent Kompany zu, den Erwartungsdruck beim deutschen Rekordmeister auszuhalten. Ihm geht es wie weiland Rehhagel: Der FC Bayern kommt aus einem No-Go, aus einer Saison ohne Titel. Das geht in München gar nicht und ist mit der herrschenden Erwartungshaltung nicht zu vereinbaren. Karl-Heinz Rummenigge, der sich als Spieler und Funktionär beim FC Bayern seit 1974 den Status einer Legende erworben hat, verdeutlichte dies im Rahmen einer Managertagung in Bielefeld, wie die "Bild"-Zeitung berichtete: "Ich wünsche ihm viel Erfolg, weil, wenn du ein Jahr als Bayern München keinen Titel holst, ist es schon ein Jahr zu viel."
Kompany weiß Bescheid. Dazu hätte es Rummenigges Aussage sicher nicht gebraucht. Und da beginnt das Problem. Rummenigge sitzt seit 2023 "nur" noch im Aufsichtsrats des Vereins, dem der ehemalige Weltklassestürmer zwischen 2002 und 2021 vorstand. Sein Wort aber, zumal in aller Öffentlichkeit ausgesprochen, hat nach wie vor Gewicht. Und als solches Gewicht lastet es jetzt zusätzlich auf Kompanys Schultern.
Max Eberl verwischt einen falschen Eindruck
Der Belgier hat ohnehin mit dem vermeintlichen Makel zu kämpfen, bei der elend langen Suche nach einem Nachfolger für Thomas Tuchel nicht erste Wahl gewesen zu sein. Wiewohl Sport-Vorstand Max Eberl diesem Eindruck widerspricht. Kompany habe "von Anfang an auf der ominösen Liste" der Münchner gestanden, betonte Eberl am 30. Mai im Rahmen der Vorstellung des neuen Coaches. Eberl selbst und Sportdirektor Christoph Freund hätten sich mit dem 38-Jährigen schon zu dessen Anfangszeit als Coach beim RSC Anderlecht beschäftigt. "Die zwei Jahre waren außergewöhnlich, er hat mit dem damals jüngsten Team in Europa für Furore gesorgt und unglaublich attraktiven Fußball gespielt. Das lässt einen erst mal aufhorchen."
Das Umfeld, das Kompany beim FC Bayern antrifft, ist mit jenem in Anderlecht allerdings kaum zu vergleichen. Dazu gehören auch Störfeuer wie der überflüssige Hinweis Rummenigges auf die Unzufriedenheit der Bayern-Familie mit dem sportlichen Ist-Zustand. Rummenigge vermied es zwar, Kompanys Qualitäten offen in Zweifel zu ziehen. Aber er ging auch auf Distanz zu dem Neuen, indem er lieber Eberl zitierte. Der sei "von diesem relativ jungen und auch nicht sehr erfahrenen Mann überzeugt".
Neun Trainer in zehn Jahren beim FC Bayern
Das waren sie beim FC Bayern München auch mal von Rehhagel, der dann keine ganze Saison wirken durfte. Und sie waren es von Kompanys Vorgängern, deren Anzahl mit acht in einem Jahrzehnt dem Selbstverständnis des Klubs auch in diesem Punkt widerspricht. Allerdings setzte sich Uli Hoeneß - neben Rummenigge die andere graue Eminenz des Vereins, die mit regelmäßigen verbalen Einwürfen Unruhe erzeugt und schon von Tuchel wenig hielt - dem Vernehmen nach bis zuletzt für eine Rückkehr Hansi Flicks als Trainer ein. Flick aber arbeitet künftig beim FC Barcelona.
Eberl verdonnerte Rummenigge - und auch Hoeneß - nun quasi dazu, hinter Kompany zu stehen. "Für uns ist der Trainer das wichtigste Rädchen. Aber er ist nicht alleine. Wir müssen ihn begleiten, da er eine unfassbare Persönlichkeit hat", forderte Eberl, als es darum ging, Kompany in die Vereins-Familie einzuführen. Dessen Verpflichtung sei eine Chance für einen "neuen Weg, neue Energie, neue Power und hoffentlich neuen Erfolg".
Der aber hängt auch maßgeblich davon ab, wie ruhig sich Rummenigge und Hoeneß verhalten. "Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir zusammenstehen. Wir haben jetzt eine Chance, ein paar Dinge zurückzurudern und eine Einheit zu werden", unterstrich Eberl.
Kein Verein erzielt Erfolge und holt Titel, wenn keine Einigkeit herrscht. Das gilt für alle Ebenen. Kompany muss die Tür zur viel beschworenen und über Jahrzehnte von Hoeneß zusammengehaltenen und gepflegten Familie FC Bayern zumindest temoprär geöffnet werden.
Wenig hilfreich ist es dabei, wie Rummenigge Kompany vorzuhalten, was der nicht verschuldet hat und auch nicht anstrebt: Titellosigkeit. Kompany schultert einen Rucksack, dessen Last schon kaum zu tragen wäre, hätte der deutsche Meister 2023/24 nicht Bayer Leverkusen, sondern Bayern München geheißen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.