Amtsbonus, Wahlsystem, Medienmacht: Auch wenn Joe Biden in Umfragen zurzeit vorne liegt, spricht immer noch einiges für eine Wiederwahl des US-Präsidenten Donald Trump.
Aktuelle Umfragen vor der US-Wahl im November sehen Herausforderer
"Man darf ihn auf keinen Fall abschreiben", sagt Florian Böller im Gespräch mit unserer Redaktion. "Die heiße Phase des Wahlkampfes hat gerade erst begonnen", gibt der Juniorprofessor für Transatlantische Beziehungen an der TU Kaiserslautern zu bedenken. Zudem bleiben noch drei Monate: "Wir wissen nicht, wie sich die Pandemie bis November entwickelt. Auch eine Erholung der Wirtschaft könnte bis dahin einsetzen."
Der Experte rechnet heute damit, dass die US-Wahl im November sehr knapp ausgehen wird - und einige Punkte sprechen dafür, dass Trump im Amt bleibt:
1. Der Amtsbonus
Der Blick in die Geschichte der USA stärkt Donald Trump in Sachen Amtsbonus eindeutig den Rücken. Seit Gründung der Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts wurden nur zehn der vor Trump 44 Präsidenten ab-, 21 indes wiedergewählt. "Seit den Wahlen 1932, also seit Beginn der modernen Präsidentschaft unter Roosevelt, haben nur vier amtierende US-Präsidenten die Wahl verloren", betont Florian Böller: George Bush senior, Jimmy Carter, Gerald Ford und Herbert Hoover.
Insbesondere Bush und Hoover hatten allerdings mit gravierenden Wirtschaftsproblemen zu kämpfen - so wie Donald Trump heute. "Die wirtschaftliche Lage im Land ist neben dem Amtsbonus der zweite große Faktor, den Experten bei ihren Wahl-Vorhersagen zurate ziehen", sagt Böller. "Und die aktuelle wirtschaftliche Lage spricht gegen Donald Trump."
2. Böse Überraschungen im Oktober
"Immer wieder gibt es in der Endphase des Wahlkampfes neue Themen, neue Anschuldigungen, die den Wahlausgang beeinflussen können", erinnert Böller: die october surprises. Der Experte denkt dabei etwa an die Wiederaufnahme von FBI-Ermittlungen im Zuge der E-Mail-Affäre
Sie hatte als US-Außenministerin dienstliche Mails von ihrem privaten Server aus verschickt und empfangen und stand deswegen in der Kritik. Kurz vor der Wahl 2016 gab das FBI bekannt, weitere Ermittlungen aufzunehmen. "Diese Ankündigung hatte einen wichtigen Einfluss auf den Ausgang der Wahl", sagt der Experte.
October surprises könnten sich aus seiner Sicht zwar in beide Richtungen auswirken. "Biden hat allerdings eine wesentlich längere politische Karriere hinter sich. Das erhöht die Chance seiner Gegner, politischen Sprengstoff zu finden."
3. Trump setzt Themen auf Twitter
84,7 Millionen Menschen folgen Donald Trump beim Kurznachrichtendienst Twitter (Stand: 6. August 2020). "Trump generiert über die sozialen Medien eine unheimlich große Aufmerksamkeit - und kann dabei die Inhalte selbst steuern", sagt Böller. Zurzeit beobachtet der Experte dort allerdings "eher verzweifelte Versuche" des Präsidenten, Wahlkampf zu betreiben.
Seit Monaten etwa arbeitet er sich am Briefwahl-System ab und behauptet auch auf Twitter, dass es dadurch massiven Wahlbetrug geben wird. Im Bundesstaat Kalifornien etwa würden Millionen Stimmzettel an Menschen verschickt, die gar nicht wählen dürften.
Schon im Mai ergänzte Twitter eine derartige Behauptung des Präsidenten mit einem Hinweis auf Fakten. Der Nachrichtendienst unterdrücke die Meinungsfreiheit, schrieb Trump daraufhin - das werde er nicht zulassen.
4. Hohe Zustimmung unter Republikanern
Deutsche Medien sprechen im Zusammenhang mit Trump oftmals von einem Kreis an "Hardcore-Wählern". Gemeint sind fanatische Anhänger, die zum Präsidenten halten, egal was er sich leistet. Diese Einordnung wundert den Wissenschaftler: "Denn es ist keineswegs nur ein versprengter Haufen von Hardcore-Fans, sondern es sind breite Schichten der Gesellschaft, die hinter ihm stehen."
Trump habe unter den Republikanern noch immer unheimlich hohe Zustimmungswerte: Dreiviertel von ihnen sagten selbst jetzt in der Krise, er mache einen guten Job.
"Trump hat einiges umgesetzt, was er versprochen hat", sagt Böller: insbesondere die Steuerreform - die größte seit Ronald Reagan - und die Besetzung zweier konservativer Richter für den Supreme Court. "Deswegen halten viele trotz aller Eskapaden und Skandale nach wie vor zu ihm."
5. Meiste Wähler-Stimmen entscheiden nicht immer
In den USA wird nicht zwangsläufig derjenige Präsident, der die meisten Wähler-Stimmen bekommt. Denn das Staatsoberhaupt wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von einem Wahlmännergremium, dem Electoral College.
Die Zahl der Wahlmänner und -frauen variiert allerdings in den Bundesstaaten je nach Bevölkerungsstärke. Schon 2016 hat Donald Trump von diesem System profitiert: Er ist Präsident geworden, obwohl Hillary Clinton mehr Wähler-Stimmen eingefahren hatte als er.
"Die Swing States entscheiden die Wahl", sagt Florian Böller. Als Wechselwählerstaaten werden die US-Bundesstaaten bezeichnet, in denen weder die Demokraten noch die Republikaner eine strukturelle Mehrheit haben. Das ist unter anderem in Wisconsin, Michigan, Arizona, North Carolina und Florida der Fall.
In aktuellen Umfragen liegt Joe Biden in Florida, dem nach Bevölkerungszahlen drittgrößten Staat, vorn. "Wenn er da gewinnt, dann wird er Präsident", betont Böller. Aber das sei nur eine Momentaufnahme. "Es ist zu früh, darüber ein Urteil zu fällen."
6. Schwieriger Wahlkampf unter Corona-Bedingungen
Prinzipiell sieht Böller Trump im Wahlkampf im Vorteil - weil er als Amtsinhaber Themen setzen kann und beispielsweise durch die Corona-Pressekonferenzen ständig präsent ist. Biden indes müsse seinen Wahlkampf "vom Keller aus" führen.
Trotzdem scheine es für den Herausforderer ganz gut zu laufen. "Trumps Team hat noch nicht die richtige Strategie gegen Biden gefunden." Problematisch für den Präsidenten: 2016 ist Trump bei Massenveranstaltungen vor jubelnden Anhängern aufgetreten. Ein für ihn wichtiges Format, das in diesem Wahljahr allerdings nicht funktioniert - und ihm zuletzt sogar schlechte Presse eingebracht hat. In Tulsa sprach er im Juni vor teilweise leeren Rängen.
7. TV-Debatten diesmal besonders wichtig
Die Fernseh-Debatten im Vorfeld der Wahl werden aus Sicht des USA-Experten in diesem Jahr besonders wichtig sein. Auch die sind immer für Überraschungen gut, wie Böller betont. Für Barack Obama, der eigentlich als großer Rhetoriker bekannt ist, lief die erste TV-Debatte gegen Mitt Romney im Jahr 2012 beispielsweise sehr schlecht.
Biden habe in den Vorwahlen ganz unterschiedliche Leistungen gezeigt - ein Punkt, der Trump in die Hände spielen könnte. Der Experte betont aber: "Auch Trump ist nicht bekannt dafür, dass er besonders strukturiert argumentiert." Beide Kandidaten seien daher auf diesem Feld Wackelkandidaten.
8. Trump mobilisiert - nicht nur die eigenen Wähler
Eins steht fest: Trump als Person mobilisiert - "seine Wählerschaft, allerdings auch die Gegenseite", betont Böller.
Der Experte geht davon aus, dass auch diejenigen, die eher für einen progressiveren Kandidaten der Demokraten waren, diesmal für Biden stimmen werden. Anders als 2016: "Viele Sanders-Wähler sind damals eher zu Hause geblieben, weil sie Clinton nicht ihre Stimme geben wollten."
Böller gibt noch zu bedenken, dass die Wahlen in den USA nicht so gut organisiert sind wie beispielsweise in Deutschland. "Langes Anstehen dürfte vielen in diesen Corona-Zeiten nicht so gut gefallen." Es sei jedoch schwer zu sagen, wem der beiden Kandidaten das zugutekommt.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Dr. Florian Böller
- Twitter-Profil von US-Präsident Donald Trump
- NZZ: Sechs Gründe, weshalb Donald Trump (nicht) wiedergewählt wird
- Tagesschau Faktenfinder: Trump gegen Twitter - Die Lüge vom Wahlbetrug
- Deutsche Presse-Agentur
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