Die AfD hat bei der Europawahl nicht nur insgesamt zugelegt: Auch in der Gunst junger Menschen ist sie stark gestiegen. Was treibt die Jungen zu der Partei? Eine einfache Antwort gibt es nicht.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Pillgruber und Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Union hat nach der Europawahl Grund zum Feiern. Doch auch wenn CDU und CSU als Sieger aus der Wahl hervorgegangen sind, wirklich triumphiert hat vor allem die AfD. Nicht nur, dass sie sich als zweitstärkste Kraft noch vor SPD, Grünen und FDP durchgesetzt hat. Noch dazu ist ihr ein Durchmarsch im Osten gelungen, wo sie deutlich vor der Konkurrenz liegt.

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Doch all das war aus den Umfragen vor der Wahl schon zumindest abzusehen gewesen. Den Schock, dass eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird, mit 16 Prozent auch bei den jungen Wählern auf Platz zwei liegt – daran dürften viele im politischen Berlin noch lange zu knabbern haben.

Grafik-Diagramm "Europawahl in Deutschland: So wählten die 16- bis 24-Jährigen"
Bei den 16 bis 24-Jährigen hat die AfD massiv an Zustimmung dazugewonnen. © dpa-infografik GmbH

Mit einem einzigen Prozentpünktchen mehr konnte unter den etablierten Parteien nur die Union mehr Menschen zwischen 16 und 24 für sich begeistern. Schon die Landtagswahlen in Bayern und Hessen 2023 waren ein Indikator dafür, dass die Jugend nach rechts rückt. Die Europawahl zeigt nun deutlich: Die bislang als gegeben genommene Annahme, junge Menschen wählen eher progressiv, gilt so nicht mehr.

AfD holt bei jungen Wählern deutlich auf

Wie viel Boden die AfD bei den jungen Wählern gut gemacht hat, zeigt der Vergleich mit der Europawahl 2019. Damals bildete die Partei noch das Schlusslicht hinter den etablierten Parteien. Gerade einmal 5 Prozent der unter 25-Jährigen konnte die Partei damals für sich gewinnen.

Ein ähnliches Bild zeichnete auch die Bundestagswahl zwei Jahre später. Mit 7 Prozent lag die AfD deutlich auf dem letzten Platz, während vor allem die Grünen (23 Prozent), gefolgt von der FDP (21 Prozent), junge Wähler überzeugen konnten.

Zur Wahrheit gehört allerdings: Ganz vergleichbar sind die Ergebnisse nicht. Denn bei der Europawahl 2024 konnten erstmals Menschen ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Bei den zwei anderen Wahlen lag das Mindestalter noch bei 18 Jahren. Außerdem muss man den hohen Anteil der jungen Wähler, die sich für kleinere Parteien entschieden haben, beachten. 28 Prozent der 16- bis 24-Jährigen stimmten für Parteien wie Volt – doppelt so viele wie über alle Altersgruppen hinweg.

Dennoch: Dass die AfD für immer mehr junge Menschen tatsächlich eine Alternative zu sein scheint, lässt sich nicht mehr von der Hand weisen. Doch warum ist das so?

Soziale Medien als Erfolgsfaktor

Zu einem Teil dürfte der AfD ihr Erfolg auf Social-Media-Plattformen geholfen haben. Auf TikTok kann den Populisten zum Beispiel keine andere Partei im Bundestag ernsthaft das Wasser reichen. Die Plattform hat sich in den vergangenen Jahren besonders unter jungen Menschen zu einem wichtigen Medium gemausert.

Die Bundestagsfraktion kommt auf TikTok derzeit auf rund 430.000 Follower. Inhalte erstellt sie wie am Fließband. Mit Erfolg: Rund 7,4 Millionen Likes hat die Fraktion schon gesammelt. Und weil die AfD ihre politischen Botschaften emotional auflädt, erreicht sie mit ihren Posts oft ein großes Publikum.

Denn was die Menschen aufwühlt und bewegt, wird kommentiert, geliked und geteilt. Ganz zur Freude der Plattform-Algorithmen, die Inhalte, mit denen viel interagiert wird, oft mit Reichweite belohnen.

Zuspruch für die AfD: Experte sieht Zukunftsängste als Grund

Als alleinige Erklärung dafür, warum die AfD bei jungen Menschen so erfolgreich ist, reicht ihre Social-Media-Präsenz aber nicht aus. Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es Constantin Wurthmann zufolge auch nicht.

Wurthmann ist Politikwissenschaftler an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit Fokus auf Wahlverhalten, politische Einstellung und Parteienforschung. Im Gespräch mit unserer Redaktion sieht er vor allem Zukunftsängste bei der jungen Generation als wichtigen Faktor für das Ergebnis.

Zwar sei laut dem Experten nach wie vor auch die Klimakrise für junge Menschen ein Thema: Doch bei dieser sieht der Forscher einen Gewöhnungseffekt, der das Thema für junge Wähler weniger dringlich erscheinen lassen könnte. Die hohe Inflation und die gestiegenen Lebenshaltungskosten bekommen junge Menschen hingegen unmittelbar zu spüren.

"Wenn Preise explodieren" und "junge Menschen nicht mehr die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Wenn sie Angst haben, sich in Zukunft das Leben nicht leisten zu können, dann hat das Konsequenzen", sagte der Experte. Wurthmann glaubt deshalb auch, dass die politischen Kräfte, die für diese Entwicklungen stehen – also die Regierung –, abgestraft wurden.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Die Protestwahl-These greift zu kurz

Einige junge Menschen dürften ihr Kreuz für die AfD sicherlich aus Frust über die Ampel gemacht haben, die schon lange ein schwaches Bild abgibt. Doch auch wenn die Versuchung, das Ergebnis als "Protestwahl" abzutun, groß ist – auch diese Erklärung greift zu kurz.

Denn die Rechtspopulisten haben sich inzwischen im politischen System Deutschlands etabliert und eine Stammwählerschaft aufgebaut. Eine Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen zeigt das, auch mit Blick auf die diesjährige Europawahl.

Dieser zufolge stimmten nur 28 Prozent der AfD-Wähler für die Partei, weil sie anderen einen Denkzettel verpassen wollten. Eine überwiegende Mehrheit von 70 Prozent unterstützt hingegen klar die politischen Forderungen der AfD.

In Berlin sollten sich die anderen Parteien deshalb möglichst schnell von dem Schock erholen, den die "Verjüngung" der AfD-Wählerschaft ausgelöst haben dürfte. Denn nach der Europawahl ist vor den Landtagswahlen in Osten – und in Thüringen, Sachsen und Brandenburg dürfte der Kampf um die jungen Wähler sicherlich nicht leichter werden.

Verwendete Quellen

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