Für die Linke geht es bei der Bundestagswahl um den Wiedereinzug ins Parlament. Spitzenkandidatin Reichinnek gibt sich trotz schlechter Umfragewerte optimistisch – und will nicht nur auf Direktmandate setzen.
Für die Linke dürfte es bei der Bundestagswahl am 23. Februar eng werden. Aktuelle Umfragen prognostizieren der Partei Werte zwischen zwei und drei Prozent. Spitzenkandidatin
Eine Rolle beim Wiedereinzug sollen auch
Die selbsternannten Silberlocken sind aber nicht das einzige Pferd, auf das die Partei setzen möchte.
Die Linke ist bei der Wahl 2021 dank ihrer Direktmandate in den Bundestag eingezogen. Diesmal setzen Sie auf "Aktion Silberlocke". Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow sollen es richten. Frau Reichinnek, sind Politiker von gestern die Zukunft der Linken?
Heidi Reichinnek: Wir setzen auf mindestens fünf Prozent und mindestens drei Direktmandate. Dazu gehört die "Mission Silberlocke". Aber auch Sören Pellmann in Leipzig und Ines Schwerdtner, die in Berlin-Lichtenberg antreten wird. Mit diesem Kandidatenportfolio wollen wir möglichst alle Menschen der Gesellschaft ansprechen.
Sie gehen mit dem Spruch "Nach der Ampel links" in den Wahlkampf. Aktuelle Umfragen legen allerdings nahe, dass es künftig wieder deutlich konservativer wird. Woher kommt Ihr Optimismus?
Ein Wahlkampf, der mit Angst agiert, der auf Hass und Hetze setzt – dafür haben wir jetzt schon mehr als genug Parteien. Allen voran natürlich die AfD, aber auch die Union und das BSW reden nur über das Schlechte. Dabei wird zu wenig darüber gesprochen, was wir Positives für die Menschen verbessern könnten, wenn wir die entsprechenden Mehrheiten haben.
Was denn zum Beispiel?
Menschen könnten am Ende des Monats noch Geld zum Leben haben, indem die Steuern für jene gesenkt werden, die hart arbeiten. Mietpreise könnten sinken oder die Gesundheitsversorgung verbessert werden. All diese Themen bewegen die Menschen. Und genau dafür haben wir Vorschläge und Ideen. Daher nehme ich auch meinen Optimismus. Wir müssen jetzt nur noch deutlicher machen, dass all das machbar ist.
Sie wollen an 100.000 Haustüren klopfen, um Ihren Wahlkampf auf die Menschen zuzuschneiden. Ist das überhaupt bis Februar zu schaffen?
Das war vor allem als Vorwahlkampf geplant. Jetzt haben wir direkt in den Wahlkampf-Modus geschaltet. Es ist ein ambitioniertes Ziel, aber wir werden es versuchen. Haustürwahlkampf ist uns nicht fremd, das machen wir seit Jahren.
Haben sich bei dieser Aktion bereits konkrete Wahlkampfthemen herauskristallisiert?
Unter anderem das Thema Mieten und Wohnen. Also nicht nur die Frage nach Mietenkosten, sondern auch Wohn- und Energiekosten. Aber auch das Thema Gesundheitsversorgung mit Klinik- und Apothekensterben oder ärztlicher Versorgung auf dem Land. Genauso wie das Thema Verkehr, beispielsweise mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr im Dorf oder der Stadt.
Das sind viele Schwerpunktthemen für einen kurzen Wahlkampf.
Wir müssen uns aufgrund der knappen Zeitspanne stark fokussieren. Trotzdem sind wir zu allem sprechfähig. Als Spitzenkandidatin will ich meinen Fokus vor allem auf das Thema Kinder und Jugendliche sowie Familien legen. Denn das sind die Menschen, für die ich in den Bundestag gekommen bin. Sie sind ein Riesenteil unserer Gesellschaft, die in der politischen Diskussion kaum vorkommen.
Es zeichnet sich aber bereits ab, dass dieser Wahlkampf sich vor allem um Wirtschaft drehen wird. Hat die Linke für dieses Bedürfnis überhaupt etwas zu bieten?
Na klar. Wir tragen das nur leider viel zu selten nach außen. Deshalb entwickeln wir gerade ein neues Wirtschaftspapier, um unsere Forderungen zu konkretisieren.
Die da wären?
In einer Zeit, in der die Wirtschaft stagniert, sogar schrumpft, können wir nicht mehr an einer Schuldenbremse festhalten. Der Staat muss genau jetzt investieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Stattdessen wollen sich die Ampelregierung und die Union aus der Krise sparen. Das hat noch nie funktioniert. Da frage ich mich wirklich: Warum wird CDU und FDP Wirtschaftskompetenz zugeschrieben? Das Einzige, das sie hinbekommen, ist, dass einige Wenige immer reicher werden. Das ist keine Wirtschaftspolitik, das ist Klientelpolitik.
Die Themen, die Sie als Kernthemen identifiziert haben, beschäftigen Menschen nicht erst seit diesem Winter. Bei den Landtagswahlen im September konnte Ihre Partei trotzdem nicht punkten. Warum sollte das bei der Bundestagswahl anders laufen?
Die Menschen merken, dass sie uns zutrauen können, dass wir wirklich etwas verändern. Viele Jahre lang war das Bild der Linken von Streit geprägt – es waren gerade Sahra Wagenknecht und ihre Leute, die dafür gesorgt haben, und wir sind froh, dass das jetzt vorbei ist. Inzwischen nutzen wir all unsere Energie, um die Situation für Menschen wirklich zu verbessern. Und da haben wir auch einiges vorzuweisen.
Ach ja?
Wir bringen immer wieder linke Ideen und Vorstellungen ins Parlament, die sonst nicht diskutiert werden würden. Wir machen Druck beim Thema Mieten, Kitas, der Schuldenbremse und einem Rentensystem, in das alle einzahlen. Wenn wir nicht mehr hier sind, finden diese Debatten nicht mehr statt. Und das wird den Menschen langsam immer bewusster. Wir können auf Erfolge in den Ländern verweisen. Auf den Schutzschirm für Kliniken in Thüringen, eine durch Aufklärung statt Druck erfolgreiche Impfkampagne in Bremen.
Die Umfragen sprechen aktuell gegen diese Annahme.
Wenn Frust und Wut vorherrschen, kann ich verstehen, dass Parteien gewählt werden, die diese Gefühle aufgreifen oder sogar verstärken. Langfristig ist das aber keine Lösung.
Bei den Landtagswahlen haben Sie gerade in Thüringen massiv an Zustimmung verloren, auch sonst lief es für ihre Partei nicht gut. Sind die Genossen in den Ländern schon wieder bereit für Wahlkampf?
Ich bin überrascht, wie gut die Stimmung in meiner Partei ist. Wir haben neue Leute und viele mit Erfahrung und alle ziehen an einem Strang. Es geht um alles oder nichts, die Linke muss zurück in den Bundestag, sonst wird es die nächsten Jahre unglaublich schwer, linke Konzepte in die Diskussion einzubringen. Das motiviert.
Im Februar hat sich Ihre Fraktion gespalten. Bei den Landtagswahlen hat das BSW Ihnen viele Wähler weggenommen. Was macht das mit Ihnen?
Wir haben uns nicht gespalten, sondern zehn Leute haben sich unsere Mandate, unsere Ressourcen geschnappt und sind damit weggegangen. Natürlich hat das BSW jetzt Erfolg, sie können den Menschen sagen, was sie hören wollen. Sie bieten aber keine richtigen Lösungen an, sondern verstärken den ganzen Frust. Menschen setzen Hoffnungen in Neues. Mittelfristig werden sie aber merken, dass es dem BSW vor allem um Macht geht – genauso wie vielen anderen Parteien auch. Das zeigt der parteiinterne Umgang, wo alles aus Berlin gelenkt wird und die Landesverbände nicht einmal selbst entscheiden dürfen, welche Mitglieder sie aufnehmen. Die Probleme, die sie bei uns verursacht haben, haben sie einfach mitgenommen.
Aktuell läuft es auf ein Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz heraus. Wer von den beiden wäre Ihnen als Kanzler lieber?
Beides sind frustrierende Kandidaten: Ich habe meine Probleme mit Olaf Scholz, wenn ich auf die Cum-Ex-Affäre blicke. Bei Friedrich Merz denke ich an Blackrock. Natürlich ist mir als Linke die SPD näher. Aber ohne Werbung für die Grünen machen zu wollen: Ganz ausgeschlossen ist ein Robert Habeck im Vergleich zu Scholz nicht. Am Ende geht es darum, progressive Mehrheiten im Bundestag herzustellen.
Mit welchem Gefühl gehen Sie ins neue Jahr?
Motivation. Ich weiß, die Situation ist ernst und natürlich besorgen mich die Umfrageergebnisse der AfD. Deswegen finde ich es umso wichtiger, dass jetzt der Prüfauftrag bezüglich eines Verbotsverfahrens auf den Weg gebracht wird. Dass wir unser Verfassungsgericht schützen. Und dass wir die AfD weiterhin politisch bekämpfen. Mit echter Sozialpolitik und auch hier kommen wir wieder zum Thema Wirtschaft: Natürlich brauchen wir eine starke Wirtschaft. Wer keine Existenzängste hat, ist auch weniger empfänglich für rechte Scheinlösungen, die nur Sündenböcke statt Verbesserungen liefern.
Über die Gesprächspartnerin:
- Heidi Reichinnek sitzt seit 2021 für die Linken im Bundestag. Gemeinsam mit Sören Pellmann führt sie die Gruppe der Linken im Bundestag an. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl bildet die Linke gemeinsam mit Jan van Aken das Spitzenduo der Partei. Die 36-Jährige ist in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Nach ihrem Studium in Halle fing sie im niedersächsischen Osnarbrück an, bei der Jugendhilfe zu arbeiten. Für die Dauer ihrer Abgeordnetentätigkeit ist Reichinnek dort freigestellt.
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